Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Zahlungen in zwei Veranlagungszeiträumen
Leitsatz (NV)
Bei einer Verteilung von Entschädigungszahlungen auf zwei Veranlagungszeiträume ist § 34 Abs. 1 EStG neben weiteren Voraussetzungen nur ausnahmsweise dann anzuwenden, wenn die Zahlungen ursprünglich zunächst in einer Summe als Einmalzahlung vereinbart und festgesetzt waren.
Normenkette
EStG § 34
Tatbestand
Der im Jahr 1929 geborene und zu 50 v.H. körperbehinderte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war mehr als 20 Jahre bei der Fa.X beschäftigt, zuletzt als Betriebsleiter. Kurz vor Vollendung seines 60. Lebensjahres trat er ab 1. März 1989 in den Ruhestand. Vom 1. Juli 1989 an wurde ihm eine betriebliche Altersrente von 106080 DM pro Jahr gezahlt; daneben bezog er von diesem Zeitpunkt an ein Altersruhegeld der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte.
Bereits im Juli 1988 war das Ausscheiden des Klägers aus dem aktiven Dienstverhältnis vereinbart worden. In einem als Pensionsregelung bezeichneten schriftlichen Vermerk heißt es: Herr ... wird inaktiviert ab 01.03. 1989. Zeitpunkt der normalen Pensionierung ist der 01.03. 1989. Zugleich wurde vereinbart, daß der Kläger aus Anlaß der Pensionierung eine Sonderzahlung in Höhe von 600000 DM erhalten sollte, deren Auszahlung - so das Finanzgericht (FG) - von vornherein zur Hälfte in 1988 und zur anderen Hälfte in 1989 vorgesehen war und tatsächlich so vollzogen wurde.
Im Veranlagungszeitraum 1988 begünstigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Zahlung von 300000 DM antragsgemäß gemäß § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), im Streitjahr hingegen lehnte das FA die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ab, da die Zahlung nicht zusammengeballt zugeflossen sei.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 2. Januar 1991). Im Klageverfahren trug der Kläger vor, daß er ursprünglich nach Vollendung des 63. Lebensjahres habe in den Ruhestand treten sollen. Die Datumsangabe in der Pensionsregelung sei mißverständlich, da diese erst abgefaßt worden sei, nachdem die Verhandlungen des Klägers über sein vorzeitiges Ausscheiden bereits abgeschlossen gewesen seien. Mit einem vorzeitigen Ausscheiden sei er zunächst nicht einverstanden gewesen. Da eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen seinen Willen mit Rücksicht auf § 14 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes nicht möglich gewesen sei, habe der Arbeitgeber die einvernehmliche Beendigung gegen Zahlung der Entschädigung von 600000 DM angeboten. Ursprünglich habe er die Auszahlung in einem Betrag verlangt; es sei ihm jedoch erklärt worden, daß zusammen mit ihm eine ganze Reihe leitender Mitarbeiter ausschieden, weil sich der Konzern entschlossen habe, die Altersgrenze für leitende Angestellte generell auf 60 Jahre herabzusetzen. Die vollständige Auszahlung hätte den Rahmen des von der Muttergesellschaft bereits festgelegten Budgets gesprengt. Man habe ihm deshalb bedeutet, daß er mit einer spürbaren Minderung der Abfindung rechnen müsse, sollte er auf einer Einmalzahlung bestehen. Die Entschädigung habe für drei Jahre die Differenz ausgleichen sollen zwischen seinem Gehalt von ca. 300000 DM und der Altersversorgung von ca. 100000 DM.
Das FG gab der Klage mit im wesentlichen folgender Begründung statt: Im Streitfall sei ausnahmsweise die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG zu gewähren, obwohl sich die Auszahlung auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt habe. Es handele sich um eine ungewöhnlich hohe Abfindung, deren Auszahlung in zwei Raten durch die besonderen Verhältnisse beim Arbeitgeber des Klägers bedingt gewesen sei. Der Kläger habe den Auszahlungsmodus nicht beeinflussen können, ohne eine Verminderung der Abfindung in Kauf zu nehmen.
