Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichzeitige Einlegung von Revision und Nichtzulassungsbeschwerde; Einwand der Verwirkung gegenüber Änderung eines Bescheids unter Vorbehalt der Nachprüfung; Aufwendungen für die Beschäftigung eines minderjährigen Kindes als Werbungskosten bei Vermietung und Verpachtung
Leitsatz (NV)
1. Eine gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision wird mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses statthaft.
2. Die Revision kann durch Bezugnahme auf die Ausführung in der Nichtzulassungsbeschwerde ausreichend begründet sein.
3. Hat das Finanzamt die Einkommensteuer bestandskräftig unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß der Einkommensteuererklärung des Steuerpflichtigen festgesetzt, ohne die zuvor bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung getroffenen Feststellungen zu berücksichtigen, so ist es durch die Grundsätze von Treu und Glauben, insbesondere den Tatbestand der Verwirkung, nicht gehindert, den Einkommensteuerbescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu ändern.
4. Zieht der Steuerpflichtige zur Verwaltung seiner Mietwohngrundstücke seine minderjährige (14jährige) Tochter heran, so können dafür keine ,,Aushilfslöhne" als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden, wenn die Aushilfsarbeiten dadurch abgegolten wurden, daß der Steuerpflichtige der Tochter unentgeltlich ein Reitpferd zur Verfügung stellt und dessen Unterhaltskosten sowie die Reitstunden bezahlt.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1 S. 2, § 21 Abs. 1; AO 1977 § 164 Abs. 1-2; FGO § 120 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog in den Streitjahren u. a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mehrerer Grundstücke. Als Werbungskosten bei diesen Einkünften machte er ,,Aushilfslöhne für Hausverwaltung" in Höhe von 3 762 DM (1977) und 3 690 DM (1978) geltend. Dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) hatte er auf Anfrage betreffend die Einkommensteuer 1976 mit Schreiben vom 28. April 1978 angegeben, seine damals 14jährige Tochter habe die gesamte Verwaltung der Grundstücke wahrgenommen. Ihre Aufgabe habe insbesondere darin bestanden, die Vereinnahmung, Erfassung und Überprüfung der Mieteinnahmen, die Überweisung der Zins- und Tilgungsbeträge an die Kreditgeber, die Zahlung der Grundstücksabgaben, Versicherungsbeiträge und ähnliche Zahlungen zu überwachen bzw. durchzuführen. Er habe seine Tochter mit den Arbeiten betraut, da er diese infolge seiner starken beruflichen Belastung nicht selbst habe erledigen können.
Am 19. Juni 1978 fand beim Kläger im Hinblick auf die Aushilfslöhne eine Lohnsteueraußenprüfung statt. Der Prüfer stellte fest, daß die Tochter des Klägers die Mietbücher geführt und die Mieteinnahmen der genannten Mietshäuser überwacht habe. Außerdem habe sie Schreibarbeiten mit der Schreibmaschine nach Vorlage des Vaters durchgeführt. Gelegentlich habe sie in Begleitung ihres Vaters die Mietshäuser besichtigt und das Arbeitszimmer des Vaters in Ordnung gehalten. Die Aushilfsarbeiten seien nicht durch Geld abgegolten worden, vielmehr habe der Kläger seiner Tochter ein Reitpferd unentgeltlich zur Verfügung gestellt und dessen Unterhaltskosten sowie Reitstunden bezahlt. Lohnsteueranmeldungen habe der Kläger nicht abgegeben.
Das FA setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre durch Bescheide vom 22. Januar 1979 bzw. 29. Februar 1980 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest, wobei es die geltend gemachten Aushilfslöhne als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte. Mit Bescheiden vom 6. November 1980 (1977) und 27. Oktober 1980 (1978) änderte es die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Es berücksichtigte unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1979 die Aushilfslöhne nicht mehr als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, da es sich um Unterhaltsleistungen handle.
Nach erfolglosen Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) der Klage stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, zwar seien die geltend gemachten Aushilfslöhne nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar. Der Kläger berufe sich jedoch zu Recht auf Verwirkung. Er habe im Hinblick darauf, daß speziell wegen dieser Aufwendungen eine Lohnsteueraußenprüfung stattgefunden habe, bei der alle für die Entscheidung der Streitfrage notwendigen Feststellungen getroffen worden seien, gleichwohl das FA sechs bzw. 20 Monate später in den die Streitjahre betreffenden Einkommensteuerveranlagungen die Aufwendungen als Werbungskosten anerkannt habe, von einer endgültigen Sachbehandlung in dieser Streitfrage ausgehen können. Daß die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung; denn im Hinblick auf die längere Zeit vorher durchgeführte Lohnsteueraußenprüfung habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, daß trotz des Vorbehaltsvermerks jedenfalls dieser Sachverhalt abschließend überprüft worden sei.
