Entscheidungsstichwort (Thema)
MfS-Tätigkeit;. Fragebogenlüge. Fristlose Kündigung. Verschulden hinsichtlich falscher Angaben im Fragebogen erforderlich?. Personalratsanhörung;. Kündigung;. Personalvertretungsrecht
Leitsatz (redaktionell)
Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:
Fortführung von BAG 19. September 1999 – 2 AZR 902/98 – nv.
Orientierungssatz
Verschweigt ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter eine MfS-Tätigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, so ist es dem öffentlichen Arbeitgeber jedenfalls bei einem nicht allzu gravierenden Maß der Verstrickung eher zumutbar, auf die Falschbeantwortung mit milderen Mitteln als mit einer fristlosen Kündigung – etwa mit einer Abmahnung oder einer ordentlichen Kündigung – zu reagieren als bei einer Tätigkeit für das MfS im Erwachsenenalter.
Regelmäßig führt nur eine schuldhafte Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit zu einem derart gravierenden Vertrauensverlust, daß dem öffentlichen Arbeitgeber auch eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist.
Je nach dem Grad der Verstrickung und dem daraus resultierenden Gewicht der pflichtwidrigen Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit kann der längere beanstandungsfreie Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zur Kündigung teilweise oder völlig entwertet worden sein.
Normenkette
BGB § 626; StaSi-UnterlagenG § 20 Abs. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 1. Februar 2000 – 7 Sa 378/99 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Der am 11. Dezember 1960 geborene Kläger (verheiratet, zwei Kinder) war beim Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgänger seit 1986 als Gymnasiallehrer für Sport beschäftigt. Er leistete von 1979 bis 1982 Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee der DDR. Als Offizier im Range eines Unterleutnants war er im Grenzregiment Schönberg stationiert und dort als Zugführer eingesetzt. Am 13. April 1981 verpflichtete sich der Kläger in einer von ihm handschriftlich verfaßten Berufungsurkunde, deren vorgefertigten Text er abschrieb, zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit. In dieser Urkunde heißt es ua.:
„Wir erwarten von Ihnen eine … Zusammenarbeit in folgender Richtung:
- Verhinderung von Fahnenflucht
- rechtzeitiges Erkennen von Vorbereitungshandlungen,
- vorbeugende Tätigkeit zur Verhinderung von Militär- und Staatsverbrechen.
Am heutigen Tage wurde mit mir durch einen Mitarbeiter des MfS ein Gespräch geführt; in dessen Ergebnis wurde ich auf freiwilliger Basis zur engeren Zusammenarbeit mit dem MfS berufen. Ich bin bereit, die vom MfS erhaltenen Aufträge in guter Qualität zu erfüllen. In den erhaltenen Aufträgen werde ich ehrlich und gewissenhaft in mündlicher oder schriftlicher Form berichten. Die geplanten Zusammenkünfte und das vereinbarte Verbindungssystem werde ich einhalten. Ich verpflichte mich und wurde darüber belehrt, daß ich über die Zusammenarbeit mit dem MfS zu keiner anderen Person sprechen werde und strengste Geheimhaltung zu wahren habe. Die von mir erarbeiteten Informationen werde ich mit folgendem Namen unterschreiben:
G T
(Unterschrift) M. H”
In dem Bericht der Hauptabteilung I des MfS vom 13. April 1981 über die Berufung des Klägers zum gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit (GMS) ist festgehalten, daß für die Verbindungsaufnahme durch andere Mitarbeiter des MfS mit dem Kläger folgende Losung vereinbart wurde:
„Mitarbeiter: ‚Einen schönen Gruß von T.’
GMS: ‚Meinen Sie den G?’”