Die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG scheitere auch nicht daran, daß die Zahlung von vornherein in zwei Raten vorgesehen worden sei. Vereinbart worden sei eine einmalige Sonderzahlung von 600000 DM; die Auszahlung sei lediglich ein Teil des Abrechnungsmodus gewesen, wie sich aus der Formulierung in der Pensionsregelung ergebe.
Für die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG spreche im übrigen auch ein Vergleich der Steuerbelastung. Bei Auszahlung in einem Veranlagungszeitraum hätte die Steuerbelastung für die Zeiträume 1988 und 1989 insgesamt 422381 DM betragen, bei Zahlung in beiden Zeiträumen betrage die Steuerbelastung bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG 416371 DM und ohne dessen Anwendung 603727 DM. Diese Zahlen zeigten, daß auch bei Verteilung auf zwei Jahre ein Bedürfnis für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bestehe. Der Umstand, daß Sonderzahlungen bei Spitzenverdienern ohnehin zu keiner Progressionssteigerung führten, stehe der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht entgegen.
Dem Kläger stehe auch ein Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 36000 DM zu.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 34 Abs. 1 EStG und trägt vor:
1. Es komme nicht darauf an, ob durch die zusammengeballte Erfassung der Einnahmen ein höherer Steuersatz zur Anwendung komme. Vielmehr sei die Tarifbegünstigung grundsätzlich davon abhängig, ob die ermäßigungsfähigen Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen seien.
2. Ausnahmsweise könne die Zahlung auf zwei Jahre verteilt sein, sofern die Zahlung in einem Veranlagungszeitraum vorgesehen gewesen sei. Im Streitfall sei von Anfang an geplant gewesen, die Abfindungszahlung in zwei Teilbeträgen auszuzahlen. Hätte der Kläger auf einer Einmalzahlung bestanden, hätte er eine Minderung der Abfindungszahlung in Kauf nehmen müssen.
Demgegenüber begründet der Kläger seinen Antrag wie folgt:
1. Das FA verkenne, daß die im Streitfall gewährte Entschädigung, die in zwei gleichen Teilbeträgen ausgezahlt worden sei, als einmalige Entschädigung beabsichtigt und daher nach ständiger Rechtsprechung als tarifbegünstigt zu versteuern gewesen sei. Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 20. Februar 1941 IV 278/40 (RStBl 1941, 442) komme es darauf an, daß die Entschädigung von vornherein in einer Summe festgesetzt und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt worden sei. Von den gleichen Erwägungen gehe das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Dezember 1950 IV 167/50 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 34, Rechtsspruch 5) aus. Werde eine Sondervergütung von 100000 DM mit Rücksicht auf die finanziellen Belange der Firma in einem Zeitraum von 1 1/2 Jahren ausgezahlt, so sei dies kein Grund, die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG zu versagen. Im Streitfall sei die Sonderzahlung allein deshalb auf zwei Jahre verteilt worden, weil der Arbeitgeber budgetmäßig nicht in der Lage gewesen sei, das Geschäftsjahr 1988 mit dem Gesamtbetrag zu belasten, da zu der Zeit mehrere leitende Angestellte erstmals in ähnlicher Weise abgefunden worden seien. Allein dieser Umstand habe den Arbeitgeber veranlaßt, die Abfindung nicht - wie in vergleichbaren Fällen in späteren Jahren - in einer Summe auszuzahlen.
2. Der Streitfall unterscheide sich von dem Sachverhalt, der dem Urteil vom 18. September 1991 XI R 9/90 (BFH/NV 1992, 102), zugrundegelegen habe. In jenem Fall sei die Abfindung nicht von vornherein in einer Summe festgesetzt gewesen; neben einer Einmalzahlung seien - mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des den Betrieb übernehmenden Unternehmens - Teilbeträge in unterschiedlicher Höhe vereinbart worden.
3. Nicht überzeugen könne hingegen die Auffassung des FG München (Urteil vom 11. September 1990 13 K 1007/88, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 397), derzufolge notwendig sei, daß die Entschädigung nach den getroffenen Vereinbarungen ursprünglich in einem Betrag habe zur Auszahlung kommen sollen. In Konsequenz dieser Auffassung würden die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen eine spätere Zusatzvereinbarung erfordern, aufgrund derer ausnahmsweise von der zunächst vereinbarten Auszahlung in einem Betrag abgegangen würde. Eine solche Beurteilung würde Vereinbarungen mit denjenigen Arbeitgebern privilegieren, die nicht in der Lage seien, die wirtschaftlichen Folgen der Abfindung zu überblicken, oder die lediglich vorgäben, sich über die wirtschaftlichen Folgen getäuscht zu haben, um die Tarifbegünstigung unter diesem Vorwand zu erschleichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst.
1. Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG sind nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juni 1990 X R 45/86, BFH/NV 1991, 88, und vom 2. September 1992 XI R 63/89, BFH/NV 1993, 23, jeweils m.w.N.). Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 102) oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat (BFH-Urteile vom 12. März 1975 I R 180/73, BFHE 115, 261, BStBl II 1975, 485, und in BFH/NV 1993, 23).
Verteilt sich die Entschädigungszahlung auf zwei Veranlagungszeiträume, läßt die Rechtsprechung die Steuerermäßigung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zu, und zwar, wenn die Zahlung der Entschädigung von vornherein in einer Summe festgesetzt war und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde oder wenn der Entschädigungsempfänger dringend auf den Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war (vgl. RFH-Urteil in RStBl 1941, 442; BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 23, m.w.N.). Dem BFH-Urteil in StRK, Einkommensteuergesetz, § 34, Rechtsspruch 5 ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Dort wird auf die Möglichkeit hingewiesen, daß ein verhältnismäßig hoher Betrag nur mit Rücksicht auf die finanziellen Belange der Firma verteilt worden sein kann. Zur Aufklärung dieser Möglichkeit verwies der BFH die Sache an das FG zurück.
Im Streitfall liegt kein Ausnahmefall vor. Entgegen der Auffassung der Kläger war die Entschädigung nicht von vornherein in einer Summe als Einmalbetrag festgesetzt. Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, wurde die Entschädigung von vornherein in zwei Teilbeträgen festgesetzt. Hätte der Kläger - so das FG bei der Wiedergabe des klägerischen Vortrags - auf einer Einmalzahlung bestanden, hätte er mit einer spürbaren Minderung der Abfindungszahlung rechnen müssen. Die Auszahlung der Sonderzahlung in einem Betrag war zu keinem Zeitpunkt vereinbart worden. War aber von vornherein die Auszahlung des Betrages in zwei Teilbeträgen vorgesehen, so besteht kein Anlaß, ausnahmsweise auch in diesem Fall den ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Nach dem Vortrag der Kläger sollten die Sonderzahlungen die dem Kläger wegen seiner um drei Jahre vorgezogenen Pensionierung entgehenden Einnahmen ersetzen. Der Kläger hat diese Beträge demnach nicht - regulär - in den Jahren 1989 bis 1992 erhalten, sondern bereits in den Jahren 1988 und 1989. Der Umstand, daß der Kläger die Beträge vorgezogen und nur auf zwei Jahre verteilt erhielt, kann die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG nicht rechtfertigen.
Die Begrenzung der Begünstigung auf solche Teilbeträge, die nach der ursprünglich getroffenen Vereinbarung in einem Einmalbetrag ausgezahlt werden sollten, hat ihren guten Grund. Nur bei diesen Beträgen handelt es sich der Sache nach um eine zusammengeballte auf einen Veranlagungszeitraum entfallende Entschädigung. Sind dagegen von vornherein Zahlungen vereinbart, die sich über mehrere Veranlagungszeiträume erstrecken, so sind diese Zahlungen ihrer Natur nach laufende Vorgänge, die nicht durch die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes begünstigt werden sollen (vgl. RFH-Urteil in RStBl 1941, 442; BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 102; ferner FG München, Urteil in EFG 1991, 397).
2. Der Senat läßt offen, ob der Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG bereits 1988 in Zusammenhang mit der Auszahlung des ersten Teibletrags hätte berücksichtigt werden müssen. Da das FA insoweit nicht die Aufhebung des FG-Urteils beantragt hat und der Senat von sich aus nicht über den Antrag des - erfolgreichen - FA hinausgehen kann (§§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), kommt eine Korrektur nicht in Betracht, auch nicht im Wege der Saldierung.
Fundstellen
Haufe-Index 64571 |
BFH/NV 1994, 224 |