Entscheidungsstichwort (Thema)
Preisvorteil aus einer gesetzlich angeordneten Aktienüberlassung an Arbeitnehmer als Arbeitslohn
Leitsatz (NV)
Werden einem Arbeitnehmer nach Maßgabe eines staatlichen Privatisierungsgesetzes Aktien eines ehemals staatlichen Unternehmens, das zu derselben Unternehmensgruppe wie das Arbeitgeber-Unternehmen gehört, unentgeltlich oder verbilligt überlassen, handelt es sich bei dem Preisvorteil dann um Arbeitslohn, wenn die Möglichkeit des unentgeltlichen oder verbilligten Erwerbs nur solchen Arbeitnehmern eingerä umt wird, die bei einem der Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmen beschäftigt sind oder waren.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war Arbeitnehmer einer GmbH (im folgenden: GmbH). Die GmbH war Organgesellschaft des ehemals im Eigentum des französischen Staates stehenden Unternehmens (im folgenden: C). Der Ehemann der Klägerin hatte im Jahre 1987 Aktien der C zu einem Vorzugspreis und im Jahre 1990 Gratisaktien der C erworben.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) vertrat die Auffassung, die verbilligte bzw. unentgeltliche Überlassung der Aktien durch den bisherigen Anteilseigner stelle einen steuerpflichtigen geldwerten Vorteil i. S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar. Er erließ geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen jeweils der -- in seiner Höhe zwischen den Beteiligten nicht streitige -- geldwerte Vorteil als Arbeitslohn erfaßt wurde.
Die Klägerin wandte demgegenüber ein, Arbeitslohn liege nicht vor. Denn nicht die C habe den Preisvorteil gewährt, sondern der französische Staat, der damalige Anteilseigner der C. Hinzu komme, daß die Aktien nicht nur Beschäftigten und Pensionären der Organgesellschaften angeboten worden seien, sondern auch Beschäftigten anderer Firmen, die außerhalb des Konzerns beschäftigt seien, sofern sie nur früher einmal innerhalb des Konzerns Arbeitnehmer gewesen seien.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die angefochtenen Änderungsbescheide auf. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 474 veröffentlicht.
Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Es macht geltend, ungeachtet der vom Anteilseigner -- dem französischen Staat -- mit der verbilligten oder unentgeltlichen Überlassung der Aktien verfolgten Zwecke habe ein erhebliches Eigeninteresse der Arbeitnehmer an der Erlangung des Vorteils bestanden. Wesentlich sei, daß die Vergünstigungen nur den aktiven oder ehemaligen Arbeitnehmern der Unternehmensgruppe zugänglich gewesen seien.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, daß der französische Staat fremder Dritter sei. Er habe für seine Vorgehensweise politische, vor allem sozialpolitische Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Es sei darum gegangen, die Aktien problemlos auf dem Kapitalmarkt unterzubringen. Um hier für weite Arbeitnehmerschichten einen Anreiz zu schaffen, seien den (ehemaligen) Arbeitnehmern der zur C-Gruppe gehörenden Gesellschaften Rabatte angeboten worden. Unter diesen Umständen könne kein Arbeitnehmer den daraus erlangten Vorteil als Frucht seiner Dienstleistung für seinen Arbeitgeber betrachten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Die angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheide sind rechtmäßig. Entgegen der Ansicht des FG ist der geldwerte Vorteil, der in der verbilligten Überlassung von Aktien im Jahr 1987 und in der Ausgabe von Gratisaktien im Jahr 1990 durch den französischen Staat an den Ehemann der Klägerin gelegen hat, durch das Dienstverhältnis veranlaßt und mithin Arbeitslohn i. S. der §§ 8, 19 Abs. 1 EStG.
1. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG alle "Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden". Der Bundesfinanzhof (BFH) hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, daß Arbeitslohn jeder geldwerte Vorteil ist, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlaßt ist (vgl. BFH- Urteile vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39; vom 11. März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726; vom 2. Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II 1990, 472, 473). Auch Zuwendungen Dritter können Arbeitslohn sein. Bei diesen ist nach der Rechtsprechung des BFH ein Veranlassungszusammenhang zwischen Vorteil und Dienstverhältnis anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer einen erhaltenen Vorteil vernünftigerweise wirtschaftlich als Frucht seiner Dienstleistung für den Arbeitgeber betrachten muß (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 1996 VI R 10/96, BFHE 180, 441).
2. Im Streitfall hat das FG zu Recht angenommen, daß in der verbilligten Überlassung der Aktien im Jahr 1987 und in der Ausgabe von Gratisaktien im Jahr 1990 durch den französischen Staat an den Ehemann der Klägerin ein geldwerter Vorteil gelegen hat. Entgegen der Auffassung des FG ist die Zuwendung dieses geldwerten Vorteils durch den französischen Staat, den Anteilseigner, aber durch das individuelle Dienstverhältnis des Ehemannes der Klägerin zu der GmbH veranlaßt und somit Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
a) Der Ehemann der Klägerin mußte die ihm eingeräumte Möglichkeit, verbilligt oder kostenlos Aktien zu erwerben, unter Berücksichtigung der dafür aufgestellten Bedingungen als Frucht seiner Leistung für den Arbeitgeber ansehen. Denn zum Erwerb der Aktien zu einem Vorzugspreis oder zum kostenlosen Erwerb waren nur solche Arbeitnehmer berechtigt, die gegenwärtig oder für mindestens 5 Jahre in der Vergangenheit bei einem Unternehmen beschäftigt waren, das der Unternehmensgruppe C angehört.