Ebenfalls am 13. April 1981 wurden dem Kläger zwei sog. Komplexaufträge erteilt. Am gleichen Tag fertigte er einen handschriftlichen Bericht über einen namentlich genannten Offizier. In diesem Bericht führte der Kläger aus, die Führungsfähigkeiten dieses Offiziers entsprächen seiner Meinung nach nicht den Anforderungen. Außerdem habe der Offizier Schwierigkeiten mit Vorgesetzten. Unter dem Datum 2. Juli 1981 fertigte der Kläger – wiederum mit Decknamen unterzeichnet – einen Bericht über einen Soldaten. Darin heißt es, der Soldat versuche offenbar, die Ursachen eines Dienstunfalls zu vertuschen. In einem weiteren Bericht gab der Kläger handschriftlich und mit Decknamen unterzeichnet eine Personenschätzung über einen namentlich genannten Unteroffizier ab. Darin wird mitgeteilt, dessen anfängliches Bemühen, die gestellten Aufgaben zu erfüllen, habe nachgelassen. Der Genannte sei labil, zeige keine Einsatzbereitschaft und vor allem keinen Willen, diese Einstellung zu ändern. Auf Hilfe reagiere er abweisend und äußere beispielsweise: „Sowieso alles Sackstand hier, ich wollte ja eigentlich Küchenleiter werden. Ich habe keine Lust mehr zu dienen und will nach Hause. Wenn ich überhaupt noch was mache, dann fahre ich am liebsten Streife.” In einem Bericht vom 15. September 1981, der ebenfalls handschriftlich vom Kläger abgesetzt und mit Decknamen unterschrieben ist, teilte der Kläger mit, ein namentlich benannter Soldat habe von seiner Frau erfahren, daß diese sich scheiden lassen wolle. Scheidungsgrund sei, daß die Ehefrau mit dem Dienst nicht einverstanden sei und selbst nicht ins Grenzgebiet ziehen wolle. Ein Entlassungsgesuch werde er nicht einreichen, da er erst am Beginn seiner Laufbahn als Offizier stehe. Der Kontakt der Frau ins nichtsozialistische Ausland müsse geklärt werden. Die Dienstdurchführung des Soldaten sei bislang allerdings vorbildlich gewesen. In einem Bericht vom 7. Oktober 1981, handschriftlich vom Kläger verfaßt und mit Decknamen unterzeichnet, führt der Kläger aus, das Eheproblem des Soldaten habe sich seit dem letzten Bericht in keiner Weise verbessert. Diese Annahme habe sich durch ständige Unkonzentriertheit und mißmutiges Auftreten verstärkt. Die Ehefrau weiche von dem Entschluß, sich scheiden zu lassen, nicht ab. Der Soldat stehe daher vor der Entscheidung, ein Entlassungsgesuch zu schreiben, um seine Ehe zu erhalten. Seine Frau wolle schon Tabletten nehmen, da sie das Alleinsein nicht mehr aushalte. In einem weiteren Bericht vom 15. September 1981 teilte der Kläger handschriftlich und mit Decknamen unterzeichnet mit, er sei am 10. September 1981 nach dem Mittagessen aus dienstlichen Gründen zur Unterkunft eines namentlich bezeichneten Unteroffiziers gegangen. Dieser habe dort mit einem anderen Unteroffizier gesessen und NDR 2 gehört. Auf seine Aufforderung hin, den Sender abzustellen, habe der Unteroffizier gesagt: „Warum denn, es ist doch gute Musik”. Erst nach scharfem Ton habe der Unteroffizier den Sender abgestellt. Die Meldung direkt an einen Vorgesetzten der Kompanieleitung sei unterblieben, die Sache sei aber am selben Nachmittag im Rahmen der Zugführer angesprochen worden.
In der Abschlußbeurteilung des MfS heißt es ua.:
„Bei der Erfüllung der dienstlichen und funktionellen Pflichten treten Mängel in der Führung der Unterstellten durch den GMS auf. Er wird von ihnen nicht geachtet. Charakterlich ist er als unsachlich und unbeherrscht einzuschätzen. In der inoffiziellen Zusammenarbeit mit unserem Organ erfüllte der GMS die erhaltenen Aufträge nur nach mehrmaliger Aufforderung. In der Treffdurchführung zeigte er sich undiszipliniert. Entweder er verspätete sich ohne Grund oder erschien nicht zum Treff. Inoffiziell und offiziell wird der GMS als labil eingeschätzt. Hinweise auf eine Dekonspiration sind nicht bekannt …”
Anfang 1991 beantwortete der Kläger die ihm in einem Fragebogen des Beklagten vorgelegte Frage 1.1
„Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet?
