Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Übergang einer Arbeitslohnforderung gemäß § 115 Abs. 1 SGB X: Zufluß des Arbeitslohnes, Entschädigung
Leitsatz (amtlich)
1. Der gesetzliche Übergang einer Arbeitslohnforderung gemäß § 115 Abs.1 SGB X verändert nicht deren Rechtsnatur.
2. Auch bei dem gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 115 Abs.1 SGB X fließt der übergegangene Betrag dem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in dem der Betrag beim Zessionar eingeht.
3. Eine Lohnnachzahlung ist keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a; SGB X § 115 Abs. 1; EStG § 24 Nr. 1a; LStR 1993 Abschn. 4 Abs. 1 S. 4 Hs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war laut Arbeitsvertrag vom 12.August 1976 für die Zeit vom 1.November 1976 bis zum 31.Oktober 1980 als wissenschaftlicher Angestellter an einer Technischen Hochschule (TH) beschäftigt. Unter dem 28.April 1980 bat der Kläger, sein Angestelltenverhältnis in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umzuwandeln. Daraufhin wurde ein weiterer befristeter Arbeitsvertrag bis zum 31.Oktober 1981 abgeschlossen. Im Mai 1981 beantragte der Kläger erneut, ihn in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die von dem Kläger erhobene Klage, mit der er beantragte festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis über den 31.Oktober 1981 hinaus fortbestehe, hatte letztendlich vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg (Urteil vom 7.Juni 1984 2 AZR 224/82).
Die infolgedessen von der TH an den Kläger im Jahr 1984 geleistete Zahlung betrug laut Eintragung auf der Lohnsteuerkarte für die Zeit vom 14.April 1982 bis zum 31.Dezember 1983 ... DM brutto. Von diesem Betrag überwies die TH einen Betrag in Höhe von ... DM unmittelbar an das Arbeitsamt, das in gleicher Höhe Arbeitslosengeld gezahlt hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) besteuerte den gesamten Betrag gemäß § 24 Nr.1 Buchst.a, § 34 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Auf den Einspruch der Kläger, die meinten, daß der an das Arbeitsamt überwiesene Betrag nicht als Lohn erfaßt werden dürfe, verböserte das FA --nach vorhergehendem Hinweis-- die Steuerfestsetzung, indem es die Begünstigung nach § 34 Abs.2 EStG versagte und stattdessen die nachträgliche Zahlung gemäß § 34 Abs.3 EStG auf die Jahre 1982 und 1983 verteilte.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus:
1. Die Überweisung der TH an das Arbeitsamt sei als Arbeitslohn zu erfassen; sie sei durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt. § 117 Abs.4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), demzufolge der Anspruch des Arbeitnehmers auf "die geschuldeten Leistungen" auf die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) übergehe, bringe klar zum Ausdruck, daß der Anspruch auf Zahlung von Arbeitslohn übergehe. Für die Beurteilung sei unerheblich, daß die Arbeitslohnforderung kraft Gesetzes übergegangen sei. Der Arbeitslohn sei dem Kläger in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem der neue Gläubiger ihn erhalten habe.
2. Eine Entschädigung gemäß § 24 Nr.1 Buchst.a EStG liege bereits deshalb nicht vor, weil die Nachzahlung der Erfüllung des laufenden Arbeitsvertrags gedient habe.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Sie machen insbesondere geltend:
1. Die Zahlungen seien nicht als Gehaltsnachzahlungen zu qualifizieren. Der Arbeitgeber habe in Anerkennung der Situation unter Billigkeitsgesichtspunkten dafür eine Entschädigung gezahlt, daß der Kläger in der Zwischenzeit keine Lohnzuflüsse gehabt habe und den dadurch entstandenen Schaden ausgeglichen. Es habe ein "faktisches Nichtarbeitsverhältnis" bestanden. Ein Annahmeverzug seitens der TH habe nicht vorgelegen; der Kläger habe seine Dienste nicht angeboten. Wirtschaftlich betrachtet sei durch das Urteil des BAG ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden.
2. Den Mittelzufluß beim Arbeitsamt könne man nicht mehr als einen Akt der Lohnverwendung durch den Kläger ansehen. Die Bescheide über die Arbeitslosenunterstützung seien nicht aufgehoben worden. Dem Kläger sei durch den gesetzlichen Forderungsübergang jede Verfügungsmöglichkeit genommen. Zugeflossen sei allein die Arbeitslosenunterstützung.
Hilfsweise rügen die Kläger mangelnde Sachverhaltsaufklärung. Im Urteil sei positiv nicht festgestellt worden, daß der Arbeitnehmer bereit und imstande gewesen sei, seine Dienste zu erbringen und daß er diese Dienste angeboten habe.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
und trägt vor:
1. Die Auffassung des FG, daß keine Entschädigung vorliege, stimme mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) überein (Urteil vom 20.Oktober 1978 VI R 107/77, BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176). Es sprächen keine Umstände für eine wie auch immer geartete Schadenersatzleistung.
2. Zutreffend sei auch die Beurteilung des FG, daß der an das Arbeitsamt ausgezahlte Betrag Arbeitslohn des Klägers darstelle. Entgegen der Auffassung der Kläger sei durch das Urteil des BAG festgestellt worden, daß das Arbeitsverhältnis über den 31.Oktober 1981 hinaus unbefristet fortbestehe. Die Konstruktion der Kläger beruhe auf der unzutreffenden Annahme, daß ein Arbeitsverhältnis nur dann bestehe, wenn eine Beschäftigung tatsächlich ausgeübt werde.
