Leitsatz (amtlich)
Einkünfte, die eine Entlohnung für eine Tätigkeit darstellen, die sich über mehrere Jahre erstreckt, können nach § 34 Abs. 3 EStG nur auf die Jahre verteilt werden, in denen der Empfänger der unbeschränkten inländischen Einkommensteuerpflicht unterliegt.
Normenkette
EStG §§ 1, 11 Abs. 1, § 34 Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 4; DBA-Niederlande vom 16. Juni 1959 Art. 3; DBA-Niederlande vom 16. Juni 1959 Art. 12 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Navigator bei einer niederländischen Luftfahrtgesellschaft beschäftigt. Er wurde zum 31. Dezember 1967 pensioniert. Im Jahr 1968 war er als Navigator Instructor bei einer deutschen Fluggesellschaft auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt am Main tätig. Er mietete am 15. Dezember 1967 in A eine Dreizimmerwohnung. Er meldete sich an seinem bisherigen Wohnort in den Niederlanden zum 2. Januar 1968 polizeilich ab und in A zum 1. Januar 1968 an. Seine Möbel ließ er Ende Januar 1968 nach A bringen. Er wohnte dort mit seiner Ehefrau von Ende Januar 1968 bis Juli 1969. Er stellte am 9. Dezember 1967 beim Pensionsfonds der holländischen Fluggesellschaft den Antrag, statt der am 1. Januar 1968 beginnenden laufenden Pensionszahlungen einen einmaligen Betrag zu leisten. Diesem Antrag wurde am 15. Januar 1968 stattgegeben. Die Abfindungssumme von ... DM wurde in zwei Teilbeträgen im März 1968 und Ende Dezember 1968 gezahlt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erfaßte im Berichtigungsbescheid vom 3. August 1970 die Pensionsabfindung von ... DM und hierauf entfallene Einkünfte aus Kapitalvermögen in der geschätzten Höhe von ... DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, das FA habe die Abzüge zu Recht nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA-Niederlande) vom 16. Juni 1959 (BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382) der deutschen Lohnsteuer unterworfen, da der Kläger die Abfindung mit der Auszahlung im März 1968 bezogen und zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik seinen Wohnsitz gehabt habe. Der Pensionsfonds der holländischen Fluggesellschaft habe im Schreiben vom 28. Mai 1971 bestätigt, daß die Abfindung erst im März 1968 habe ausgezahlt werden können, weil vom Kläger noch einige Formalitäten zu erfüllen gewesen seien. Der Kläger habe mithin vor diesem Zeitpunkt über die Abfindung nicht verfügen können. Welche Formalitäten der Kläger haber erledigen müssen, könne dahingestellt bleiben. Sie seien jedenfalls für den Pensionsfonds so bedeutungsvoll gewesen, daß er die Auszahlung der Abfindung hieran geknüpft habe. Der Kläger habe seinen Wohnsitz im Streitjahr 1968 nicht in den Niederlanden gehabt. Er habe vielmehr seine Wohnung in A ab 1. Januar 1968 genutzt und spätestens Ende Januar 1968 seine Ehefrau und seine Möbel nachgeholt. Von dort aus sei er zu seinem Arbeitsplatz am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen gefahren. Der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, die es rechtfertigen könnten, seine Wohnung in den Niederlanden, die er beibehalten habe, im Jahr 1968 als seinen Wohnsitz anzusehen. Da er das ganze Jahr über auf dem Rhein-Main-Flughafen gearbeitet habe, könne er die Wohnung in den Niederlanden mit Ausnahme seines Urlaubs nicht benutzt haben. Selbst wenn er neben seinem Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland noch einen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt hätte, wäre nach Art. 3 Abs. 3 DBA-Niederlande der Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland allein maßgebend, weil sich dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers im Jahr 1968 befunden habe.
