Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsberechtigung nach § 50d EStG für den Steuerschuldner - Gestaltungsmißbrauch bei Auslandsbezug: Geltung des § 42 AO 1977 auch bei beschränkt Steuerpflichtigen, Änderung der Rechtsprechung (Monaco-Urteil), Durchleitung von Einnahmen durch eine nicht in einem Niedrigbesteuerungsland ansässige Kapitalgesellschaft, Verletzung der Sachaufklärungspflicht, Anwendung nationaler Mißbrauchsregelungen bei bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen, § 50d Abs. 1a EStG als klarstellende Gesetzesergänzung
Leitsatz (amtlich)
1. Antrags- bzw. erstattungsberechtigt nach § 50d EStG ist der Steuerschuldner, für den die Abzugssteuer einzubehalten ist.
2. § 42 AO 1977 erfaßt auch beschränkt Steuerpflichtige (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150).
3. Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung inländischer Steuer durch eine ausländische Kapitalgesellschaft "durchgeleitet", so kann ein Gestaltungsmißbrauch auch dann vorliegen, wenn der Staat, in dem die Kapitalgesellschaft ihren Sitz hat, kein sog. Niedrigbesteuerungsland ist.
4. Das FG verletzt im Regelfall seine Sachaufklärungspflicht, wenn es bei der Prüfung der Frage, ob eine im Ausland ansässige Kapitalgesellschaft im Inland eine --die Anwendung des § 42 AO 1977 ausschließende-- wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hat, ausschließlich den Angaben der ausländischen Kapitalgesellschaft folgt, obgleich inländische Vertragspartner als Zeugen zur Verfügung stünden.
Orientierungssatz
1. Soweit Steuerpflicht im Inland besteht, ist grundsätzlich auch Raum für Steuervermeidung. Soweit den Ausführungen des Senats im sog. Monaco-Urteil (Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80) Entgegenstehendes entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht mehr fest. Damit besteht kein Widerspruch mehr zu der sog. "Niederländische-Brüder-Entscheidung" (BFH-Urteil vom 10.11.1983 IV R 62/82).
2. Der Anwendung nationaler Mißbrauchsregelungen stehen die Doppelbesteuerungsabkommen jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es um Fragen der Einkünftezurechnung geht und einzelne Abkommen keine Sonderregelungen enthalten. Die Einkünftezurechnung ist grundsätzlich nicht Gegenstand der Doppelbesteuerungsabkommen. Insoweit gelten die jeweiligen nationalen Zurechnungsvorschriften und damit auch § 42 AO 1977 (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).
3. Ein Gestaltungsmißbrauch setzt nicht notwendigerweise eine Beteiligung von Inländern voraus. Die an der vertraglichen Gestaltung Beteiligten müssen nicht sog. nahestehende Personen sein (vgl. BFH-Beschluß vom 3.2.1993 I B 90/92).
4. § 50d Abs. 1 a EStG (Geltung ab 1.1.1994) dient der Konkretisierung des Grundsatzes, daß bilaterale Abkommen unter einem Umgehungsvorbehalt stehen. Die Gesetzesergänzung bezweckte, einer möglichen Unvollständigkeit des § 42 AO 1977 Rechnung zu tragen, nicht aber den Geltungsbereich des § 42 AO 1977 einzuschränken. Es widerspricht dem Sinn klarstellender Gesetzesänderungen oder -ergänzungen, diesen einen ausdrücklichen Rückwirkungsvorbehalt beizufügen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1996 IV R 83/95).
Normenkette
AO 1977 § 42; EStG § 50d Abs. 1a; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im Jahr 1986 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ohne Sitz oder Geschäftsleitung im Inland. Unter ihrer Postanschrift residierten eine Vielzahl anderer Unternehmen.
Unternehmensgegenstand der Klägerin war der Betrieb und die Unterstützung der Ausrichtung von Veranstaltungen. Ihr Alleingesellschafter war ein nicht in einem DBA-Staat Ansässiger, der als Experte auf dem Gebiet der Organisation von Veranstaltungen tätig war.
