Leitsatz (amtlich)
Kann es zu keiner nachträglichen Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber kommen, weil dieser die Lohnsteuerbescheinigung bereits ausgeschrieben hat (§ 41 c Abs. 3 Satz 1 EStG), so muß das FA nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vom Arbeitnehmer die zu wenig erhobene Lohnsteuer nachfordern, die sich aufgrund einer rückwirkenden Änderung eines auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibetrags ergibt. Einer förmlichen Berichtigung des Betrags auf der Lohnsteuerkarte bedarf es in diesem Falle nicht.
Normenkette
EStG 1977 § 39a Abs. 4 S. 1; AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 1977 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Auf seiner Lohnsteuerkarte für 1977 war u. a. ein Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 Nr. 1 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 eingetragen, dessen Gültigkeit später auf den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 1977 beschränkt wurde. Der Sohn W des Klägers hatte in dieser Zeit die Fachhochschule in N besucht und war daher auswärtig untergebracht gewesen. Im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 für den Kläger berücksichtigte der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die noch im selben Jahr nach dem 30. Juni vom Sohn bezogenen Einkünfte und errechnete den Ausbildungsfreibetrag und auch den festzusetzenden Ausgleichsbetrag mit O DM. Ferner erließ das FA unter Hinweis auf § 39a Abs. 5 EStG einen Bescheid über nachzuentrichtende Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer. Die gegen beide Bescheide erhobenen Einsprüche blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es den Nachforderungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufhob. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Nur hinsichtlich der Verringerung seiner Unterhaltsaufwendungen habe für den Kläger eine Anzeigepflicht (§ 39a Abs. 5 Nr.3 EStG) bestanden. Dieser sei er nachgekommen, was auch zu einer Änderung des auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibetrags geführt habe. Die vom FA festgestellten Einkünfte des Sohnes bedingten zwar den Wegfall des Ausbildungsfreibetrages; sie begründeten aber weder eine Anzeigepflicht des Klägers (§ 39a Abs. 5 Nr. 3 EStG) noch ein Nachforderungsrecht des FA (§ 39a Abs. 6 EStG).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 39a Abs. 5 Nr. 3 i. V. m. § 33a Abs. 2 und 4 EStG und führt im wesentlichen aus: Der Begriff "Unterhaltsaufwendungen" in § 39a Abs. 5 Nr. 3 EStG beziehe sich nicht auf die tatsächlichen Leistungen, sondern auf die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrags nach § 33a Abs. 1 und 2 EStG. Im Rahmen seiner Anzeigepflicht hätte der Kläger darlegen müssen, in welcher Höhe sein Sohn im Streitjahr eigene Einkünfte und Bezüge bzw. Zuschüsse nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) gehabt habe. Dieser Pflicht habe er nicht genügt. Eine rückwirkende Aufhebung des bereits in Anspruch genommenen Freibetrags im laufenden Kalenderjahr und eine nachträgliche Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber sei daher nicht möglich gewesen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen. Er meint, die Möglichkeit, den eingetragenen Freibetrag gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern, habe das FA mit der später verfügten Korrektur des Eintrags auf der Lohnsteuerkarte verbraucht.
Ferner beantragt der Kläger, das Urteil des FG aufzuheben und in Änderung des angefochtenen Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1977 sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung den Ausgleichsbetrag unter Berücksichtigung eines -- zeitanteiligen -- Ausbildungsfreibetrags von 2 100 DM festzusetzen.
