Leitsatz (amtlich)
Die nebenamtliche Prüfungstätigkeit eines Hochschullehrers der Rechtswissenschaft am Landesjustizprüfungsamt für die erste juristische Staatsprüfung ist gemäß § 3 Nr.26 EStG begünstigt.
Orientierungssatz
1. Auch wenn ein Hochschullehrer zur Übernahme der Prüfungstätigkeit als Mitglied des Juristischen Prüfungsamtes im Nebenamt verpflichtet ist, kann diese Tätigkeit nicht als Bestandteil seiner beruflichen Haupttätigkeit angesehen werden (Heranziehung der zu § 34 Abs. 4 EStG aufgestellten Abgrenzungsmerkmale zwischen Haupttätigkeit und Nebentätigkeit). Die Prüfungstätigkeit gehört ihrer Art nach zu den durch § 3 Nr. 26 EStG begünstigten Betätigungen. Der Hochschullehrer ist zwar nicht als Ausbildungsleiter tätig, übt aber eine damit vergleichbare Tätigkeit aus, die auch gemeinnützigen Zwecken i.S. von § 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 dient (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Parallelentscheidung: BFH, 29.1.1987, IV R 79/86, NV.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 26; LStDV § 2 Abs. 3 Nr. 6; AO 1977 § 52 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Hochschullehrer der Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin tätig. Zusätzlich wirkt er an Prüfungen des Justizprüfungsamtes Berlin zur ersten juristischen Staatsprüfung mit. Für diese Mitwirkung hat er in den Jahren 1982 und 1983 Vergütungen erhalten. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat diese Vergütungen als Bestandteil der Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit angesehen. Der Kläger war demgegenüber der Auffassung, daß es sich um eine selbständig ausgeübte nebenberufliche Tätigkeit handle, für die ihm die Steuervergünstigung des § 3 Nr.26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zustehe.
Die Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) nahm an, daß es sich um eine selbständige, nicht aber um eine nebenberufliche Tätigkeit i.S. von § 3 Nr.26 EStG handle, so daß der Kläger nur die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit tatsächlich entstandenen Betriebsausgaben absetzen könne; diese schätzte das FG auf 25 v.H. der Einnahmen, höchstens 1 200 DM, und setzte deswegen 1 200 DM bzw. 931 DM von den Einnahmen ab.
Gegen das Urteil des FG haben sowohl der Kläger als auch das FA die vom FG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers erweist sich als begründet, die Revision des FA dagegen im Ergebnis als unbegründet. Bei der Beteiligung des Klägers an den Prüfungen zum ersten juristischen Staatsexamen handelt es sich um eine nach § 3 Nr.26 EStG begünstigte Tätigkeit.
1. § 3 Nr.26 EStG sieht Einnahmen in Höhe von 2 400 DM als steuerfreie Aufwandsentschädigung an, wenn sie für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs.1 Nr.9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) fallenden Einrichtung geleistet werden. Die Begünstigung wird nur für eine nebenberufliche Tätigkeit gewährt. Übt der Steuerpflichtige auch eine Haupttätigkeit aus, ist demnach rechtserheblich, ob es sich bei der in Frage stehenden Betätigung um einen Bestandteil der Haupttätigkeit oder um eine gesonderte, aber nebenberufliche Tätigkeit handelt.
2. Eine damit vergleichbare Entscheidung war auch bei Anwendung des bis zum Veranlagungszeitraum 1981 geltenden § 34 Abs.4 EStG zu treffen. Danach waren Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen begünstigt. Zu diesen Voraussetzungen gehörte auch, daß die Nebeneinkünfte nicht zu den (Haupt-)Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit gehörten und von den (Haupt-)Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit abgrenzbar waren. Die hierzu gewonnenen Einsichten können auch für die in § 3 Nr.26 EStG verlangte Abgrenzung zwischen Haupt- und nebenberuflicher Tätigkeit herangezogen werden.
a) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in diesem Zusammenhang mehrfach entschieden, daß eine Tätigkeit nicht als Nebentätigkeit angesehen werden könne, wenn die erzielten Einnahmen vom Arbeitgeber der Haupttätigkeit stammen und beide Tätigkeiten unmittelbar zusammenhängen. Ein solcher Zusammenhang ist angenommen worden, wenn beide Tätigkeiten gleichartig sind und die Nebentätigkeit unter ähnlichen organisatorischen Bedingungen ausgeübt wird oder wenn der Steuerpflichtige mit der Nebentätigkeit eine ihm aus seinem Dienstverhältnis --faktisch oder rechtlich-- obliegende Nebenpflicht erfüllt (BFH-Urteile vom 25.November 1971 IV R 126/70, BFHE 103, 570, BStBl II 1972, 212; vom 4.Dezember 1975 IV R 162/72, BFHE 117, 547, BStBl II 1976, 291; vom 7.Februar 1980 IV R 37/76, BFHE 130, 39, BStBl II 1980, 321; vom 4.Oktober 1984 IV R 131/82, BFHE 142, 268, BStBl II 1985, 51).
b) Schon früher ist entschieden worden, daß ein Professor der Rechtswissenschaft als Mitglied des Juristischen Prüfungsamtes eine selbständige Tätigkeit i.S. von § 18 EStG ausübt, die von seiner unselbständigen Tätigkeit als Hochschullehrer zu trennen ist, allerdings unter der Voraussetzung, daß der Hochschullehrer nicht zur Übernahme des Amtes verpflichtet ist; falls eine solche Verpflichtung vorliege, müsse ein Dienstverhältnis zur Landesjustizverwaltung angenommen werden (BFH-Urteil vom 2.April 1958 IV 230/57 U, BFHE 67, 52, BStBl III 1958, 293).
Später ist angenommen worden, daß ein Professor der Medizin, der Mitglied des Staatlichen Ausschusses für die medizinischen Vorprüfungen ist, insoweit ebenfalls eine begünstigte selbständige Tätigkeit ausübt. Der BFH hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, daß der Hochschullehrer die Eigenschaft als Prüfer erst durch eine Bestellung des zuständigen Landesministers und durch Einweisung in das Amt erlangt habe, so daß die Prüfungen nicht eine Veranstaltung der Universität seien und die Prüfungseinnahmen nicht aus dem Dienstverhältnis als Hochschullehrer stammten (Urteil vom 19.Januar 1968 VI R 83/66, BFHE 91, 308, BStBl II 1968, 309).
Diese Entscheidung ist nicht, wie die Revision des FA offenbar annimmt, von der späteren Rechtsprechung überholt worden. Der BFH hat zwar später darauf hingewiesen, daß ein unmittelbarer Zusammenhang mit der unselbständigen Haupttätigkeit angenommen werden könne, wenn der Steuerpflichtige mit der Nebentätigkeit eine ihm in seinem Dienstverhältnis rechtlich oder tatsächlich obliegende Nebenpflicht erfülle; er hat hierbei aber der Organisation der Nebentätigkeit besondere Bedeutung beigemessen und sich weiterhin auf das vorerwähnte Urteil berufen (vgl. Urteil in BFHE 130, 39, BStBl II 1980, 321). In einer anderen Entscheidung ist ausgeführt worden, daß ein Zusammenhang mit dem bestehenden Dienstverhältnis nur angenommen werden könne, wenn der Arbeitnehmer auch in der zusätzlichen Tätigkeit der Weisung und Kontrolle des Dienstherrn unterliege (BFH-Urteil vom 8.Februar 1972 VI R 7/69, BFHE 104, 539, BStBl II 1972, 460, betreffend einen gleichzeitig als Schätzer einer öffentlich-rechtlichen Brandkasse tätigen Gemeindedirektor).