Wenn ja, in welcher Weise, wo und von wann bis wann?
Aus welchen Gründen haben Sie diese Tätigkeit beendet?”
sowie die Frage 1.2
„Haben Sie gelegentlich oder unentgeltlich über mittelbare Kontakte im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte, zu denen Sie als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane, als Leiter oder auf Grund gesellschaftlicher Funktionen verpflichtet waren, für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR gearbeitet?”
jeweils mit nein.
Am 7. Juli 1998 wurde dem Oberschulamt Leipzig eine Auskunft des BStU über eine Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit übergeben. Diese Auskunft umfaßt 36 Blatt. Am 12. Juli 1998 wurde der Kläger im Oberschulamt Leipzig zu dem Vorwurf angehört, er habe für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet. In einem Schreiben vom 14. Juli 1998 gab der Kläger eine ergänzende Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 16. Juli 1998 teilte der Präsident des Oberschulamtes Leipzig dem dort gebildeten Bezirkspersonalrat mit, es sei beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos zu kündigen. Als Grund hierfür wurde mitgeteilt, nach den Unterlagen des BStU habe der Kläger von 1981 bis 1982 als gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit für das MfS gearbeitet. Es wurde darauf hingewiesen, in der Akte befänden sich sechs handschriftliche Berichte mit Decknamen und der Kläger habe eine handschriftliche Verpflichtungserklärung geschrieben, die er mit dem Decknamen „G T” unterzeichnet habe. Weiter wurde darauf hingewiesen, der Kläger habe in den handschriftlichen Berichten über Einschätzungen zu Soldaten und Offizieren seiner Einheit und über einzelne Vorkommnisse berichtet. In dem Gespräch vom 12. Juli 1998 und einer persönlichen Stellungnahme hätten sich keine maßgeblichen Entlastungsgesichtspunkte ergeben. Mit Schreiben vom 21. Juli 1998, beim Oberschulamt am gleichen Tag eingegangen, erhob der Bezirks-personalrat gegen die beabsichtigte fristlose Kündigung Bedenken. Mit Schreiben vom 22. Juli 1998 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Er habe nicht für das MfS gearbeitet. Als Offizier einer Grenzkompanie habe er vielmehr mit den Sicherheitsorganen, zu denen auch das MfS gezählt habe, zusammenarbeiten müssen. Auf Grund seiner Dienststellung als Zugführer habe er Beurteilungen einzelner Soldaten und Unteroffiziere vornehmen und mit dem Offizier für Abwehrarbeit und dem Sicherheitsoffizier zusammenarbeiten müssen. Es sei seinerzeit insbesondere darum gegangen, die Fahnenflucht einzelner Soldaten zu verhindern. Er sei auch selbst von Mitarbeitern des MfS bespitzelt worden. Er sei nicht freiwillig zur Unterstützung des MfS bereit gewesen, sondern sei vielmehr unter einer Legende geworben worden. Von Mitarbeitern des MfS sei ihm mitgeteilt worden, daß er als Zugführer aktiv gegen Militärstraftaten aufzutreten habe. Deshalb sei seitens des MfS bestimmt worden, daß eine Beauftragung zur Unterstützung des MfS vorgenommen werden sollte. Den Decknamen habe er nicht freiwillig gewählt, er sei ihm vielmehr vorgegeben worden. Der Sicherheitsoffizier habe ihm mitgeteilt, daß er mit dem Decknamen die Möglichkeit zur Umgehung des Dienstweges bei evtl. Beschwerden über Dienstvorgesetzte habe.
