Entscheidungsstichwort (Thema)
LSt-Nachforderung im Folgejahr wegen zu Unrecht eingetragenen Freibetrages auf der LSt-Karte
Leitsatz (NV)
1. Keine Übertragung des dem Kind zustehenden Freibetrages nach § 33b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 EStG auf den Vater, wenn das Kind in der Bundesrepublik Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist.
2. Nachforderung von LSt beim Arbeitgeber nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auch in Fällen, in denen es zu keiner nachträglichen Einbehaltung der LSt durch den Arbeitgeber mehr kommen kann, weil dieser die Lohnbescheinigung bereits ausgeschrieben hatte.
3. Durch einen solchen Nachforderungsbescheid kann vom Arbeitnehmer die zu wenig erhobene LSt nachgefordert werden, die sich aufgrund einer rückwirkenden Änderung eines auf der LSt-Karte wegen eines Rechtsirrtums zu Unrecht eingetragenen Freibetrages ergibt.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1975 §§ 33b, 39a Abs. 1 Nr. 2, § 41c Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1976 als ausländischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätig. Zu seiner im Ausland ansässigen Familie gehörte der Sohn A, von dem der Kläger behauptet, dieser sei im Streitjahr zu 100 v. H. erwerbsunfähig und dauernd so hilflos gewesen, daß er ständiger Fürsorge bedurft habe. Auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für 1976 hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den vom Sohn auf den Kläger übertragenen Freibetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) in Höhe von 7 200 DM eingetragen.
Der Kläger beantragte nach Ablauf des Streitjahrs einen Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1976. Bei der Bearbeitung des Antrages kam das FA zu der Ansicht, daß der vorgenannte Freibetrag zu Unrecht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen worden sei, da der erwerbsunfähige und dauernd hilflose Sohn in der Bundesrepublik nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei. Der Pauschbetrag habe daher nicht auf den Kläger übertragen werden können. Es erließ deshalb am 25. April 1977 gegen den Kläger einen Nachforderungsbescheid, durch den zu wenig erhobene Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer 1976 nachgefordert wurden. In den Erläuterungen des Bescheids hieß es, die Steuerfestsetzung beruhe darauf, daß der auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Freibetrag teilweise rückwirkend wieder aufgehoben worden sei. Zugleich wurde mit gesondertem Bescheid vom 4. April 1977 der im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren zu erstattende Betrag auf 0 DM festgesetzt. Gegen beide Bescheide hat der Kläger Einspruch eingelegt. Der Einspruch gegen den Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid hatte bezüglich dieser Frage keinen Erfolg. Mit Bescheid vom 20. April 1982 hob das FA die Eintragung des vorgenannten Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte 1976 rückwirkend auf.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte u. a. aus:Das FA sei zu Recht davon ausgegangen, daß beim Lohnsteuerabzug des Klägers kein Freibetrag nach § 33b EStG hätte berücksichtigt werden dürfen, weil der Sohn, dessen Freibetrag auf den Kläger übertragen worden war, nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1981 VI R 97/81, BFHE 135, 73, BStBl II 1982, 256).
Das FA sei jedoch nicht berechtigt gewesen, deshalb Lohnsteuer durch den angefochtenen Bescheid nachzuerheben. Mit dem Lohnsteuerabzug seien die auf die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit entfallende Einkommensteuer 1976 und Lohnkirchensteuer 1976 abgegolten worden; denn der Kläger sei nicht zur Einkommensteuer zu veranlagen gewesen. Lohn- und Lohnkirchensteuer, die zu wenig einbehalten worden seien, könnten nach Ablauf des Streitjahres nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften nachgefordert werden. Eine solche Rechtsgrundlage sei im Streitfall nicht gegeben.
Der Nachforderungsbescheid könne nicht auf § 39a Abs. 6 i. V. m. Abs. 5 EStG gestützt werden, weil die Voraussetzungen des Abs. 5 dieser Vorschrift nicht vorlägen. Es hätten sich nicht die tatsächlichen Verhältnisse im Streitjahr verändert, sondern das FA habe lediglich seine bisherige Rechtsauffassung aufgegeben und die Eintragung des Freibetrages als nicht mehr gerechtfertigt angesehen.
Nach § 41c EStG könne der Arbeitgeber im Falle einer rückwirkenden Änderung der Lohnsteuerkarte Lohnsteuerabzugsbeträge nacherheben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien schon deshalb nicht erfüllt, weil das FA die für den Kläger für das Streitjahr 1976 ausgestellte Lohnsteuerkarte nicht rückwirkend geändert habe.
Nach § 39a Abs. 4 EStG sei die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte die gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage, die jederzeit, auch rückwirkend, geändert werden könne. Eine solche Änderung sei mit dem Bescheid des FA vom 20. April 1982, durch den es die Eintragung des Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte rückwirkend habe aufheben wollen, nicht bewirkt worden. Denn entgegen einem ,,oberflächlichen Verständnis" des Wortlauts des § 39a Abs. 4 EStG sei es nicht möglich, Freibetragseintragungen auf der Lohnsteuerkarte beliebige Zeit nach Ablauf des Jahres, für das die Lohnsteuerkarte ausgestellt worden sei, und mit einer beliebig langen Rückwirkung zu ändern. Bei einem zutreffenden Verständnis der Tatbestandsmerkmale ,,jederzeit" und ,,rückwirkend" dürfe der Zweck der Lohnsteuerkarte nicht unberücksichtigt bleiben. Dieser bestehe nach § 38a Abs. 4 EStG ausschließlich darin, dem Arbeitgeber bei der Einbehaltung der Lohnsteuer die Besteuerungsgrundlagen für die Ermittlung der Lohnsteuer aufzugeben, soweit sie die persönlichen, steuerlich erheblichen Verhältnisse des Arbeitnehmers beträfen. Die Eintragungen müsse der Arbeitgeber berücksichtigen, solange er mit der Einbehaltung der Lohnsteuer für das Kalenderjahr befaßt sei, für das die Lohnsteuerkarte ausgestellt sei. Das ende spätestens beim Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber oder bei der Lohnabrechnung für den letzten Lohnzahlungszeitraum im März des dem Geltungsjahr der Lohnsteuerkarte (Ausgleichsjahr) folgenden Kalenderjahres (§ 42b Abs. 3 Satz 1 EStG). Beim Lohnsteuer-Jahresausgleich durch das FA, bei der Lohnsteuernachforderung und erst recht bei der Einkommensteuerveranlagung sei die Lohnsteuerkarte allenfalls ein Beweismittel ohne rechtliche Feststellungswirkung.
