hier: 1. Berücksichtigung des Sparer-Freibetrags bei den Einkünften aus Kapitalvermögen,
2. Berücksichtigung der Werbungskosten beim Arbeitsentgelt
Sachverhalt:
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 22.05.2003 - B 12 KR 13/02 R – (USK 2003-8) entschieden, dass für die Feststellung des Gesamteinkommens im Sinne der Regelungen zur Familienversicherung der "Sparer-Freibetrag" nach § 20 Abs. 4 EStG für Zeiten nach dem 31.12.1994 bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einkommensmindernd in Abzug zu bringen ist.
Damit setzt das BSG die Rechtsprechung zum Gesamteinkommen in Bezug auf die Nicht-Berücksichtigung steuerlicher Vergünstigungen für die Zeit ab 1995 nicht fort. Das BSG begründet seine Rechtsauffassung im Wesentlichen mit der Änderung des § 15 SGB IV durch das Agrarsozialreformgesetz - ASRG - (bis dahin waren nach Satz 2 dieser Vorschrift steuerliche Vergünstigungen bei der Feststellung des Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen) und der damit verfolgten Absicht des Gesetzgebers, eine volle Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens zu erreichen. Aus dieser Gesetzesänderung ergibt sich nach Ansicht des BSG, dass die Unbeachtlichkeit steuerlicher Vergünstigungen auch auf andere Einkommensarten, insbesondere auf das Gesamteinkommen so wie es im Bereich der Familienversicherung verwendet wird, ausstrahlt.
Das Urteil steht der bisherigen Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen (vgl. hierzu gemeinsames Rundschreiben "Einnahmen zum Lebensunterhalt und Gesamteinkommen" vom 14.03.2002) entgegen. Dementsprechend ist über die Bewertung des Sparer-Freibetrags bei der Feststellung des Gesamteinkommens im Sinne der Regelungen zur Familienversicherung neu zu beraten.
Der erkennende 12. Senat weist in seiner Urteilsbegründung - über die eigentliche Streitfrage hinaus - zudem auf gewisse Ungereimtheiten im Regelungsgeflecht zwischen dem Zugang zur Familienversicherung und dem Beitragsrecht der freiwilligen Krankenversicherung hin, die zu Anreizen führen können, das Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung entweder nicht auszuüben oder die freiwillige Mitgliedschaft aufzugeben, um in die beitragsfreie Familienversicherung zu gelangen. Es wird angeregt, über die aufgezeigten Ungereimtheiten ebenfalls zu beraten und dabei auch die vom BSG zumindest ansatzweise in Frage gestellte Fortgeltung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Werbungskosten beim Arbeitsentgelt zu erörtern.
Besprechungsergebnis:
- Die Spitzenverbände der Krankenkassen geben ihre bisherige Rechtssauffassung zur Bewertung des Sparer-Freibetrags auf. Bei der Feststellung des Gesamteinkommens im Sinne der Regelungen zur Familienversicherung ist der Sparer-Freibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einkommensmindernd in Abzug zu bringen. Die entsprechende Aussage in Abschnitt 2.1.3.2 des Gemeinsamen Rundschreibens "Einnahmen zum Lebensunterhalt und Gesamteinkommen" hat keine Gültigkeit mehr und wird geändert. Die geänderte Fassung des gemeinsamen Rundschreibens ist als Anlage zu TOP 5 der Niederschrift beigefügt.
- Die vom BSG allgemein beschriebenen Ungereimtheiten zwischen dem Zugang zur Familienversicherung und dem Beitragsrecht der freiwilligen Krankenversicherung (vgl. Ausführungen unter Punkt 4 der Urteilsbegründung), die auf die im jeweiligen Regelungsbereich unterschiedlichen Einkommensbegriffe zurückgehen, sind auch den Spitzenverbänden der Krankenkassen bekannt. Diesbezüglich kann nur der Gesetzgeber für eine gewisse Vereinheitlichung sorgen. Die in der Urteilsbegründung genannten Fallkonstellationen, die zu Anreizen führen können, das Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung entweder nicht auszuüben oder die freiwillige Mitgliedschaft aufzugeben, um in die beitragsfreie Familienversicherung zu gelangen, dürften fallzahlenmäßig keine große Bedeutung haben.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen stellen in diesem Zusammenhang klar, dass ihrer Ansicht nach bei der Feststellung des Gesamteinkommens das Arbeitsentgelt weiterhin um die Werbungskosten zu mindern ist (vgl. Urteile des BSG vom 20.06.1979 - USK 7976, vom 22.07.1981 - USK 81123, vom 26.10.1982 - USK 82151). Mit der Einziehung einer zweiten Einkommensgrenze in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 3 SGB V durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 ist keine Änderung der Rechtslage dergestalt eingetreten, dass vom 01.04.2003 an der Bruttobetrag des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen ist (also ohne Berücksichtigung von Werbungskosten; so wie er bei der Beurteilung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zugrunde gelegt wird). Eine solche Rechtsänderung hätte der Gesetzgeber - in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Bewertung des Arbeitsentgelts beim Gesamteinkommen - deutlich machen müssen.