Der Kläger rügt mit der Revision Verletzung des § 11 EStG und das Vorliegen von Verfahrensmängeln. Er führt aus, nach der steuerrechtlichen Literatur (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 11 EStG Randziff. 5, und Grieger, DStZ A 1962, 49) könne es im Einzelfall zweifelhaft sein, wann ein "Zufließen" von Arbeitslohn anzunehmen sei, da der Begriff sich einer eindeutigen, für alle Fälle anwendbaren Definition entziehe. Der BFH habe im Urteil vom 21. Oktober 1960 VI 238/58 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 84) betont, es müsse wirtschaftlich gesehen eine verfügungsfähige Vermehrung des Vermögens des Steuerpflichtigen eingetreten sein. Diese Voraussetzungen hätten im Streitfall im Dezember 1967 vorgelegen. Eine Bank hätte dem Kläger zu diesem Zeitpunkt auf den Pensionsanspruch Kredit gewährt. Eine zu enge Auslegung des Begriffs "Zufließen" i. S. des § 11 EStG sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der deutsche Steuerfiskus sonst eine Einkommensteuer auf eine Pensionsabfindung erhalte, die sich ausschließlich auf seine frühere Tätigkeit in den Niederlanden beziehe. Das FG messe der Mitteilung des Pensionsfonds vom 28. Mai 1971 besondere Bedeutung bei, nach der die Abfindung erst im März 1968 habe ausgezahlt werden können, weil von ihm noch einige Formalitäten zu erfüllen gewesen seien; denn daraus ergebe sich, daß er vor diesem Zeitpunkt über die Abfindung nicht habe verfügen können. Wenn das FG die Formalitäten, die zur Verzögerung der Auszahlung geführt hätten, für so wesentlich halte, hätte es aufklären müssen, welche Formalitäten er habe erledigen müssen. Im Unterlassen der Aufklärung liege ein wesentlicher Verfahrensmangel.
Der Kläger beantragt, die Einkommensteuer 1968 unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung in Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1968 vom 3. August 1970 herabzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Ob die streitige Abfindung der deutschen Lohnsteuer unterliegt, richtet sich nach den Vorschriften des DBA-Niederlande vom 16. Juni 1959. Nach Art. 12 Abs. 1 dieses Abkommens steht dem Wohnsitzstaat die Besteuerung von Einkünften zu, die eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten als Wartegelder, Ruhegehälter, Witwen- oder Waisenpension, andere Bezüge oder geldwerte Vorteile für frühere Dienstleistungen bezieht. Das FG hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß der Kläger im Streitjahr 1968 seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat. Er hat seit Ende Januar 1968 mit seiner Ehefrau in einer mit eigenen Möbeln eingerichteten Dreizimmerwohnung in A gewohnt und ist von dort seiner Tätigkeit als Navigator Instructor bei einer deutschen Fluggesellschaft auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt/Main nachgegangen. Es kommt nicht darauf an, daß der Kläger im Jahre 1968 seine frühere Wohnung in den Niederlanden beibehalten hat; denn der Besitz einer zweiten Wohnung begründet noch keinen zweiten Wohnsitz. Nach Art. 3 Abs. 1 DBA-Niederlande hat eine natürliche Person nur dort einen Wohnsitz, wo sie eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Selbst wenn man zwei Wohnsitze in den Niederlanden und in A annehmen würde, wäre nach den zutreffenden Ausführungen des FG nach Art. 3 Abs. 3 DBA-Niederlande A als maßgebender Wohnsitz i. S. des Art. 12 Abs. 1 DBA-Niederlande anzusehen, da der Kläger im Streitjahr 1968 dort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hatte.
Das FG ist ebenfalls zu Recht davon ausgegangen, daß dem Kläger die streitige Abfindung im Jahre 1968 zugeflossen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. Urteil vom 9. April 1968 IV 267/64, BFHE 92, 221, BStBl II 1968, 525) ist eine Einnahme einem Steuerpflichtigen zugeflossen, wenn er wirtschaftlich über sie verfügen kann. Nach dem Urteil des Senats vom 22. November 1974 VI R 138/72 (BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350) kann ein Zufluß in einer Zahlung oder in einer Verrechnung bestehen. Es kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluß bewirken, wenn damit eine wirtschaftliche Verfügungsbefugnis verbunden ist. Vorgänge dieser Art lagen im Streitfall vor dem 1. Januar 1968 nicht vor. Der Kläger hatte lediglich am 9. Dezember 1967 beim Pensionsfonds den Antrag gestellt, statt der am 1. Januar 1968 beginnenden laufenden Pensionszahlungen einen einmaligen Betrag zu erhalten. Über diesen Antrag hatte der Pensionsfonds bis zum Jahresende 1967 noch nicht entschieden. Wie das FA aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndungsprüfung mit Schriftsatz vom 23. Juli 1971 vor dem FG vorgetragen hat, erfolgte die Bewilligung der Pensionsabfindung erst am 15. Januar 1968. Dem hat der Kläger nicht widersprochen. Mit dieser Bewilligung war die Abfindung dem Kläger noch nicht zugeflossen. Das geschah erst im März 1968 bzw. für den Rest der Abfindungssumme im Dezember 1968. Ein Zufluß liegt entgegen der Ansicht des Klägers nicht schon in der Möglichkeit, im Hinblick auf eine künftige Zahlung einen Bankkredit zu erlangen. Im übrigen hätte eine Bank einen Kredit auf den Abfindungsanspruch des Klägers jedenfalls nicht vor dessen Bewilligung am 15. Januar 1968 gegeben.
