Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur beschränkten Steuerpflicht ausländischer Kinder
Leitsatz (NV)
Ausländische Kinder, die während des Schulbesuches bei Verwandten im Heimatland der Eltern wohnen, sind grundsätzlich nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Das gilt auch, wenn sie sich während der Ferien bei den Eltern im Inland aufhalten.
Normenkette
AO 1977 § 8; EStG 1990 § 33a Abs. 1-2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau, die beide die tunesische Staatsangehörigkeit besitzen, leben in E, wo in den Jahren 1976, 1979 und 1982 ihre drei Kinder geboren worden sind. Die Kinder wurden in Tunesien eingeschult, so sie jeweils seit ihrem 6. Lebensjahr im Haushalt der Großeltern der Ehefrau des Klägers leben. Ihre mehrwöchigen Sommerferien verbringen die Kinder bei ihren Eltern in E. Der Kläger und seine Ehefrau fahren ihrerseits jeweils zu Weihnachten für zwei Wochen und im Sommer für drei Wochen zu den Kindern und Großeltern nach Tunesien.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1990) beantragte der Kläger u. a. die Gewährung eines Kinder- und eines Ausbildungsfreibetrages für jedes seiner Kinder. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer mit Bescheid vom 15. Juli 1991 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) lediglich einen Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung in Höhe von 1 008 DM für jedes Kind.
Auf den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch entschied das FA, daß die Einkommensteuer entsprechend dem geänderten Bescheid vom 25. Februar 1992 herabgesetzt werde. Mit diesem Bescheid änderte das FA die Steuerfestsetzung für 1990 dahingehend, daß es zusätzlich für die drei Kinder je einen Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 EStG in Höhe von 600 DM gewährte.
Das Klageverfahren war erfolgreich. Der Kläger hatte in diesem Verfahren u. a. vorgetragen, daß der Schulbesuch seiner Kinder in Tunesien deshalb erfolge, um ihnen eine Beziehung zum Land ihrer Väter zu erhalten. Das Finanzgericht (FG) hielt die Voraussetzungen sowohl für die Gewährung der Kinderfreibeträge als auch für die Berücksichtigung eines Ausbildungsfreibetrages pro Kind in Höhe von je 1 800 DM für gegeben. Die Kinder seien im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen, da sie in der Wohnung ihrer Eltern in E einen Wohnsitz i. S. von § 8 der Abgabenordnung (AO 1977) unterhalten hätten. Dieser Wohnsitz, den sie seit ihrer Geburt innegehabt hätten, sei auch nicht durch ihren Aufenthalt in Tunesien aufgegeben worden. Die Kinder hätten dort allenfalls einen weiteren Wohnsitz begründet. Die Wohnung ihrer Eltern habe ihnen weiterhin jederzeit zur Verfügung gestanden und sei von ihnen in den Ferien auch regelmäßig aufgesucht worden. Mehr sei für das Beibehalten eines inländischen Wohnsitzes nicht erforderlich. Der steuerliche Wohnsitzbegriff setze nicht voraus, daß die Wohnung dauernd oder während einer Mindestzeit durch den Inhaber genutzt werde. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung, nach der Kinder von Gastarbeitern, die ihre Schulausbildung im Herkunftsland der Eltern erhalten, den inländischen Wohnsitz ihrer Eltern nicht teilen, könne nicht gefolgt werden. Für die im Inland geborenen und aufgewachsenen Kinder des Klägers sei Tunesien ebenso fremd gewesen wie für das Kind eines Inländers. Die Annahme des BSG, daß das ausländische Kind auf unbestimmte Zeit in das Heimatland zurückkehre und nicht mehr beabsichtige, die Wohnung im Inland beizubehalten, sei im Verhältnis zu dem Auslandsaufenthalt eines inländischen Kindes nicht zwingend. Vielmehr müsse gerade bei noch minderjährigen Kindern ausländischer Eltern, die sich nur zum Schulbesuch im Ausland aufhielten, nach wie vor von einer familiären Bindung zu den im Inland lebenden Eltern ausgegangen werden.
Dem Kläger stehe nicht nur für jedes Kind ein Kinderfreibetrag zu, sondern auch ein ungekürzter Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG. Da die Kinder im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig gewesen seien, komme eine Kürzung der entsprechenden Freibeträge nach § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG nicht in Betracht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Entgegen der Auffassung des FG waren die drei Kinder des Klägers im Streitjahr nicht unbeschränkt steuerpflichtig.
Unbeschränkt steuerpflichtig sind natürliche Personen, die im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs. 1 EStG). Der in § 1 Abs. 1 EStG verwendete Begriff des Wohnsitzes ist in § 8 AO 1977 näher bestimmt. Danach hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom14. November 1969 III R 95/68, BFHE 97, 425, BStBl II 1970, 153, und vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301). Wegen dieser objektiven Betrachtungsweise ist es daher z. B. ohne Bedeutung, wo jemand polizeilich gemeldet ist.
Wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 22. April 1994 III R 22/92 (BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887), in dem es ebenfalls um die beschränkte oder unbeschränkte Steuerpflicht eines ausländischen Kindes ging, entschieden hat, fehlt es am Innehaben einer inländischen Wohnung, wenn das Kind zum Schulbesuch im Heimatland seiner Eltern bei Verwandten untergebracht ist. Das gilt auch für den Fall, daß das Kind sich während der Ferien in der Wohnung der Eltern im Inland aufhält.