Zu dem Bericht vom 13. April 1981 hat der Kläger ausgeführt, er habe hier nicht über einen namentlich genannten Kameraden berichtet, sondern sich vielmehr über den damaligen Kompaniechef beschwert. Mit dieser Beschwerde habe er primär im Interesse seiner Kameraden gehandelt. In dem Bericht vom 2. Juli 1981 habe er nicht Kameraden bespitzelt, sondern als Zugführer über ein Vorkommnis berichtet, das Angehörige seines Zuges betroffen habe. Es sei um einen Unteroffizier gegangen, der einfachste Handhabungen der Technik im Grenzdienst nicht beherrscht habe und nicht in der Lage gewesen sei, die sog. Selbstschußanlage zu sichern. Er habe damit befehlsmäßig die Qualifikation eines Berufsunteroffiziers eingeschätzt mit dem Ziel zu verhindern, daß durch die Unfähigkeit dieser Person Menschenleben gefährdet werden. In den Berichten vom 15. September und 7. Oktober 1981 habe er über die Eheprobleme eines Leutnants berichtet, die in der gesamten Kompanie Gesprächsthema gewesen und deshalb auch der Hauptabteilung I des MfS zugetragen worden seien. Deshalb sei er „stehenden Fußes” dort vorgeladen worden. Er habe diesem Leutnant empfohlen, ein Entlassungsgesuch einzureichen und dies mit möglichen Kontakten seiner Frau zu Verwandten in Westdeutschland zu begründen. Tatsächlich habe er damit auch erreicht, daß der Leutnant erfolgreich ein Entlassungsgesuch eingereicht habe. Zu dem Bericht über das Hören des Westsenders NDR 2 sei es gekommen, nachdem ein Offizier einer MfS-Einheit vom Kläger als Zugführer verlangt habe, dieses Radiohören sofort zu unterbinden. Nachdem der Offizier den Vorfall gemeldet habe, sei er – der Kläger – zu einem schriftlichen Bericht aufgefordert worden. Dem habe er sich nicht entziehen können.
Der Kläger hat weiterhin gemeint, im Rahmen der Interessenabwägung bzw. Einzelfallprüfung sei zu berücksichtigen, daß auch das MfS in der Abschlußbeurteilung festgestellt habe, daß er undiszipliniert und unzuverlässig gewesen sei und die Kontakte zum MfS nach dem Ausscheiden aus dem Armeedienst im Oktober 1981 geendet hätten. Die Frage nach einer Arbeit für das MfS habe er auch nicht wissentlich falsch beantwortet. Auf Grund des fließenden Übergangs zwischen NVA und MfS und des starren Über- und Unterordnungsverhältnisses sei er nicht davon ausgegangen, im Sinne der Fragestellung für das MfS gearbeitet zu haben oder gar Spitzeldienste geleistet zu haben. Auch sei ihm über seine Tätigkeit als Lehrer ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt worden. Die Kündigung sei schließlich auch wegen unzureichender Personalratsanhörung unwirksam. Zum einen sei der Tätigkeitszeitraum „von 1981 bis 1982” falsch angegeben worden, weil die Tätigkeit tatsächlich am 7. Oktober 1981 geendet habe. Im übrigen seien dem Personalrat nicht sämtliche Unterlagen zur Verfügung gestellt worden.
Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz von Interesse – beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 22. Juli 1998, dem Kläger zugegangen am 25. Juli 1998, aufgelöst wurde.