Unbegründet ist die Rüge des Klägers, es läge ein Verfahrensmangel vor, weil das FG es unterlassen habe, die Frage zu prüfen, welche Formalitäten zur Verzögerung der Auszahlung geführt hätten. Einer Aufklärung dieser Frage bedurfte es nicht, weil sie nicht entscheidungserheblich war. Die Verzögerung der Auszahlung konnte erst den Zeitraum ab 15. Januar 1968 betreffen, da sie die Bewilligung der Pensionsabfindung voraussetzte.
2. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG dem Kläger für die Pensionsabfindung nicht die Steuerbegünstigung des § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 EStG gewährt hat. Der Kläger konnte nach dem Reglement des Pensionsfonds beim Verwaltungsrat beantragen, daß der Anspruch auf laufende Pension ersetzt wird durch die Auszahlung eines einmaligen Betrages, wenn das Gesetz dieses zuläßt. Nach dem Urteil des Senats vom 4. November 1960 VI 106/59 U (BFHE 71, 702, BStBl III 1960, 512) ist in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer aufgrund einer Versorgungszusage des Arbeitgebers ein Wahlrecht hat, ob er eine laufende Rente oder die Auszahlung des der Rentenberechtigung zugrunde gelegten Kapitals haben will, der Kapitalbetrag nicht als Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen.
3. Die Vorentscheidung war aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, weil das FG nicht geprüft hat, ob im Streitfall nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG vorliegen. Danach können Einkünfte, die eine Entlohnung für eine Tätigkeit darstellen, die sich über mehrere Jahre erstreckt, zum Zwecke der Einkommensteuerveranlagung auf die Jahre verteilt werden, in deren Verlauf sie erzielt wurden. Sie werden dann als Einkünfte eines jeden dieser Jahre angesehen, vorausgesetzt, daß die Gesamtverteilung drei Jahre nicht überschreitet.
Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1974 VI R 116/72 (BFHE 113, 40, BStBl II 1974, 680) ist § 34 Abs. 3 EStG auch dann anzuwenden, wenn der Anspruch auf ein laufendes Ruhegehalt nach Eintritt des Versorgungsfalles aus wirtschaftlich vernünftigen, in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen kapitalisiert wird. Dabei kann die Abfindungssumme auf die dem Jahr der Abfindung folgenden Veranlagungszeiträume verteilt werden mit der Maßgabe, daß der Versorgungsfreibetrag des § 19 Abs. 3 EStG nur für das Jahr des Zuflusses zu gewähren ist.
Im Streitfall kann die vom Kläger im Jahr 1968 erhaltene Abfindung künftiger Pensionsansprüche, wenn für die Abfindung wirtschaftlich vernünftige Gründe sprechen, gemäß diesem Urteil auf künftige Jahre verteilt werden, soweit der Kläger in den Folgejahren der unbeschränkten deutschen Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG unterlag. Das wäre nach diesen Vorschriften und dem DBA-Niederlande vom 16. Juni 1959 der Fall, wenn der Kläger auch nach dem Jahr 1968 in der Bundesrepublik Deutschland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt haben sollte. Nach Lage der Akten hatte der Kläger offensichtlich bis Juli 1969 in A gewohnt und ist erst anschließend wieder in die Niederlande umgezogen. Das wird im einzelnen noch festzustellen sein. Sollte das zutreffen, so könnte der Kläger den ihm im Jahr 1968 zugeflossenen Kapitalbetrag auf die Jahre 1968 und 1969 verteilen, wobei allerdings noch etwaige inländische Einkünfte des Klägers im ersten Halbjahr 1969 in die Berechnung einzubeziehen wären. Es ist aber nicht möglich, die Pensionsabfindung im Rahmen des § 34 Abs. 3 EStG auf Jahre zu verteilen, in denen der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, da für solche Veranlagungszeiträume keine Steuerberechnungen zum Zwecke der Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG durchgeführt werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 71685 |
BStBl II 1976, 65 |
BFHE 1976, 149 |