3. Nach diesen aufrechtzuerhaltenden Grundsätzen kann auch im Streitfall die Prüfungstätigkeit des Klägers nicht als Bestandteil seiner beruflichen Haupttätigkeit angesehen werden. Der Kläger war zwar dienstrechtlich zur Übernahme der Prüfungstätigkeit im Nebenamt verpflichtet. Er hat diese Tätigkeit aber nicht als Teil seiner Haupttätigkeit und auch nicht unter Weisung und Kontrolle der Hochschule ausgeübt.
a) Gegen die Gemeinsamkeit von Prüfungs- und Lehrtätigkeit spricht bereits, daß es sich bei der ersten juristischen Staatsprüfung nicht um eine akademische Abschlußprüfung, sondern um eine staatliche Prüfung handelt, die die Zulassung zum Vorbereitungsdienst zum Ziel und zur Folge hat (§ 1 Abs.1, § 6 Abs.1 des Gesetzes über die juristische Ausbildung --JAG-- vom 29.April 1966, Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin --GVBl Bln-- 1966, 735; vgl. auch § 2, § 6 Abs.1 JAG vom 26.November 1984, GVBl Bln 1984, 1684).
Dieser funktionellen Trennung entspricht auch die organisatorische Verselbständigung des Prüfungsvorgangs. Sie zeigt sich darin, daß die Prüfungen nicht in der Verantwortung der Universität erfolgen, sondern daß sie dem Landesjustizprüfungsamt, einer Behörde im Geschäftsbereich des Senators der Justiz, übertragen sind. Demgemäß finden die Prüfungen häufig auch nicht am Ort der Universität statt. Die akademischen Mitglieder können auch nicht damit rechnen, nur Studenten "ihrer" Hochschule zu prüfen. Dies gilt insbesondere in Bundesländern mit mehreren Hochschulen, konnte sich aber auch in Berlin ergeben, da die Zulassung zur Prüfung nicht von einem Studium an der Freien Universität Berlin abhängig war (§ 4 JAG 1966).
Besonders deutlich wird diese Verselbständigung aber in der Auswahl, der Berufung und dem Einsatz der Prüfer zur Beurteilung von schriftlichen Arbeiten und zur Mitwirkung in den Prüfungsausschüssen. Diese Aufgabe oblag nicht den Universitäten, sondern dem Landesjustizprüfungsamt als einer nachgeordneten Behörde des Senators für Justiz (§ 14 JAG 1966). Zu Prüfern konnten nicht nur Hochschullehrer, sondern auch Richter, Rechtsanwälte und Staatsanwälte sowie andere Personen berufen werden, die die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst erlangt hatten (§ 15 Abs.3 JAG 1966). Wie diese Prüfer, erlangten auch die Hochschullehrer die Prüfungsberechtigung erst dadurch, daß sie der Senator für Justiz, allerdings auf Vorschlag der Freien Universität, zu Mitgliedern des Prüfungsamts berief (§ 15 Abs.4 JAG 1966). Sie übten insoweit kein Hochschulamt, sondern ein Amt der Justizverwaltung aus.
b) An der damit gegebenen Ausgliederung der Prüfungstätigkeit aus dem Dienstverhältnis zur Hochschule ändert auch der Umstand nichts, daß § 133 Abs.3 Nr.1 des Berliner Hochschulgesetzes i.d.F. vom 30.Juli 1982 (GVBl Bln 1982, 1549) nach dem Vorbild von § 43 Abs.1 des Hochschulrahmengesetzes des Bundes vom 26.Januar 1976 (BGBl I, 185) die Mitwirkung an Hochschul- und Staatsprüfungen nach Maßgabe der Prüfungsordnungen zu den hauptberuflichen Aufgaben der Professoren rechnet. Da die Mitwirkung eben nach Maßgabe der Prüfungsordnungen erfolgt, bedeutet dies für den Bereich der ersten juristischen Staatsprüfung, daß die Hochschullehrer dienstrechtlich gehalten sind, sich zur Berufung als Prüfer zur Verfügung zu stellen. Mag die Annahme des Prüferamtes damit zu den Dienstpflichten des Klägers gehört haben, so war die Prüfungstätigkeit doch nicht Teil seines Dienstverhältnisses zur Hochschule, da diese auf die Ausübung des Amtes keinen Einfluß nehmen konnte.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs.3 Nr.6 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV). Danach gehören zum Arbeitslohn auch Entschädigungen für Nebenämter und Nebenbeschäftigungen im Rahmen des Dienstverhältnisses. Nach dem Vorgesagten fällt das Prüfungsamt aber nicht in den Rahmen des Dienstverhältnisses. Diese Beurteilung der Prüfungstätigkeit liegt auch der bisherigen Rechtsprechung zugrunde, die darin eine selbständige Tätigkeit des Hochschullehrers --und der übrigen, nicht im Hochschulbereich tätigen und ihm entstammenden Prüfer-- gesehen hat (BFH-Urteile vom 14.März 1958 VI 36/55 U, BFHE 66, 662, BStBl III 1958, 255; in BFHE 67, 52, BStBl III 1958, 293; in BFHE 91, 308, BStBl II 1968, 309).