Zur Begründung trägt er hierzu im wesentlichen vor: Das FG habe § 33a Abs. 2 EStG unzutreffend ausgelegt. Denn nach Abs. 4 dieser Bestimmung sei für jeden Kalendermonat zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung des Ausbildungsfreibetrags gegeben seien. Wenn demnach einem anteiligen Freibetrag die anteiligen Einkünfte gegenübergestellt würden, so seien darunter nur die in dem maßgeblichen Zeitraum erzielten zu verstehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
a) Der Nachforderungsbescheid wäre rechtswidrig, ohne daß es auf die Frage seiner Rechtsgrundlage ankäme, wenn die Einkünfte des Sohnes die Höhe des Ausbildungsfreibetrags nach § 33 a Abs. 2 EStG nicht berührt hätten. Dies trifft indessen nicht zu. Der Senat hat in seinem Urteil vom 23. September 1980 VI R 53/79 (BFHE 131, 486, BStBl II 1981, 92) entschieden, daß eigene Einkünfte des Kindes auch dann den Ausbildungsfreibetrag mindern, wenn sie im Kalenderjahr der Berufsausbildung in Zeiträumen außerhalb der Ausbildung erzielt werden. Insbesondere wurde in diesem Urteil unter 3. auch ausgeführt, daß sich die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte nicht aus § 33 a Abs. 4 EStG ableiten läßt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Entscheidung Bezug genommen.
b) Wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer -- wie hier -- nicht in Betracht kommt, gilt die Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfällt, für den Steuerpflichtigen durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten, soweit er nicht für zu wenig erhobene Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG). Letzteres ist im Streitfall jedoch möglich.
Bereits nach der zur früher geltenden Gesetzeslage ergangenen Rechtsprechung war anerkannt, daß bei einer rückwirkenden Änderung eines in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibetrages die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachgefordert werden konnte (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Mai 1974 VI R 17/72, BFHE 112, 384, BStBl II 1974, 619, sowie vom 12. Mai 1955 IV 69/55 U, BFHE 61, 39, BStBl III 1955, 213). An diesem Ergebnis ist auch für die im Streitfall anzuwendenden Vorschriften des EStG 1977 und der AO 1977 festzuhalten.
Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Kann es -- wie hier -- zu keiner nachträglichen Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber kommen, weil dieser die Lohnsteuerbescheinigung bereits ausgeschrieben hat (vgl. § 41 c Abs. 3 Satz 1 EStG), so hat das FA nach der vorgenannten Vorschrift vom Arbeitnehmer die zu wenig erhobene Lohnsteuer nachzufordern, die sich aufgrund einer rückwirkenden Änderung eines auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibetrages ergibt. Denn dieser ist als Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 anzusehen. Als eine gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i. S. des § 179 Abs. 1 AO 1977 (vgl. § 39 a Abs. 4 Satz 1 EStG) ist er bei der Durchführung des Lohnsteuerabzugs (§ 38 a Abs. 4 EStG) zu berücksichtigen. Auch bei der Festsetzung von zu wenig erhobener Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitnehmer, die § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in den zeitlichen Grenzen der Festsetzungsverjährung zuläßt (vgl. zur alten Rechtslage § 223 der Reichsabgabenordnung -- AO --), bleibt das FA -- anders als im Verfahren zur Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder der Einkommensteuerveranlagung -- an diese Freibeträge gebunden.
Setzt damit der Erlaß eines Nachforderungsbescheides in den Fällen wie dem vorliegenden voraus, daß der aus den oben genannten Gründen zu Unrecht eingetragene Freibetrag geändert wird, so ergibt sich hieraus gleichwohl nicht immer die Notwendigkeit einer förmlichen Berichtigung des Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte. Denn dafür besteht nach Abwicklung des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber kein Bedürfnis mehr. Es reicht vielmehr aus, wenn das zuständige FA gleichzeitig mit der Nachforderung der Lohnsteuer den Grundlagenbescheid ändert. Dies ist hier jedenfalls dadurch geschehen, daß in der Einspruchsentscheidung des FA die Lohnsteuernachentrichtung ausdrücklich mit der rückwirkenden Änderung des eingetragenen Freibetrags begründet wird.