Im übrigen hat das Finanzgericht (FG) folgende Feststellungen getroffen:
Geschäftsführer der Klägerin war bis 20. März 1990 eine ausländische Kapitalgesellschaft, danach der nicht im Inland ansässige Rechtsanwalt und Steuerberater X. X führt Gespräche mit Vertragspartnern, leistet Unterschriften im Namen der Klägerin und überwacht die Erfüllung der Verpflichtungen. Er erhält für seine Tätigkeiten unmittelbar kein Geld von der Klägerin. Diese zahlt jedoch für seine Aktivitäten eine Managementvergütung an eine ausländische Steuerberatungsgesellschaft, deren Teilhaber X ist.
Vor 1989 hatte die Klägerin kein fest angestelltes Personal, sondern arbeitete nur mit Zeitarbeitskräften und freien Mitarbeitern. Seit 1989 verfügte die Klägerin zusammen mit ihren Schwestergesellschaften über eigene Angestellte. Dies waren eine Sekretärin und ein Assistent von X. Das FG hat ferner festgestellt, daß die Klägerin in den Streitjahren rund 90 % ihrer Einnahmen als operating expenses and charges for secondment services an Dritte zahlte.
Die Klägerin schloß mit einem inländischen Veranstalter einen Vertrag, in dem sie sich verpflichtete, diesen bei der Organisation von Veranstaltungen mit ihren Verbindungen und ihrem Know-how zu unterstützen und zu beraten. Die Klägerin verpflichtete sich insbesondere auch für die Teilnahme bestimmter Personen und für die Übertragung von Veranstaltungen im Fernsehen zu sorgen Die Fernsehübertragungsrechte räumte die Klägerin gegen Entgelt einem inländischen Fernsehunternehmen ein.
Wenige Tage nach Beendigung der letzten auf diese Weise im Inland abgehaltenen Veranstaltung schlossen die Klägerin und der Veranstalter einen Vertrag, in dem sie den ursprünglichen Vertrag teilweise abänderten. Anlaß der Neuvereinbarung war, daß von der Klägerin zu vermittelnden Personen erkrankt waren und daher an der Veranstaltung nicht teilnehmen konnten. Die Vergütung der Klägerin wurde dementsprechend nachträglich reduziert. Für die letzte Veranstaltung wurde vereinbart, daß die Leistung der Klägerin ausschließlich in der Vermittlung gegen eine bestimmte Vermittlungsprovision bestehen sollte. Der Veranstalter trat ferner in den Vertrag der Klägerin mit dem Fernsehunternehmen ein.
Die Klägerin beantragte beim Beklagten, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Bundesamt für Finanzen --BfF--) Freistellungsbescheinigungen für ihre aus dem genannten Sachverhalt erzielten Einnahmen. Dieser Antrag wurde zuletzt unter Hinweis auf Rechtsmißbrauch abgelehnt.
Die Klage hatte teilweisen Erfolg.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision u.a. Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977), der §§ 76, 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und beantragt, das Urteil aufzuheben und das BfF zur uneingeschränkten Erteilung der Freistellungsbescheinigungen und zur Erstattung einbehaltener Steuern zu verpflichten. Außerdem beantragt sie, die Revision des BfF zurückzuweisen.
Das BfF rügt mit seiner Revision Verletzung des § 42 AO 1977 sowie Verfahrensverstöße und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Sowohl die Revision der Klägerin als auch des BfF ist begründet. Die Revisionen führen wegen begründeter Verfahrensrügen zur Aufhebung der Vorentscheidung und mangels Spruchreife zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Der Revision der Klägerin ist nicht schon deswegen stattzugeben, weil die Klägerin zivilrechtlich Gläubigerin der vom inländischen Veranstalter zu zahlenden Vergütungen ist.