Der Beklagte hat sich zur Unterstützung seines Klageabweisungsantrags darauf berufen, die Kündigung sei wirksam, weil der Kläger tatsächlich für das MfS tätig gewesen sei. Dies belegten die Berichte, die unstreitig vom Kläger stammten. Damit habe der Kläger wissentlich falsche Angaben über seine MfS-Tätigkeit gemacht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat – kurz zusammengefaßt – angenommen, die Kündigung sei aus wichtigem Grund wegen falscher Beantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS durch den Kläger sachlich gerechtfertigt. Der Kläger habe für das MfS gearbeitet und auf der Grundlage einer Berufungserklärung mit Decknamen jedenfalls sechs Berichte für das MfS gefertigt, in denen er über verschiedene Personen und Vorgänge Mitteilungen gemacht habe. Dem stehe nicht entgegen, daß der Kläger in der fraglichen Zeit Offizier der NVA gewesen sei. Auch Berichte eines NVA-Angehörigen an das MfS seien inoffizielle Arbeit für das MfS. Der Kläger habe damit objektiv betrachtet, unabhängig von der subjektiven Beurteilung seines Tätigwerdens, als gesellschaftlicher Mitarbeiter für das MfS gearbeitet. Für eine außerordentliche Kündigung sei nicht notwendige Bedingung, daß die Vertragsverletzung schuldhaft erfolge. Die Kammer sei auf Grund der Gesamtumstände davon überzeugt, daß der Kläger in einem über die bloße Tätigkeit als NVA-Offizier hinausgehenden Maß für das MfS gearbeitet habe und ihm dies auch selbst bewußt gewesen sei. Zugunsten des Klägers spreche, daß er nur in einem relativ kurzen Zeitraum Berichte geliefert habe und diese Tätigkeit lange zurückliege. Für die Interessenabwägung sei unerheblich, daß der Kläger seinerseits auch vom MfS überwacht worden sei und daß das MfS mit seiner Arbeit nicht zufrieden gewesen sei und ihn als undiszipliniert beurteilt habe. Berücksichtige man die Anforderungen an einen Gymnasiallehrer, so sei davon auszugehen, daß die unwahre Beantwortung der Fragen zur MfS-Tätigkeit das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien in besonderem Maße erschüttert habe. Auch die Personalratsanhörung sei nicht zu beanstanden.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung des § 626 Abs. 1 BGB und eine Nichtberücksichtigung wesentlicher Teile des unstreitigen Sachverhalts im Rahmen der Interessenabwägung.
1. Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes (§ 626 Abs. 1 BGB) erfüllt, ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat(st. Rspr., vgl. ua. BAG 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – BAGE 86, 95, 97 f. und 13. April 2000 – 2 AZR 259/99 – AP BGB § 626 Nr. 162 = EzA BGB § 626 nF Nr. 180). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
2. Nach § 626 Abs. 1 BGB ist ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Falschbeantwortung der Frage des öffentlichen Arbeitgebers nach einer Arbeit für das MfS bei einem Lehrer an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. Die vom Beklagten in dem Fragebogen gestellten Fragen waren zulässig und vom Kläger wahrheitsgemäß zu beantworten(st. Rspr., vgl. ua. BVerfG 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94 – ua. BVerfGE 96, 171; BAG 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120; 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 53 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 46; 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – BAGE 83, 181; 6. Juli 2000 – 2 AZR 543/99 – EzA BGB § 123 Nr. 55). Die Falschbeantwortung einer berechtigten Frage des öffentlichen Arbeitgebers nach einer Tätigkeit für das MfS kann geeignet sein, das Vertrauen in die Redlichkeit des betreffenden Arbeitnehmers zu zerstören. Je nach dem Grad der Verstrickung und dem daraus resultierenden Gewicht der pflichtwidrigen Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit kann der längere beanstandungsfreie Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zur Kündigung teilweise oder völlig entwertet worden sein (Senat 6. Juli 2000 – 2 AZR 543/99 – NZA 2001, 317). Es trifft auch grundsätzlich zu, daß für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB nicht notwendige Bedingung ist, daß die Vertragsverletzung schuldhaft erfolgt(BAG 21. Januar 1999 – 2 AZR 665/98 – BAGE 90, 367). Nicht berücksichtigt hat das Landesarbeitsgericht allerdings bei seiner Entscheidungsfindung, daß bei der sog. Fragebogenlüge Kündigungsgrund im wesentlichen der durch die Falschbeantwortung verursachte Vertrauensverlust ist. Regelmäßig führt nur eine schuldhafte Falschbeantwortung zu einem derart gravierenden Vertrauensverlust, daß auch eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem öffentlichen Arbeitgeber unzumutbar ist(vgl. BAG 16. September 1999 – 2 AZR 902/98 – nv.).
3. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, der Kläger habe für das MfS gearbeitet und sich nicht lediglich auf die Erfüllung seiner Dienstpflichten als Soldat beschränkt. Selbst wenn man der Revision darin folgt, die vom Kläger seitens des MfS geforderten Informationen hätten sich im wesentlichen auf seine Dienstpflichten bezogen (Verhinderung von Fahnenflucht und Militärstraftaten nebst entsprechender Vorbereitungshandlungen), so bestanden die Dienstpflichten des Klägers jedenfalls nicht darin, dieses Ziel durch Bespitzelung zu erreichen. Die berechtigten Fragen des Beklagten nach einer solchen Tätigkeit hätte der Kläger wahrheitsgemäß beantworten müssen.
4. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat.
a) Das jugendliche Alter des Klägers zur Zeit seiner Tätigkeit für das MfS ist vom Landesarbeitsgericht nicht erkennbar in die Interessenabwägung eingestellt worden. Schon dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Nr. 6 des StaSi-Unterlagengesetzes vom 20. Dezember 1991(BGBl. I S 2272) – StUG – erstreckt sich die Überprüfung von Personen im öffentlichen Dienst nicht auf Tätigkeiten für das MfS vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Diese Einschränkung ist ausdrücklich in das Gesetz mit der Begründung aufgenommen worden, es sei eine Sonderregelung für „Jugendsünden” angebracht. An dieser gesetzgeberischen Intention können die Gerichte nicht achtlos vorbeigehen(Senat 16. September 1999 – 2 AZR 902/98 – nv.). Der Kläger war zwar bei Beendigung seiner Tätigkeit für das MfS schon 20 Jahre alt. Er befand sich damit aber immerhin in einem Alter, in dem der Gesetzgeber lange Zeit noch keine Volljährigkeit angenommen hat und auch heute noch zB nach § 1 Abs. 2 JGG auf Straftaten das Erwachsenenstrafrecht nicht voll für anwendbar erklärt. Verschweigt ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter eine MfS-Tätigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahrs, so ist es dem öffentlichen Arbeitgeber jedenfalls bei einem nicht allzu gravierenden Maß der Verstrickung eher zumutbar, auf die Falschbeantwortung mit milderen Mitteln als mit einer fristlosen Kündigung – etwa mit einer Abmahnung oder einer ordentlichen Kündigung – zu reagieren, als wenn es sich um eine Tätigkeit für das MfS handelt, die unter keinen Umständen mehr als „Jugendsünde” abgetan werden kann.
b) Auch die Tatsache, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS während dessen Armeezeit ausgeübt worden ist, hat das Landesarbeitsgericht zwar berücksichtigt, aber als Entlastungsgesichtspunkt zu Gunsten des Klägers zu gering bewertet. Es hat insoweit allein darauf abgestellt, auch Berichte eines NVA-Angehörigen an das MfS über dienstliche Belange seien inoffizielle Arbeit für das MfS, wenn diese Berichte als inoffizieller oder gesellschaftlicher Mitarbeiter erstattet würden. In der vom Landesarbeitsgericht zitierten Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht(16. Oktober 1997 – 8 AZR 762/95 – NJ 1998, 334) es aber durchaus zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt, daß die MfS-Tätigkeit sich zeitlich auf die Wehrpflicht des Betreffenden bei der NVA beschränkte und die Berichte inhaltlich nicht über dienstliche Belange hinausgingen. Hier fällt insbesondere zu Gunsten des Klägers ins Gewicht, daß seine „Berufung” zu einer Tätigkeit für das MfS ausweislich der Komplexaufträge zunächst vor allem auf dienstliche Belange, also die Verhinderung von Fahnenflucht und Militärstraftaten zielte, die der Kläger im Zweifel auch dienstlich zu melden hatte. Gerade die Verknüpfung von Dienstpflicht und MfS-Tätigkeit etwa in der Person des Sicherheitsoffiziers darf bei der Beurteilung der Anwerbung und späteren Tätigkeit für das MfS und der viele Jahre später erfolgten Falschbeantwortung nicht völlig außer Betracht bleiben.