Soweit sich der Kläger -- in verfahrensrechtlich zulässiger Weise (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24) -- mit seinem Anfechtungsbegehren auch gegen die Änderung des Grundlagenbescheids wendet, kann dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Der eingetragene Freibetrag steht als Besteuerungsgrundlage unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und kann deshalb jederzeit auch rückwirkend geändert werden (vgl. § 39 a Abs. 4 Satz 1 EStG 1975 bzw. die im Streitjahr zu beachtende Fassung des § 39 a Abs. 4 Satz 1 EStG 1977 i. V. m. § 179 Abs. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Dies gilt selbst dann, wenn -- wie hier -- der zuletzt geänderte Eintrag bereits auf einer Korrektur des ursprünglichen Eintrags beruht. Denn auch für den korrigierten Freibetrag gilt kraft Gesetzes erneut der Vorbehalt der Nachprüfung. Eine zeitliche Begrenzung besteht lediglich insoweit, als bei Ablauf der Festsetzungsfrist der Vorbehalt nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 entfällt.
Es ist auch unschädlich, daß die hier maßgebliche letzte Änderung des Freibetrags nicht mehr im Kalenderjahr 1977 erfolgte, für das die streitigen Lohnsteuerbeträge zu erheben waren (a. A. Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19. Aufl., grüne Blätter, § 39 a EStG 1977, S. 13). Denn die aus § 39 a Abs. 4 Satz 1 EStG abzuleitenden Befugnisse des FA haben nicht nur für das laufende Lohnsteuerabzugsverfahren Bedeutung. Diese Vorschrift begründet vielmehr im Zusammenhang mit § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ein eigenständiges Nachforderungsrecht des FA, von dem allerdings normalerweise erst Gebrauch zu machen ist, wenn eine Einbehaltung durch den Arbeitgeber nicht erfolgen kann. § 39 a Abs. 6 und § 41 c Abs. 4 Satz 2 EStG, die im Zusammenhang mit der Festlegung von Anzeigepflichten die Nachentrichtung der Lohnsteuer durch den Arbeitnehmer vorsehen, stehen dem nicht entgegen. Diese Vorschriften sind keine abschließende Regelung der Fälle, in denen sich aufgrund einer rückwirkenden Änderung eines Freibetrags ergibt, daß zu wenig Lohnsteuer einbehalten wurde. Anderenfalls würde die Heranziehung des Arbeitnehmers bei vergleichbaren Sachverhalten letztlich davon abhängen, ob es im Einzelfall zu einer Anzeige durch den Arbeitgeber i. S. des § 41 c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 41 c Abs. 4 Satz 1 EStG kommt oder nicht (offengelassen im Urteil des FG Düsseldorf, Senate in Köln, vom 22. Mai 1980 VII 495/79 L, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1981, 49). Ein solches Ergebnis wäre mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht in Einklang zu bringen. Es würde auch eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung der Arbeitnehmer eintreten, deren Lohnsteuerabzug sich -- wie hier -- nachträglich aufgrund eines nicht mehr zutreffenden Freibetrags als fehlerhaft herausstellt, gegenüber jenen, bei denen die Lohnsteuer von vornherein nicht vorschriftsmäßig einbehalten worden ist. Denn die letztgenannten bleiben grundsätzlich hinsichtlich dieser Fehlbeträge -- wenn auch notwendigerweise in einer Gesamtschuldnerschaft mit dem haftenden Arbeitgeber -- Steuerschuldner der zu wenig erhobenen Lohnsteuer (vgl. § 42 d Abs. 3 EStG). Eine solche Ungleichbehandlung soll gerade durch die nach § 39 a Abs. 4 EStG eröffnete Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung des eingetragenen Freibetrags vermieden werden.
Für die Nachentrichtung der Kirchenlohnsteuer gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend (vgl. Art. 13 Abs. 1, 18 Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes für das Land Bayern vom 15. März 1967, Gesetz- und Verordnungsblatt -- GVBI -- 1967, 317, i. d. F. des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, GVBI 1976, 566).
Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausging, ist insoweit aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Nachforderungsbescheid des FA ist rechtmäßig. Die hiergegen gerichtete Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 74476 |
BStBl II 1983, 60 |
BFHE 1983, 484 |