Die Befugnis, eine Freistellungsbescheinigung nach § 73h der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) bzw. § 50d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der ab 1989 geltenden Fassung und die Erstattung einbehaltener Steuern nach § 37 Abs. 2 AO 1977 ggf. i.V.m. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu beantragen, steht (auch) dem Vergütungsgläubiger zu (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juli 1972 I R 210/70, BFHE 107, 6, BStBl II 1973, 15). Als Vergütungsgläubiger ist aber nicht, wie die Klägerin meint, der zivilrechtliche Gläubiger zu verstehen. Der Vergütungsgläubiger muß der Steuerschuldner sein. Dies folgt aus § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG, wonach der Vergütungsschuldner den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers vorzunehmen hat und diesen ausdrücklich als Steuerschuldner definiert (s. Klammerzusatz). In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung in BFHE 107, 6, BStBl II 1973, 15 den Steuerschuldner als Antragsberechtigten angesehen.
Im Regelfall wird allerdings der Steuerschuldner zugleich der Vergütungsgläubiger sein. Für den Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 muß dies jedoch nicht gelten. So hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 21. Januar 1976 I R 234/73 (BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513) einer schweizer Kapitalgesellschaft wegen Gestaltungsmißbrauch die Erstattungsberechtigung abgesprochen. Würde der Senat, wie die Klägerin, die Antrags- und Erstattungsberechtigung allein dem zivilrechtlichen Gläubiger einräumen, so würde dies nicht nur dem Zweck des § 42 AO 1977, sondern auch dem Zweck abkommensrechtlicher Mißbrauchsbestimmungen (vgl. z.B. Art. 17 Abs. 2 des OECD-Musterabkommens aus 1977 --OECD-MustAbk--; Art. 28 Abs. 1 e des Doppelbesteuerungsabkommens USA --DBA-USA-- 1989) zuwiderlaufen.
Eine Antrags- bzw. Erstattungsbefugnis ergibt sich auch nicht daraus, daß der Vergütungsschuldner in den Steueranmeldungen die Klägerin als Vergütungsgläubiger angegeben hat. Die Namensangabe nach § 73e Satz 2 EStDV dient nur der inhaltlichen Konkretisierung der Abführungsschuld des Vergütungsschuldners. Sie besagt aber nicht, daß der vom Vergütungsschuldner Benannte der beschränkt Steuerpflichtige ist, für den die Steuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG einzubehalten ist und einbehalten wird. Gerade in Fällen der vorliegenden Art kann der Vergütungsgläubiger nur feststellen, daß eine Abzugs- und Abführungspflicht besteht, nicht aber wer letztlich der beschränkt steuerpflichtige Steuerschuldner ist (vgl. im übrigen BFH-Beschluß vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700).
2. Das mit dem Sitzstaat der Klägerin abgeschlossene DBA steht der Anwendung der nationalen Mißbrauchsbestimmung nicht entgegen.
Der BFH hat in nunmehr ständiger Rechtsprechung auch bei Bestehen von Doppelbesteuerungsabkommen die Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften in Rechtsbeziehungen zum Inland anhand des § 42 AO 1977 überprüft (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1991 I R 40/89, BFHE 166, 323, BStBl II 1992, 1026; vom 28. Januar 1992 VIII R 7/88, BFHE 167, 273, BStBl II 1993, 84, m.w.N.; vom 10. November 1983 IV R 62/82, BFHE 141, 12, BStBl II 1984, 605). Zwar ist in der Literatur die Frage nach der Geltung nationaler Mißbrauchsbestimmungen im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen nach wie vor streitig (vgl. z.B. Darstellung bei Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., Art. 1 Rdnrn. 87 ff.). Der Anwendung nationaler Mißbrauchsregelungen stehen die Doppelbesteuerungsabkommen aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es um Fragen der Einkünftezurechnung geht und einzelne Abkommen keine Sonderregelungen enthalten. Die Einkünftezurechnung ist grundsätzlich nicht Gegenstand der Doppelbesteuerungsabkommen. Insoweit gelten die jeweiligen nationalen Zurechnungsvorschriften und damit auch § 42 AO 1977 (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Juli 1989 I R 46/85, BFHE 158, 224, BStBl II 1990, 113, m.w.N.; Widmann in K. Vogel, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, 1985, 235, 254; Selling, Der Betrieb --DB-- 1988, 930; Krabbe, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1985/86, 403, 412; Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, Systematik III Rdnr. 49; Merthan, Recht der Internationalen Wirtschaft --RIW-- 1992, 927; Fischer-Zernin, RIW 1987, 362). Die von der Klägerin in den Vordergrund gestellte Frage, ob die Abkommensberechtigung durch § 42 AO 1977 wieder entzogen werden kann, stellt sich aus systematischen Gründen erst, wenn der Einkommenserzieler und damit der von einer Doppelbesteuerung durch das Abkommen zu entlastende Steuerpflichtige feststeht (a.A. z.B. Mössner, RIW 1986, 208).
