Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnungsbescheid bei Streit über Anrechnung von Lohnsteuer
Leitsatz (NV)
Bei Streit über die Anrechnung von Lohnsteuer ist durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden.
Normenkette
EStG § 36 Abs. 2, § 42d Abs. 3 Nr. 2; AO 1977 § 218 Abs. 2; FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) legte mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1988 monatliche Gehaltsabrechnungen sowie die Lohnsteuerkarte 1988 vor, auf der der Bruttoarbeitslohn und die einbehaltene Lohnsteuer bescheinigt waren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erfaßte bei der Veranlagung zur Einkommensteuer den bescheinigten Bruttoarbeitslohn und rechnete auf die festgesetzte Einkommensteuer einen Abzug vom Lohn in geringerer Höhe als der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen an. Zur Begründung machte das FA geltend: Anrechenbar sei lediglich die Lohnsteuer, die auf den regelmäßigen Arbeitslohn des Klägers pro Monat entfalle. Für einige Monate seien von seiner Arbeitgeberin keine Lohnsteueranmeldungen abgegeben, sondern Schätzungsbescheide erlassen worden. Diesen habe das regelmäßige Monatsgehalt zugrunde gelegen. Die in diesen Monaten an den Kläger geleisteten Sonderzahlungen, von denen Lohnsteuer zwar einbehalten, aber nicht angemeldet worden sei, seien bei der Schätzung nicht berücksichtigt worden. Als Geschäftsführer der Arbeitgeberin habe der Kläger gewußt, daß die Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß angemeldet worden sei. Der Kläger könne deshalb gemäß § 42d Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch genommen werden.
Der Kläger legte gegen den Bescheid Einspruch ein und wandte sich u.a. dagegen, daß die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuer nicht angerechnet worden sei. Das FA wertete die Einwände des Klägers gegen die unterlassene Anrechnung der Lohnsteuer als Beschwerde gegen die Anrechnungsverfügung. Es teilte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. November 1984 I R 232/80 (BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216) mit, daß die Abrechnung unselbständiger Teil des Leistungsgebots und kein Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei.
Die Oberfinanzdirektion (OFD) sah als Gegenstand der Beschwerde die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen an und wies die Beschwerde als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger begehrte, das FA zu verpflichten, die einbehaltene und auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuer bei der Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr anzurechnen, statt.
Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Nach zwei Urteilen des I.Senats des BFH vom 28. April 1993 (I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836 und I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147), die erst nach Ergehen der Vorentscheidung veröffentlicht worden sind, muß das Finanzamt durch Erlaß eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 entscheiden, wenn Streit über die Höhe der gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG anzurechnenden Körperschaftsteuer besteht. Der I.Senat hat entschieden, im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 bestehe keine Bindung an eine zuvor erlassene Anrechnungsverfügung. §§ 130, 131 AO 1977 fänden insoweit keine Anwendung. Soweit bei einem Streit über die auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnende Körperschaftsteuer die OFD über eine nach ihrer Ansicht gegen die Anrechnungsverfügung eingelegte Beschwerde entschieden habe, befänden sich die Beteiligten im falschen Verfahren; das FG hätte das bei ihm anhängige Klageverfahren gemäß § 74 FGO aussetzen und dem FA den Erlaß eines Abrechnungsbescheides aufgeben müssen. Soweit das FG § 74 FGO unbeachtet gelassen habe, liege ein Verfahrensfehler vor, der die Grundordnung des Verfahrens betreffe. Aufgrund dieses Verfahrensfehlers sei die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die Aussetzung des Verfahrens nachholen könne (vgl. BFH in BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836).
Der erkennende Senat hat sich mit Urteil vom 18. Juni 1993 VI R 67/90 (BFHE 171, 515, BStBl II 1994, 182) der Auffassung des I.Senats angeschlossen und entschieden, daß im Falle eines Streits auch über die Anrechnung von Lohnsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG durch Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden sei.
Im Streitfall sind das FA, die OFD und das FG davon ausgegangen, daß der Streit über die Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuer im Verfahren gegen den Anrechnungsbescheid ausgetragen werden könne und ein Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 nicht zu erlassen sei. Da diese Rechtsansicht nach der Rechtsauffassung des BFH nicht zutreffend ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG wird das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen und dem FA Gelegenheit zu geben haben, einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 zu erlassen. Im Lichte der fortentwickelten Rechtsprechung des BFH ist das Begehren des Klägers, die einbehaltene und auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen, als Antrag auf Erlaß eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 zu deuten.
Fundstellen
Haufe-Index 419198 |
BFH/NV 1994, 862 |