Dagegen richtet sich die vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassene Revision des FA. Zur Begründung der gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegten Revision führt das FA aus: ,,Die Revision ist auch begründet. Wie vom Senat zutreffend erkannt, liegen Werbungskosten nicht vor. Im einzelnen wird vollinhaltlich auf die ausführliche Begründung in der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1979 verwiesen. Das FA hat das Recht zur Änderung auch nicht verwirkt. Im einzelnen darf auf die Begründung zur Zulässigkeit der Revision unter Ziffer 2 verwiesen werden."
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Die gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision ist mit der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung zulässig geworden (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Anm. 12).
Die Revision ist durch die Bezugnahme auf die Ausführungen in der Nichtzulassungsbeschwerde ausreichend begründet im Sinne von § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA rügt fehlerhafte Rechtsanwendung in bezug auf den Begriff der Verwirkung. Es hat dazu, daß das FG zu Unrecht das Recht des FA zur Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzungen für die Streitjahre als verwirkt angesehen habe, in der Nichtzulassungsbeschwerde unter 2.1.2. eingehend Stellung genommen. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß sich das FA mit den Gründen der Vorentscheidung auseinandergesetzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 1978 VIII R 23/78, BFHE 126, 260, BStBl II 1979, 116).
2. Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Das FG hat den Begriff der Verwirkung verkannt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als ein Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns Ausfluß des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Der Tatbestand der Verwirkung setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. u. a. Urteile vom 7. Juni 1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780, und vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697) neben dem bloßen Zeitmoment (zeitweilige Untätigkeit des Anspruchsberechtigten) sowohl ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) als auch, daß der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge).
Ein Fall der Verwirkung liegt im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil bereits das Tatbestandsmerkmal der Vertrauensfolge fehlt; denn Maßnahmen des Klägers, die für ihn die Entrichtung der durch die angefochtenen Bescheide festgesetzten Steuer billigerweise nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Das FA war gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 zur Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheide 1977 und 1978 berechtigt. Ein Steuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann grundsätzlich ohne jede sachliche Einschränkung und demgemäß aufgrund von Tatsachen geändert werden, die bereits bei Erlaß des Steuerbescheids bekannt waren (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 1978 III R 189/84, BFHE 150, 506). An der Prüfung der Frage, ob das FA die ursprünglichen Bescheide für die Streitjahre zu Recht mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehen hat, ist der Senat gehindert; denn diese Bescheide sind bestandskräftig geworden (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 334/84, BFH / NV 1987, 313).
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Zu Recht hat das FA den Abzug der ,,Aushilfslöhne" als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgelehnt.
Der Senat kann offenlassen, ob zwischen dem Kläger und seiner Tochter Vereinbarungen getroffen worden sind, die den Anforderungen genügen, die die Rechtsprechung an die Anerkennung von Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen stellt (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 7. September 1972 IV R 197/68, BFHE 107, 35, BStBl II 1972, 944; vom 23. Juni 1976 I R 140/75, BFHE 120, 165, BStBl II 1977, 78; vom 27. Oktober 1978 VI R 166, 173, 174/76, BFHE 126, 285, BStBl II 1979, 80; vom 14. Oktober 1981 I R 34/80, BFHE 134, 293, BStBl II 1982, 119). Selbst wenn dies der Fall wäre, sind die Aufwendungen des Klägers für das Reitpferd und die Reitstunden seiner Tochter mangels Abgrenzbarkeit zu den Kosten der Lebensführung des Klägers und seiner Familie nicht als Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar. Stellt ein Vater seiner minderjährigen Tochter ein Reitpferd zur Verfügung und läßt ihr Reitstunden geben, so handelt es sich hierbei um Unterhaltsleistungen i. S. von § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG und um Kosten der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG. Diese Leistungen können sich auch dann nicht steuermindernd auswirken, wenn sie als Entgelt für Dienstleistungen der Tochter erbracht werden; denn es läßt sich nicht klar und eindeutig abgrenzen, inwieweit die Aufwendungen durch das Dienstverhältnis oder die Lebensführung veranlaßt sind (vgl. Beschluß des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, dessen Grundsätze für alle Lebensführungskosten gelten). Dies gilt im Streitfall um so mehr, als die Dienste der Tochter - jedenfalls teilweise - Leistungen sind, zu deren Erbringung Kinder gemäß § 1619 des Bürgerlichen Gesetzbuches verpflichtet sind, so lange sie dem elterlichen Hausstand angehören und von den Eltern erzogen oder unterhalten werden.
Die Klage war danach abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415536 |
BFH/NV 1988, 497 |