Nach dem Zweck der Lohnsteuerkarte müßten Änderungen bezüglich der dort vorgenommenen Eintragungen so rechtzeitig vorgenommen werden, daß sie noch dem Lohnsteuerabzug des Arbeitgebers für das Jahr ihrer Geltung zugrunde liegen könne. Diese Möglichkeit bestehe nur bis zur Lohnabrechnung des im März des Folgejahres endenden letzten Lohnzahlungszeitraumes. Im Streitfall sei daher diese Änderung der Lohnsteuerkarte 1976 durch Bescheid vom 20. April 1982 ins Leere gegangen.
Gegen diese Entscheidung legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung des § 39a Abs. 4, § 41c Abs. 4, § 42b Abs. 3 und § 42d Abs. 3 Nr. 1 EStG.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger der Freibetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 EStG für das Streitjahr 1976 nicht zustand.
a) Nach § 39a Abs. 1 Nr. 2 EStG können auf der Lohnsteuerkarte als ein vom Arbeitslohn abzuziehender Freibetrag die Pauschbeträge für Körperbehinderte und Hinterbliebene i. S. des § 33b EStG eingetragen werden. Entsprechend dieser Vorschrift hat das FA im Streitfall auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für 1976 einen Freibetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 EStG vermerkt, und es wurde aufgrund dessen ein entsprechend geringerer Betrag an Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer vom Arbeitgeber des Klägers im Jahr 1976 einbehalten und an das FA abgeführt.
b) Die Eintragung dieses Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ist von Anfang an zu Unrecht erfolgt.
Nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG erhalten Blinde und Körperbehinderte, die infolge der Körperbehinderung ständig so hilflos sind, daß sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen können, auf Antrag einen Freibetrag von 7 200 DM. Im Streitfall waren die Voraussetzungen dieser Norm nicht in der Person des Klägers, sondern in der seines Sohnes A erfüllt. § 33b Abs. 5 EStG gestattet dem Steuerpflichtigen die Übertragung des Freibetrages nach § 33b Abs. 3 EStG auf ihn, wenn das Kind ihn nicht in Anspruch nimmt. Eine solche Übertragung des Freibetrages setzt jedoch nach der Rechtsprechung des Senats (BFHE 135, 73, BStBl II 1982, 256) voraus, daß das Kind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, d. h. nach § 1 Abs. 1 EStG, daß es im Streitjahr 1976 in der Bundesrepublik seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das war hier jedoch nicht der Fall, da das Kind A im Streitjahr ausschließlich bei der Familie des Klägers im Ausland gelebt hat.
2. Entgegen der Ansicht des FG hat das FA die insoweit vom Arbeitgeber zu wenig einbehaltene und ans FA abgeführte Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer vom Kläger durch Erlaß des angefochtenen Bescheids vom 25. April 1977 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 1977 rechtswirksam nachgefordert.
Wie der Senat durch das dem FG im Streitfall noch nicht bekannte Urteil vom 24. September 1982 VI R 64/79 (BFHE 136, 484, BStBl II 1983, 60) entschieden hat, muß das FA in Fällen, in denen es zu keiner nachträglichen Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber kommen kann, weil dieser die Lohnsteuerbescheinigung bereits ausgeschrieben hat (§ 41c Abs. 3 Satz 1 EStG), nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vom Arbeitnehmer die zu wenig erhobene Lohnsteuer nachfordern, die sich aufgrund einer rückwirkenden Änderung eines auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Freibetrages ergibt. Auf die Entscheidung wird im einzelnen Bezug genommen.
Von den Grundsätzen dieser Entscheidung ist auch im Streitfall auszugehen. Als das FA bei der Bearbeitung des Antrages des Klägers auf Lohnsteuer-Jahresausgleich im April 1977 merkte, daß auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für 1976 zu Unrecht ein Freibetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 5 EStG eingetragen war, konnte es zu einer nachträglichen Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG nicht mehr kommen, weil dieser die Lohnsteuerbescheinigung bereits ausgeschrieben hatte. Das FA war daher berechtigt und verpflichtet, vom Kläger die insoweit zu wenig erhobene Lohnsteuer nachzufordern.
Für die Nachentrichtung der Kirchenlohnsteuer gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend (vgl. § 4 Abs. 1, § 5, § 8 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Lande Nordrhein-Westfalen i. d. F. der Bekanntgabe vom 13. November 1968, Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1968, 375, BStBl I 1968, 1245).
Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausging, ist insoweit aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Nachforderungsbescheid des FA ist rechtmäßig. Die hiergegen gerichtete Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415040 |
BFH/NV 1987, 511 |