Selbständige und unselbständige Tätigkeit können auch in Ansehung des § 3 Nr.26 EStG nicht zu einer Einheit verschmolzen werden. An dieser steuerlichen Beurteilung wird durch die Aufnahme der Prüfungstätigkeit in den Pflichtenkatalog der Hochschullehrer durch die Hochschulgesetze der Länder nichts geändert; eine solche Mitwirkung bei Staatsprüfungen wurde auch bisher schon erwartet.
4. Das FG hat die Prüfungstätigkeit des Klägers zwar als selbständige Tätigkeit beurteilt, sie im Hinblick auf die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Prüfungen aber als hauptberufliche Aufgabe angesehen. Dies kann dahin verstanden werden, daß die Steuerbegünstigung des § 3 Nr.26 EStG nach dem Zweck der Vorschrift in einer derartigen Lage nicht gewährt werden kann. Ziel des § 3 Nr.26 EStG ist es, Bürger, die in der vom Gesetz dargestellten Weise tätig werden, von steuerlichen Verpflichtungen zu befreien und dadurch die Bereitschaft zur Übernahme solcher Betätigungen zu fördern (vgl. Regierungsbegründung, BTDrucks 8/3688 S.16). Hieraus könnte gefolgert werden, daß solche nebenberuflichen Betätigungen nicht gefördert werden sollten, wenn zu ihrer Übernahme eine rechtliche oder tatsächliche Verpflichtung bestand. Für eine derartige Einschränkung gibt der Gesetzeswortlaut aber keinen Anhaltspunkt. Zudem kann eine steuerliche Begünstigung auch in diesem Fall bewirken, daß die nebenberuflichen Aufgaben mit größerem Einsatz wahrgenommen werden.
5. Daß die Prüfungstätigkeit auch nach Umfang und Höhe der gewährten Entschädigung nebenberuflich war, liegt auf der Hand. Auf die sonst in diesem Zusammenhang bestehenden Zweifelsfragen braucht der Senat vorliegend nicht einzugehen.
6. Die Prüfungstätigkeit gehört ihrer Art nach zu den durch § 3 Nr.26 EStG begünstigten Betätigungen. Der Kläger war zwar nicht als Ausbildungsleiter tätig (vgl. dazu BFH-Urteil vom 23.Januar 1986 IV R 24/84, BFHE 146, 63, BStBl II 1986, 398), übte aber eine damit vergleichbare Tätigkeit aus. Zur Ausbildung gehört auch die Kontrolle der erlangten Kenntnisse und Fertigkeiten. Die Einrichtung von Prüfungen und die damit eröffneten Möglichkeiten beruflichen Fortkommens geben häufig erst den Ausschlag für das Eingehen einer Berufsausbildung. Weil damit die Förderung von Bildung und Erziehung verbunden ist, dient diese Tätigkeit, für sich gesehen, auch gemeinnützigen Zwecken i.S. von § 52 Abs.2 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 61549 |
BStBl II 1987, 783 |
BFHE 149, 45 |
BB 1987, 1019-1019 (ST) |
DB 1987, 1395-1396 (ST) |
DStR 1987, 370-370 (S) |
HFR 1987, 287-288 (ST) |