3. § 42 AO 1977 erfaßt dem Grunde nach auch beschränkt Steuerpflichtige. Für eine Differenzierung zwischen unbeschränkten und beschränkten Steuerpflichtigen bieten weder Wortlaut noch Teleologie der Norm einen Anhaltspunkt (ebenso z.B. Wassermeyer in K. Vogel, a.a.O., 49, 71; Schaumburg, Internationales Steuerrecht --IStR--, 603; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 42 AO 1977 Tz. 22; Piltz, Betriebs-Berater --BB--, Beilage 14/1987, 6; Selling, RIW 1991, 235; Rauer, DB 1983, 2276; vgl. auch BFH-Urteil vom 21. Dezember 1994 I R 65/94, BFHE 176, 571; a.A. Becker in K. Vogel, a.a.O., 261, 263; Crezelius, DB 1984, 530). Soweit Steuerpflicht im Inland besteht, ist grundsätzlich auch Raum für Steuervermeidung. Soweit den Ausführungen des Senats im sog. Monaco-Urteil (Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80, BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150) Entgegenstehendes entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht mehr fest (vgl. auch Döllerer, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht - -ZGR-- 1983, 407, 420; Piltz, a.a.O., 6). Damit besteht kein Widerspruch mehr zu der sog. "Niederländische-Brüder-Entscheidung" (BFH in BFHE 141, 12, BStBl II 1984, 605). Soweit das FG unter Berufung auf das Monaco-Urteil die Prüfung des § 42 AO 1977 abgelehnt hat, ist ihm daher nicht zu folgen.
Die Anwendung des § 42 AO 1977 ist auch nicht, wie die Klägerin meint, auf die Auslandssachverhalte beschränkt, über die der BFH bisher entschieden hat. So setzt ein Gestaltungsmißbrauch nicht notwendigerweise eine Beteiligung von Inländern voraus. Die an der vertraglichen Gestaltung Beteiligten müssen nicht sog. nahestehende Personen sein ( vgl. BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426, m.w.N.). Die insoweit vom Senat in BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150 geäußerten Bedenken stellten keine abschließende Meinungsbildung dar. Soweit der Senat in seiner Rechtsprechung die Beteiligung eines Inländers an der Basisgesellschaft vorausgesetzt hat (vgl. z.B. Urteile vom 26. Juli 1995 I R 78/93, I R 86/94, BFH/NV 1996, 383; vom 21. Oktober 1988 III R 194/84, BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216) folgte dies allein daraus, daß ohne eine solche Beteiligung eine --möglicherweise mißbräuchliche-- steuerrelevante Rechtsbeziehung überhaupt nicht bestanden hätte.
Die Anwendung des § 42 AO 1977 ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil § 50d Abs. 1 a EStG erst ab 1. Januar 1994 gilt. § 50d Abs. 1 a EStG dient, wie der Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/5764 S. 26) zu entnehmen ist, der Konkretisierung des Grundsatzes, daß bilaterale Abkommen unter einem Umgehungsvorbehalt stehen. Die Gesetzesergänzung bezweckte folglich, einer möglichen Unvollständigkeit des § 42 AO 1977 Rechnung zu tragen, nicht aber den Geltungsbereich des § 42 AO 1977 einzuschränken. Es widerspricht dem Sinn klarstellender Gesetzesänderungen oder -ergänzungen, diesen einen ausdrücklichen Rückwirkungsvorbehalt beizufügen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1996 IV R 83/95, BStBl II 1997, 287).