Der Senat war in dem oben genannten Urteil der Auffassung, daß bei einem minderjährigen Kind, das für mehrere Jahre zum Besuch der Schule von Verwandten im Heimatland der Eltern aufgenommen wird, der Auslandsaufenthalt nicht in erster Linie durch den Zweck der Ausbildung bestimmt sei. Nach der Lebenserfahrung diene ein solcher Aufenthalt vielmehr vor allem auch dem -- vom Kläger ebenfalls genannten -- Zweck, die Heimat der Familie genauer kennenzulernen und sich längerfristig in die dortigen Lebensverhältnisse einzuleben. Das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisher bestehenden Bindungen führten in der Regel zu einer Verwurzelung im Ausland (Heimatland), verbunden mit einer Einschränkung der bisherigen familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern. Der Schluß, daß das Kind die Wohnung bei den Eltern beibehalte und benutze, könne daher in der Regel nicht mehr gezogen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Entscheidung in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887 Bezug genommen, an deren Grundsätzen der Senat festhält.
Hiervon ausgehend hatten die drei minderjährigen Kinder des Klägers im Streitjahr keinen Wohnsitz im Inland. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, waren die Kinder zum Schulbesuch bei den Großeltern der Ehefrau des Klägers in Tunesien untergebracht. Sie hielten sich nur während der mehrwöchigen Schulferien in der Wohnung des Klägers in E auf. Damit diente diese Wohnung den Kindern nicht (mehr) als Bleibe.
Die Absicht, nach Abschluß der Schulausbildung in das Inland zurückzukehren, um dort eine Berufsausbildung zu absolvieren, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn die Dauer einer Schulausbildung kann wegen der Möglichkeit, weiterführende Schulen zu besuchen oder einzelne Abschnitte zu wiederholen, nicht hinreichend genau bestimmt werden. Es ist daher auch für den Sohn H im Streitjahr von einer Aufgabe der inländischen Wohnung für die zeitlich nicht absehbare Dauer der Schulausbildung auszugehen.
2. Bei den sich nur jeweils über 10 Wochen eines Jahres erstreckenden Ferienaufenthalten der Kindes des Klägers im Inland sind auch die Voraussetzungen für einen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 9 AO 1977 nicht gegeben. Nach § 9 Satz 1 AO 1977 hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt. Die Sechsmonatsfrist in § 9 Satz 2 AO 1977 enthält einen Anhaltspunkt dafür, welche Aufenthaltsdauer nicht mehr als nur vorübergehend anzusehen ist. Entscheidend ist, ob ursprünglich ein mehr als sechs Monate dauernder Aufenthalt im Inland geplant war. Daran fehlt es im Streitfall (vgl. dazu BFH-Urteile vom 30. August 1989 I R 215/85, BFHE 158, 118, BStBl II 1989, 956, und in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).
3. Dem Kläger steht für seine drei in Tunesien untergebrachten schulpflichtigen Kinder -- wovon das FA zutreffend ausgegangen ist -- je ein Unterhaltsfreibetrag nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG als Ausgleich dafür zu, daß ihm wegen der beschränkten Steuerpflicht der Kinder nach § 32 Abs. 2 und 6 EStG ein Kinderfreibetrag nicht gewährt werden kann (vgl. BFH- Urteile vom 8. Juni 1990 III R 107/88, BFHE 161, 103, BStBl II 1990, 898, und vom 15. April 1992 III R 80/90, BFHE 168, 316, BStBl II 1992, 896). Für die Höhe des Abzugsbetrages sind gemäß § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG die Verhältnisse des Wohnsitzstaates der unterhaltenen Person -- hier die Verhältnisse in Tunesien -- maßgebend. Die in § 33 a EStG genannten Höchstbeträge sind auf das notwendige und angemessene Maß zu beschränken, wofür die sog. Ländergruppeneinteilung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 11. Dezember 1989 IV B 6 -- S -- 2365 -- 28/89, BStBl I 1989, 463) einen auch von den Steuergerichten zu beachtenden Maßstab bietet. Tunesien gehörte danach im Streitjahr zu der Ländergruppe 3, so daß die Beträge nach § 33 a Abs. 1 EStG nur in Höhe von einem Drittel anzusetzen waren.
Demgemäß hat das FA für die in Tunesien lebenden Kinder des Klägers zu Recht je einen Unterhaltshöchstbetrag von 1 008 DM (1/3 von 3 024 DM) bei der Veranlagung berücksichtigt.
4. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteile vom 6. November 1987 III R 241/83, BFHE 151, 416, BStBl II 1988, 438, III R 178/85, BFHE 151, 425, BStBl II 1988, 442, sowie in BFHE 168, 316, BStBl II 1992, 896) ist das FA auch zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger für jedes seiner drei Kinder im Streitjahr nur ein Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 i. V. m. Satz 6 EStG in Höhe des nach der Ländergruppeneinteilung ermäßigten Betrages von 600 DM (1/3 von 1 800 DM) zustand. Nach den Feststellungen des FG befanden sich die Kinder während des gesamten Streitjahres in Ausbildung und waren bei den Großeltern in Tunesien auswärts i. S. von § 33 a Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG untergebracht.
Die Ausbildungsfreibeträge sind für die Zeiten der Ferienaufenthalte der Kinder bei ihren Eltern im Inland während der Sommermonate nicht zu kürzen. Die Berufsausbildung und auch die auswärtige Unterbringung wurden durch die Schulferien nicht unterbrochen, da die Fortsetzung der Schulausbildung beabsichtigt war und den Aufenthalten der Kinder im Inland damit nur der Charakter von Besuchsaufenthalten zukommt (BFH-Urteil in BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887).
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO), die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 420725 |
BFH/NV 1995, 967 |