Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des „häuslichen Arbeitszimmers“
Leitsatz (amtlich)
Ein "häusliches Arbeitszimmer" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist ein Raum, der seiner Lage nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und nach Ausstattung und Funktion der Erledigung betrieblicher oder beruflicher Arbeiten vorwiegend büromäßiger Art dient.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist, in welchem Umfang die Aufwendungen für einen Raum, den der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) für seine selbständige Arbeit als Texter und Komponist im Souterrain der angemieteten Wohnung unterhält, als Betriebsausgaben abziehbar sind.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 1996 ―wie in den Vorjahren― Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Geschäftsführer einer GmbH zur Herstellung von Druckerzeugnissen. Davon unabhängig erzielte er Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit (Schallplatten-Herstellung und deren Vertrieb) sowie aus künstlerischer Tätigkeit als Texter und Komponist. Die Einnahmen aus Gewerbebetrieb beliefen sich im Veranlagungszeitraum 1995 auf 37 667 DM, 1996 auf 59 000 DM und 1997 auf 52 524 DM, die aus künstlerischer Tätigkeit 1995 auf 5 837 DM, 1996 auf 12 467 DM und 1997 auf 5 234 DM. Seine Texte und Kompositionen bringt der Kläger über den Schallplattenvertrieb, aber auch durch Bühnenaufführungen auf den Markt. Die selbständige Tätigkeit nimmt nach seiner Einschätzung 40 v.H. seiner Gesamtarbeitszeit in Anspruch. Die Texte und Kompositionen werden in einem von der Wohnung abgetrennten im Souterrain gelegenen Raum erstellt. Dieser Raum wird ausschließlich betrieblich genutzt; er ist mit einem Schreibtisch, diversen Musikinstrumenten und den notwendigen elektronischen Hilfsmitteln ausgestattet. Die anteiligen Mietkosten in Höhe von 6 554,52 DM machte der Kläger in voller Höhe als Betriebsausgaben bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit geltend.
Unter Hinweis auf § 4 Abs. 5 Nr. 6b Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) nur Aufwendungen in Höhe von 2 400 DM zum Abzug zu. Den Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die Klage hatte Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 264 veröffentlicht. Im Wege verfassungskonformer Auslegung sei § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG in der Weise zu verstehen, dass nur typische häusliche Arbeitszimmer von der Regelung erfasst würden, dass aber ―wie im Streitfall― ein betrieblicher Arbeitsraum, der die einzige Betriebsstätte des Klägers bilde, von der Regelung nicht erfasst werde.
Mit der Revision macht das FA geltend:
1. Die vom FG geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken am Zustandekommen des Gesetzes durch Einschaltung des Vermittlungsausschusses seien nicht begründet.
2. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in der Entscheidung vom 23. September 1999 VI R 74/98 (BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7) zutreffend ausgeführt habe, sei der Wortlaut des Gesetzes "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" eindeutig. Das FG ändere den Wortlaut im Sinne von "betriebliche oder berufliche Betätigung".
3. § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG sei nicht verfassungswidrig. Entgegen der Auffassung des FG seien Betriebs- oder Praxisräume nicht aus der Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG herauszunehmen. Die Neuregelung sei eine Spezialregelung zu § 12 EStG; sie diene der sachgerechten Abgrenzung des beruflichen und des privaten Bereichs und der Erleichterung des Verwaltungsvollzugs.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Im Fall der BFH-Entscheidung in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7 habe es sich ―im Unterschied zum Streitfall― um mehrere nebeneinander ausgeübte nichtselbständige Tätigkeiten gehandelt. Eine Übertragung der Regelungen für ein häusliches Arbeitszimmer auf eine Betriebsstätte sei rechtswidrig. Ein Risiko tragender Selbständiger könne nicht einem "Nur"-Arbeitnehmer gleichgestellt werden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Auslegung des Merkmals "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" in § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 3 EStG durch das FG ist rechtsfehlerhaft.
1. Gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen ―so Satz 3― wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
2. Vor Einführung der Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250) verwendete der BFH den Begriff des häuslichen Arbeitszimmers im Sinne eines Arbeitsraumes, der seiner Funktion und Ausstattung nach der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten diente. Das zentrale Möbelstück des jeweiligen Raumes war in den entschiedenen Fällen nahezu ausschließlich der Schreibtisch. Darüber hinaus waren die Räume regelmäßig mit Bücher- und Aktenschränken bzw. -regalen, Aktenbock und ähnlichen "Büromöbeln" sowie mit Büchern, Aktenordnern, Schreibmaschinen bzw. (in späteren Entscheidungen) Computern und ähnlichen Arbeitsmitteln ausgestattet (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 1961 I 256/60 U, BFHE 72, 513, BStBl III 1961, 187; vom 30. März 1989 IV R 45/87, BFHE 156, 204, BStBl II 1989, 509; vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, BFH/NV 1994, 701; vom 9. November 1995 IV R 60/92, BFHE 179, 103, BStBl II 1996, 192; Beschluss vom 8. Dezember 1994 IV B 34/94, BFH/NV 1995, 595).