4. Die Frage, ob die Einschaltung der Klägerin in die inländischen Vertragsbeziehungen rechtsmißbräuchlich war, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen.
Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO 1977 liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreich ung des angestrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426; BFH-Urteile vom 17. Januar 1991 IV R 132/85, BFHE 163, 449, BStBl II 1991, 607; vom 25. Januar 1994 IX R 97, 98/90, BFHE 174, 386, BStBl II 1994, 738). Für Streitfälle mit Auslandsbezug gilt in Anbetracht der generell-abstrakten Regelung des § 42 AO 1977 im Prinzip nichts besonderes. Eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit bzw. deren Fehlen ist aber ein gewichtiges Indiz, das für oder gegen eine ungewöhnliche Gestaltung bzw. für oder gegen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der ausländischen Kapitalgesellschaft spricht (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 167, 273, BStBl II 1993, 84, m.w.N.; vom 10. Juni 1992 I R 105/89, BFHE 168, 279, BStBl II 1992, 1029; s. auch BFH-Urteil vom 15. April 1986 VIII R 285/81, BFH/NV 1986, 509). Andererseits schließt eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft einen Gestaltungsmißbrauch nicht bereits per se aus. Wesentlich ist insbesondere in Fällen der vorliegenden Art, ob die Kapitalgesellschaft im Rahmen der im Inland eingegangenen Verpflichtungen tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, d.h. unternehmerisches Risiko trägt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31. Mai 1972 I R 94/69, BFHE 106, 75, BStBl II 1972, 697). Dies setzt grundsätzlich unternehmerische, insbesondere über bloße Verwaltungs- oder Rechtshandlungen hinausgehende Aktivitäten voraus (BFH-Urteile vom 9. Dezember 1980 VIII R 11/77, BFHE 132, 198, BStBl II 1981, 339; vom 2. Juni 1992 VIII R 8/89, BFH/NV 1993, 416; Tipke/Kruse, a.a.O., § 42 AO 1977 Tz. 40).
a) Hierzu hat das FG, soweit eine mögliche Steuervermeidung zugunsten des Alleingesellschafters der Klägerin (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 d EStG) in Frage steht, festgestellt, daß die Beratungs-, Vermittlungs- und Verwertungsleistungen, zu denen sich die Klägerin gegenüber dem inländischen Veranstalter verpflichtet hatte, im wesentlichen von der Klägerin erbracht worden seien, und "zwar durch deren späteren Geschäftsführer, unterstützt von einer bei der Klägerin angestellten Bürokraft und von für die Klägerin tätigen freien Mitarbeitern und Zeitarbeitskräften". Diese entscheidungserhebliche Feststellung ist unter Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere des § 96 FGO zustande gekommen.
Nach § 96 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das FG ist verpflichtet, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162; BFH-Beschluß vom 13. März 1996 II R 28/94, BFH/NV 1996, 628, m.w.N.). Das FG hätte daher nicht nur den Vortrag der Klägerin, sondern u.a auch den Vortrag des BfF berücksichtigen müssen. Darin hat das BfF zutreffend darauf hingewiesen, daß der Vortrag der Klägerin sich auf die wirtschaftliche Tätigkeit in der "gegenwärtigen Situation" beziehe und sich aus den im Ausland eingeholten Auskünften ergebe, daß die Klägerin erst seit 1989 (näherer Zeitpunkt unbekannt) über eigenes Personal verfüge. Nach Aktenlage handelte es sich bei dem ab 1989 angestellten Personal um eine Sekretärin und einen Assistenten von X, von denen selbst die Klägerin nicht behauptet hat, daß diese über das notwendige Know-how zur Durchführung der Veranstaltungen verfügen. Die von der Klägerin benannten acht Teilzeitkräfte waren nach eigenen Angaben der Klägerin nur mit den im Rahmen der Veranstaltungen notwendigen technischen Aufgaben befaßt.