3. Der Forderungsübergang habe keine Novation bewirkt. Dem Zufluß stehe weder entgegen, daß die Leistung an einen Dritten bewirkt worden sei noch daß die BfA den Anspruch aus eigener (gesetzlicher) Forderungszuständigkeit geltend gemacht habe. Auch für die Frage der Einkunftszurechnung sei --§ 412 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vergleichbar-- davon auszugehen, daß zwischen Abtretung und gesetzlichem Forderungsübergang kein Unterschied bestehe. Die Anwendbarkeit der Abtretungsvorschriften mache deutlich, daß trotz des Übergangs die wirtschaftlichen und rechtlichen Vorschriften des Zedenten maßgeblich blieben. Auch die Rechtsprechung des BAG habe trotz des gesetzlichen Forderungsübergangs --zumindest im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses-- ein Fortbestehen der Verfügungsmacht angenommen (vgl. BAG-Urteil vom 29.August 1968 5 AZR 424/67, Betriebs- Berater --BB-- 1968, 1330). Für die Annahme des Zuflusses spreche schließlich auch, daß der Arbeitslose das Arbeitslosengeld erstatten müsse, wenn der Arbeitgeber trotz des Rechtsübergangs an ihn oder einen Dritten mit befreiender Wirkung gezahlt habe. In diesem Fall habe der Arbeitnehmer unbestreitbar zunächst Verfügungsmacht erlangt. Die Beurteilung könne aber nicht davon abhängen, ob der Arbeitgeber den Forderungsübergang beachte oder nicht.
4. Die bisher anderslautende Verwaltungsanweisung (Abschn.1 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien --LStR-- 1984 und 1987) sei nunmehr durch Abschn.4 Abs.1 Satz 3 LStR 1990 überholt. Nunmehr werde die Auffassung vertreten, daß etwaige spätere Zahlungen des Arbeitgebers an das Arbeitsamt aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs steuerpflichtiger Arbeitslohn seien.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Nachzahlung, die der Kläger im Streitjahr erhalten hat, ist Arbeitslohn und gehört gemäß § 19 Abs.1 EStG i.V.m. § 2 Abs.1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Mit dem Urteil vom 7.Juni 1984 hat das BAG für Recht erkannt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der TH über den 31.Oktober 1981 hinaus unbefristet fortbesteht. Dieser Entscheidung entsprechend zahlte die TH dem Kläger --ausweislich der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte-- für den Zeitraum vom 14.April 1982 bis 31.Dezember 1983 Lohn in Höhe von ... DM nach. Diese Einnahmen sind dem Kläger aus dem Dienstverhältnis mit der TH zugeflossen (vgl. § 2 Abs.1 Satz 2 LStDV).
2. Auch der unmittelbar dem Arbeitsamt überwiesene Betrag in Höhe von ... DM ist dem Kläger als Arbeitslohn zuzurechnen. Gemäß § 115 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch (SGB X) geht in Fällen dieser Art der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger über. Diese Regelung sichert die Interessen des Leistungsträgers, dem --unter Umgehung des Arbeitnehmers-- ein unmittelbarer Anspruch gegen den Arbeitgeber eingeräumt wird. Der --sozialrechtlich bedingte-- Forderungsübergang hat aber keinen Einfluß auf die steuerrechtliche Beurteilung und löst nicht den Zusammenhang der Zahlung mit dem Arbeitsverhältnis (BAG-Urteil vom 12.Juli 1989 5 AZR 501/88, Der Betrieb --DB-- 1990, 278; so nunmehr auch Abschn.4 Abs.1 Satz 4, 2.Halbsatz LStR 1993; ähnlich für den Fall der Pfändung des Arbeitslohns Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 17.Juni 1931 VI A 848/31, RStBl 1931, 632). Durch den Forderungsübergang werden nur die Zahlungswege verkürzt und gesichert. Steuerlich bleibt der entsprechende Betrag Arbeitslohn, der dem Bezieher als demjenigen, der den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklicht hat, zuzurechnen ist.
3. Dieser Betrag ist dem Kläger im Streitjahr zugeflossen. Gemäß § 11 Abs.1 Sätze 1 und 3, § 38a Abs.1 Satz 3 EStG sind Einnahmen (sonstige Bezüge) innerhalb des Kalenderjahrs bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Ähnlich wie bei rechtsgeschäftlicher Abtretung oder Pfändung einer Forderung (vgl. BFH-Urteil vom 30.Januar 1975 IV R 190/71, BFHE 115, 559, BStBl II 1975, 776) fließt der Betrag bei gesetzlichem Forderungsübergang dem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in dem beim Zessionar die Zahlung eingeht (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 25.März 1969 IV 146/68, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1969, 538; Birk, in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20.Aufl., § 11 EStG Anm.58; Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 11 Rdnr. B 135; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., 1992, § 11 Anm.5 "Forderung" und "Pfändung/Verpfändung").
4. Das FG hat zu Recht die Nachzahlung nicht als Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG beurteilt. § 24 Nr.1 Buchst.a EStG erfaßt nur Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden (vgl. BFH-Urteil vom 9.Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27). Die Nachzahlung ist aber keine auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhende Ersatzleistung, sondern dient der Erfüllung des unbefristet fortbestehenden Arbeitsverhältnisses.
5. Die Rüge unzureichender Sachaufklärung greift nicht durch. Der von den Klägern als weiter aufklärungsbedürftig angesehene Sachverhalt ist für die Entscheidung des Streitfalls ohne Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 64719 |
BFH/NV 1993, 47 |
BStBl II 1993, 507 |
BFHE 171, 70 |
BFHE 1994, 70 |
BB 1993, 1208 (L) |
DB 1993, 1402-1403 (LT) |
DStR 1993, 945 (KT) |
HFR 1993, 516 (LT) |
StE 1993, 327 (K) |