Der Senat vermag dem FG nicht in der Auffassung zu folgen, ein Veranlassungszusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis liege u. a. deshalb nicht vor, weil auch solche Arbeitnehmer der Unternehmensgruppe C zu einem verbilligten oder kostenlosen Erwerb berechtigt gewesen seien, deren Beschäftigungsverhältnis zu einem der Unternehmensgruppe angehörenden Arbeitgeber bereits vor langer Zeit, z. B. vor 16 Jahren, beendet worden sei. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß bei den ausgeschiedenen Arbeitnehmern Voraussetzung für den Erwerb der Aktien zu dem angebotenen Vorzugspreis war, daß sie mindestens für die Dauer von 5 Jahren in der Unternehmensgruppe C beschäftigt gewesen sein müssen. Damit war aber auch für die ausgeschiedenen Arbeitnehmer erkennbar, daß ihnen der Preisvorteil ausschließlich aufgrund ihrer früheren Tätigkeit für einen Arbeitgeber gewährt wurde, der der Unternehmensgruppe C angehört hat, mithin zwischen dieser früheren Tätigkeit und dem angebotenen Vorzugspreis ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang bestand.
b) Zwar wurden die Aktien nach Maßgabe eines staatlichen Privatisierungsgesetzes überlassen. Dies allein spricht jedoch nicht gegen einen Veranlassungszusammenhang zwischen dem geldwerten Vorteil und dem individuellen Arbeitsverhältnis. Denn für die Entscheidung der Frage, ob die verbilligte oder unentgeltliche Überlassung von Aktien einer bestimmten Gesellschaft durch den bisherigen Eigentümer zu Arbeitslohn führt, kann nicht ausschlaggebend sein, ob der überlassende Anteilseigner die öffentliche Hand oder eine Privatperson ist. Eine derartige Differenzierung würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern der öffentlichen Hand einerseits und der Privatwirtschaft andererseits führen. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Preisvorteile aufgrund eines Gesetzes oder einer privatrechtlichen Zusage gewährt worden sind. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob mit der gesetzlichen Regelung übergeordnete volkswirtschaftliche oder sozialpolitische Zwecke verfolgt und deshalb unter Wahrung des für den Gesetzgeber bestehenden Gleichbehandlungsgebots staatliche Subventionen gewährt oder ob nur aktive und ehemalige Arbeitnehmer einer bestimmten Unternehmensgruppe begünstigt werden sollen. Im Streitfall trifft letzteres zu.
In der verbilligten Überlassung von Hausgrundstücken, die mit Mitteln der Kohlenabgabe gefördert wurden, an Arbeitnehmer von Bergbauunternehmen hat der Senat allerdings eine allgemeine staatliche Subvention und keinen Arbeitslohn gesehen (BFH- Urteil vom 25. Mai 1992 VI R 18/90, BFHE 169, 22, BStBl II 1993, 45). Der Streitfall unterscheidet sich aber davon. So war die Bundesrepublik Deutschland nicht Anteilseigner der Bergbauunternehmen. Der den Grundstückserwerbern gewährte Vorteil wurde aus einer besonderen und zu diesem Zweck erhobenen öffentlichen Abgabe finanziert. Auch hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit des verbilligten Grundstücks erwerbs allen Arbeitnehmern dieser Branche, die er im übergeordneten volkswirtschaftlichen Interesse als besonders förderungswürdig erachtet hatte, und nicht etwa nur den Arbeitnehmern einer bestimmten Unternehmensgruppe angeboten. Demgegenüber hat der französische Staat in seiner Eigenschaft als bisheriger Anteilseigner den Aktienerwerb zu einem Vorzugspreis oder ohne Entgelt ausschließlich den Arbeitnehmern solcher Arbeitgeber angeboten, die derselben Unternehmensgruppe angehören wie das Unternehmen, dessen Aktien überlassen wurden.
Zutreffend weist das FA darauf hin, daß die vom französischen Staat mit der verbilligten oder kostenlosen Aktienüberlassung außerdem angestrebten Ziele -- problemlose Aufnahme der Aktien vom Kapitalmarkt, Vermeidung von größeren Paketbildungen sowie Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand -- ebenso durch die Herausgabe von verbilligten Volksaktien hätten erreicht werden können. Angesichts dieser Möglichkeit, die übergeordneten volkswirtschaftlichen Interessen zu verwirklichen, läßt sich der Umstand, daß der Erwerb der Aktien zum Vorzugspreis oder ohne Entgelt ausschließlich solchen (ehemaligen) Arbeitnehmern angeboten worden ist, deren Arbeitgeber der Unternehmensgruppe C angehören, nur mit der Absicht des bisherigen Anteilseigners erklären, diese für ihre der Unternehmensgruppe C erbrachten Leistungen zu belohnen.
c) Da die Arbeitnehmer frei und ohne irgendwelche nachteiligen Konsequenzen im Falle eines negativen Ergebnisses entscheiden konnten, ob sie die Aktien zu einem Vorzugspreis erwerben wollten, kann das Vorliegen steuerpflichtigen Arbeitslohnes auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. aufgedrängten Bereicherung abgelehnt werden (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1986 VI R 73/83, BFHE 148, 61, BStBl II 1987, 142, 143 f.).
3. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da über die Höhe des geldwerten Vorteils kein Streit besteht, ist die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 65813 |
BFH/NV 1997, 179 |