Im übrigen hat das BfF wiederholt darauf hingewiesen, daß, wie auch vom FG festgestellt wurde, die Klägerin mehr als 90 % ihrer Ausgaben an Dritte bezahlt hat. Daß hohe Beträge an mit technischen Aufgaben betreute Teilzeitkräfte geflossen sein könnten, kann ausgeschlossen werden. Die Weiterleitung des größten Teils der Einnahmen kann im Streitfall Indiz für eine fehlende eigene unternehmerische Tätigkeit sein. Hätte die Klägerin selbst, insbesondere X, das notwendige Know-how bzw. die notwendigen Verbindungen besessen, so wäre ihr auch mit Ausnahme der Vergütungen der Teilnehmer der größte Teil der Einnahmen verblieben. Davon ist jedenfalls solange auszugehen, als die Klägerin die bezeichneten Positionen nicht aufschlüsselt und --soweit hiervon die inländischen Veranstaltungen betroffen sein könnten-- deren Empfänger nicht benennt.
Im übrigen hat die Klägerin selbst wiederholt beantragt, Vertreter des Veranstalters und X als Zeugen bzw. als Partei zu vernehmen. Indem das FG den "glaubhaften Ausführungen" der Klägerin folgte, hat es letztlich in unzulässiger Weise die an sich von ihm gemäß § 76 FGO zu erhebenden Beweise vorweg gewürdigt (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 26, m.w.N.).
b) Das FG hat auch bei seiner Feststellung, die Tätigkeit der Klägerin habe sich generell auf die bloße Vermittlung bestimmter Personen beschränkt, § 96 FGO verletzt.
Die Feststellung des FG gründet sich auf die Annahme, daß die Vertragsänderung dazu gedient habe, den Gegenstand des ursprünglichen Vertrages auf dessen wirtschaftlichen Gehalt zu reduzieren. Insoweit hat das FG unberücksichtigt gelassen, daß nach der Vorbemerkung des Änderungsvertrages und dem Vortrag der Klägerin die Erkrankung von Teilnehmern Anlaß für die Vertragsänderung war.
Nicht berücksichtigt hat das FG ferner den Vortrag der Klägerin, wonach deren Ausgaben für die von ihr zu zahlenden Vergütungen letztlich höher waren als ihre inländischen Einnahmen. Sollte dies sachlich zutreffen, so hat sie ein eigenständiges Unternehmerrisiko getragen, das der Annahme einer bloßen Inkassotätigkeit entgegenstünde. Auch insoweit besteht, wie die Klägerin zu Recht vorträgt, noch Klärungsbedarf, dem ggf. wiederum durch Einvernahme von Vertretern des Veranstalters zu entsprechen wäre.
c) Sollte die Klägerin auch nach den im 2. Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen nur als Inkassostelle tätig gewesen sein, so bliebe zu prüfen, ob und ggf. inwieweit die Einschaltung der Klägerin der Steuerminderung zugunsten der Veranstaltungsteilnehmer dienen sollte. Eine Steuerersparnis kommt nur in Betracht, wenn dem einzelnen Teilnehmer aufgrund des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens unmittelbar keine Steuerfreiheit zu gewähren wäre. Solange daher nicht festgestellt ist, in welchem Staat die Teilnehmer ansässig waren, kann eine beabsichtigte Steuerersparnis nicht angenommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 66867 |
BFH/NV 1998, 757 |
BFH/NV 1998, 757-759 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 235 |
BFHE 184, 476 |
BFHE 1998, 476 |
BB 1998, 734 |
DB 1998, 1167 |
DB 1998, 1167 (Leitsatz) |
DStRE 1998, 324 |
DStRE 1998, 324-327 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 537 |
StE 1998, 201 |