Demgegenüber wurden Räume, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht einem Büro entsprachen ―wie beispielsweise eine Werkstatt (BFH-Urteile vom 22. Juni 1961 IV 277/59, Der Betrieb ―DB― 1961, 1375; vom 19. August 1998 XI R 90/96, BFH/NV 1999, 41), ein Lagerraum (BFH-Urteile in DB 1961, 1375; vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208), die Praxisräume einer Sprachpädagogin (BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 93/94, BFH/NV 1995, 875) oder die Notfallpraxis eines Arztes (BFH-Urteil vom 30. August 1994 IX R 126/92, BFH/NV 1995, 764)― nicht als häusliche Arbeitszimmer bezeichnet, sondern als Werkstatt, Lager oder Praxis.
Ein häusliches Arbeitszimmer ist danach ein zur Wohnung gehörender Raum, in dem betriebliche/berufliche Arbeiten gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Art erledigt werden, wenn er eine bauliche Einheit mit dem Wohnteil bildet und damit grundsätzlich zum privaten Bereich des Steuerpflichtigen gehört. Die unmittelbare Verbindung mit der Wohnung ist nicht erforderlich; auch ein Mansardenzimmer oder ein Kellerraum im selben Haus stehen zu der Wohnung noch in einer räumlichen Verbindung, die sie als häusliches Arbeitszimmer einordnen lässt (Broudré in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 4 EStG Anm. 1511; Blümich/Wacker, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 285 l). Das "häusliche Arbeitszimmer" ist ein Raum, der seiner Lage nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und nach Ausstattung und Funktion der Erledigung betrieblicher oder beruflicher Arbeiten vorwiegend büromäßiger Art dient. Für seine Qualifizierung ist es ohne Bedeutung, ob der Raum eine Betriebsstätte i.S. des § 12 der Abgabenordnung (AO 1977) darstellt.
Ob ein Raum als häusliches Arbeitszimmer anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7.
3. Entgegen der Auffassung des FG ist die Regelung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 3 2. Halbsatz EStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und bedarf keiner verfassungskonformen Auslegung. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein häusliches Arbeitszimmer aufgrund seiner Eigenart eine gewisse Nähe zum privaten Wohnen hat; diesen Umstand, der gemäß § 12 Nr. 1 EStG zu einem vollständigen Abzugsverbot führen kann (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17), nimmt er berechtigterweise zum Anlass, die Abziehbarkeit der Aufwendungen zu beschränken. Dabei stellt der Gesetzgeber nicht auf eine konkrete Privatnutzung des Arbeitszimmers ab, sondern trifft eine abgestufte typisierende Regelung, die ―ungeachtet des konkreten Sachverhalts― von gewissen typischen Erscheinungsformen ausgeht. Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 2 EStG wird die Abziehbarkeit entsprechender Aufwendungen unter gewissen Voraussetzungen auf 2 400 DM begrenzt. Dieser Abzug wird nur in den Fällen gewährt, in denen aufgrund des Umfangs der Tätigkeit oder des Fehlens eines anderen Arbeitsplatzes die Nähe zum Privatbereich vernachlässigt werden kann. Nur in den Fällen, in denen das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Betätigung bildet, können die Aufwendungen unbeschränkt abgezogen werden.
Soweit in der Literatur (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., 2001, § 4 Rz. 596; Broudré, a.a.O., Anm. 1568; Blümich/Wacker, a.a.O., Rz. 285 n) gegen diese Regelung verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden, kann der Senat dem nicht folgen (so bereits BFH-Urteil in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7). Die Regelung führt nicht zu einer systemfremden Vermengung unterschiedlicher Einkunftstatbestände. Nur wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet, ist es gerechtfertigt, den Abzug von Erwerbsaufwendungen uneingeschränkt zuzulassen, da nur in diesem Fall die Nähe zum privaten Wohnbereich vollständig überlagert wird. Die Regelung verletzt damit auch nicht das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, da der Gesetzgeber in angemessener, differenzierender, wenn auch typisierender Weise die Nähe zum Privatbereich berücksichtigt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BStBl II 2000, 162).
4. Im Streitfall erlauben die vom FG getroffenen Feststellungen keine abschließende Entscheidung, ob der vom Kläger für seine selbständige Arbeit genutzte Raum im Souterrain als häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG anzusehen ist. Der Senat kann nicht beurteilen, ob der Raum ein Tonstudio darstellt oder nach Ausstattung und Funktion als häusliches Büro in dem oben dargestellten Sinne zu qualifizieren ist. Das FG wird in tatsächlicher Hinsicht im Einzelnen genau festzustellen haben, wie der Raum im Streitjahr 1996 eingerichtet und ausgestattet war, ob ihm die technischen Einrichtungen der Art und dem Umfang nach das Gepräge gaben und ob z.B. eventuelle Schallschutzmaßnahmen den Eindruck des Raums beeinflussten. Von Bedeutung kann bei der notwendigen Abgrenzung auch sein, ob und in welchem Umfang Publikumsverkehr stattfand und ob fremdes Personal in dem Raum tätig geworden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 881482 |
BFH/NV 2003, 385 |
BStBl II 2003, 185 |
BFHE 2003, 27 |
BFHE 201, 27 |
DB 2003, 367 |
DStR 2003, 146 |
DStRE 2003, 255 |
HFR 2003, 334 |