c) Damit greift es auch zu kurz, daß das Landesarbeitsgericht allein darauf abgestellt hat, für eine verhaltensbedingte Kündigung sei Verschulden nicht unbedingt erforderlich, und deshalb den Grad des Verschuldens des Klägers bei der Falschbeantwortung der Frage nach einer MfS-Tätigkeit nicht weiter geprüft hat. Auch wenn man zu Gunsten des Beklagten davon ausgeht – was die Revision in Zweifel zieht –, daß der Kläger bei der Falschbeantwortung schuldhaft gehandelt hat, kann eine Weiterbeschäftigung des Klägers dem Beklagten um so eher zumutbar sein, je geringer das Verschulden des Klägers zu bewerten ist, daß er gemeint hat, eine lange zurückliegende MfS-Tätigkeit im jugendlichen Alter während seiner Armeezeit verschweigen zu dürfen.
d) Die Interessenabwägung läßt, soweit sie in erster Linie auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Oktober 1997(– 8 AZR 762/95 – aaO) abstellt, auch nicht deutlich erkennen, ob zwischen dem Prüfungsmaßstab einer auf Anl. I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag und einer auf § 626 Abs. 1 BGB gestützten außerordentlichen Kündigung hinreichend klar unterschieden wird. Eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB setzt die Zukunftsprognose voraus, daß eine Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers dem Arbeitgeber auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß das Arbeitsverhältnis beanstandungsfrei über lange Jahre fortgesetzt worden ist, ehe der Beklagte von der Falschbeantwortung erfahren hat. Auf die erforderliche Abwägung, ob mildere Mittel, den Konflikt etwa durch eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung zu bereinigen, zur Verfügung standen, geht das Landesarbeitsgericht ausdrücklich nicht ein. Dies wäre aber angesichts der Gesamtumstände erforderlich gewesen.
5. Damit unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung und Zurückverweisung, damit eine fehlerfreie Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB nachgeholt werden kann.
Das Landesarbeitsgericht wird ggf. auch zu prüfen haben, ob bereits die MfS-Tätigkeit des Klägers eine außerordentliche Kündigung nach Anl. I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages rechtfertigt. Diese Prüfung, bei der der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum zusteht, in den der Senat nicht eingreifen möchte, hat das Landesarbeitsgericht bisher – aus seiner Sicht konsequent – unterlassen.
6. Soweit es danach noch auf das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Personalratsbeteiligung ankommt, ist darauf hinzuweisen, daß das Anhörungsschreiben nur ein wenig genaues Bild von dem zugrunde liegenden Sachverhalt gibt. Schon die Zeitangabe, der Kläger habe von 1981 bis 1982 als GMS für das MfS gearbeitet, trifft so keinesfalls zu, denn die Arbeit des Klägers für das MfS hat nur wenige Monate gedauert und war nach der Gauck-Auskunft schon im Oktober 1981 tatsächlich beendet. Auch der bloße Hinweis, dem Bezirkspersonalrat werde anheimgestellt, die Unterlagen der Gauck-Behörde im Oberschulamt einzusehen, konnte die erforderliche genauere Information des Bezirkspersonalrats über den Kündigungssachverhalt nicht ersetzen. Der Personalrat ist nicht gehalten, sich den Sachverhalt selbst aus ihm nicht vorgelegten Unterlagen zusammenzusuchen. Ob es ausreicht, daß in dem Anhörungsschreiben die Verpflichtungserklärung und die Anzahl der Treffen und Berichte erwähnt werden und dem Bezirkspersonalrat ausweislich seiner Stellungnahme offenbar bekannt war, der Kläger sei nur ca. 11 Monate für das MfS tätig gewesen und die Zusammenarbeit sei durch das MfS selbst wegen mangelnder Mitarbeit beendet worden, wird das Landesarbeitsgericht ggf. auf Grund des bisherigen Sach- und Streitstands und des nach der Zurückverweisung möglichen neuen Tatsachenvortrags zu entscheiden haben.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Fischermeier, Heise, Baerbaum
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.06.2001 durch Anderl, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NZA 2002, 168 |
ZTR 2002, 141 |
EzA |
RDV 2002, 81 |
NJOZ 2002, 385 |