Beteiligte
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 30. April 1996 und die Rückforderung von Alg und Beiträgen für die Zeit vom 30. April bis 11. Mai 1996.
Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte der Klägerin ab 17. Januar 1996 Alg für eine Restleistungsdauer von 198 Tagen mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 100,80 DM. Sie erbrachte diese Leistung auch, nachdem der Arzt für Frauenheilkunde S. unter dem 6. Februar 1996 ein „Beschäftigungsverbot” nach § 3 Abs 1 Mutterschutzgesetz ≪MuSchG≫ bis zum 26. Februar 1996 für die gesamte Berufstätigkeit als Angestellte ausgesprochen hatte. Am 30. April 1996 sprach er erneut „bis zur ausdrücklichen Aufhebung” ein „Beschäftigungsverbot” für die „gesamte Berufstätigkeit als Angestellte” aus. In einem weiteren Attest vom 30. Mai 1996 teilte der Frauenarzt mit, er habe wegen eines Organisationsfehlers versäumt, das „Beschäftigungsverbot” (vom 6. Februar 1996) zu verlängern. Bereits jetzt sei wegen „der zugrundeliegenden Störung” klar, daß die Klägerin „bis zur Niederkunft nicht mehr arbeitsfähig” werde. Als voraussichtlicher Entbindungstermin war im Mutterpaß der 23. September 1996 angegeben. Tatsächlich ist das Kind am 3. September 1996 geboren. Die BA stellte die Zahlung von Alg ab 13. Mai 1996 ein. Vom 23. März bis 9. April 1996 hielt sich die Klägerin in Jugoslawien auf.
Mit Bescheid vom 5. Juli 1996 idF des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 1996 hob die BA die Bewilligung von Alg ab 30. April 1996 auf. Im Ausgangsbescheid war die BA davon ausgegangen, der Klägerin stehe ab 19. März 1996 nicht mehr Alg, sondern Krankengeld zu. Nachdem die Klägerin im Widerspruch darauf hingewiesen hatte, ein Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG stehe der Arbeitsunfähigkeit nicht gleich, weshalb ihr Krankengeld nicht zustehe, stützte die BA die Aufhebung der Bewilligung von Alg ab 30. April 1996 darauf, daß die Klägerin ihrer Mitteilungspflicht über die Erteilung „des zweiten Beschäftigungsverbots” mindestens grob fahrlässig nicht nachgekommen sei.
Mit Bescheid vom 26. Juli 1996 idF des Widerspruchsbescheids vom 5. September 1996 hob die BA die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 23. März bis 9. April 1996 sowie ab 30. April 1996 auf und forderte – nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) – Alg in Höhe von 184,80 DM sowie Beiträge in Höhe von 105,56 DM zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Aufhebungsbescheide der Beklagten mit Urteil vom 19. Februar 1998 aufgehoben. Zur Begründung hat das SG ua ausgeführt, während des „Beschäftigungsverbots” ab 30. April 1996 habe die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Alg gehabt. Das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) enthalte für den Fall eines „ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 1 MuSchG” keine gesetzliche Regelung. Ein Beschäftigungsverbot sei jedoch leistungsrechtlich der Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Gegen den Arbeitgeber hätten Schwangere im Falle eines Beschäftigungsverbots Anspruch auf Mutterschutzlohn, der nicht auf sechs Wochen beschränkt sei wie die Entgeltfortzahlung. Gegen die Krankenkasse bestehe ein Anspruch nur während der sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung oder während Arbeitsunfähigkeit. Aus den Attesten ergebe sich „eindeutig, daß der behandelnde Arzt gerade keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen wollte”. Nach der Entscheidung der BA verliere eine arbeitslose Schwangere wegen eines Beschäftigungsverbotes ihren Leistungsanspruch nach dem AFG, obwohl sie keinen Krankengeldanspruch habe, und sogar ihren Krankenversicherungsschutz und damit auch den späteren Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Demgegenüber stelle die Verweisung auf die Sozialhilfe keine Alternative dar. Diese offensichtliche Regelungslücke sei verfassungskonform dahin auszufüllen, daß die BA im Falle eines Beschäftigungsverbotes nach dem MuSchG der arbeitslosen Schwangeren Leistungen wegen Arbeitslosigkeit weiterzuzahlen habe.
Mit der auf die Aufhebung und Rückforderung ab 30. April 1996 beschränkten Berufung hat die BA geltend gemacht, die Klägerin sei wegen „des ärztlichen Beschäftigungsverbotes” objektiv nicht verfügbar gewesen, so daß die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Für den Fall eines Beschäftigungsverbotes während der Arbeitslosigkeit sähen weder das MuSchG noch das AFG Leistungen vor. Insoweit bestehe eine Lücke des sozialen Schutzes, die nicht über Regelungen mit abweichendem Gegenstand geschlossen werden könnten. Auch nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs – Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) komme der Streitsache noch grundsätzliche Bedeutung zu.
Das LSG hat mit Urteil vom 14. Oktober 1998 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die BA habe die Bewilligung von Alg ab 30. April 1996 ohne Rechtsgrund aufgehoben. Obwohl nach „dem ärztlichen Beschäftigungsverbot”, das sich auf alle Angestelltentätigkeiten erstreckt habe, für die Klägerin keine berufliche Einsetzbarkeit bestanden habe, sei zum Schutz von Mutter und Kind im Wege der lückenfüllenden Auslegung die Verfügbarkeit zu fingieren. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, daß das Gesetz auch in anderen Zusammenhängen von der Verfügbarkeit ausgehe, obwohl sie tatsächlich nicht bestehe. Eine andere Entscheidung werde der Bedeutung des Beschäftigungsverbotes, dessen Verletzung zu Geldbuße bis zu 30.000 DM führen könne, nicht gerecht.
Mit der Revision rügt die BA eine Verletzung der §§ 100 Abs 1, 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Sie führt aus, das Gesetz sehe für den Fall eines unbefristeten Beschäftigungsverbots keinen Anspruch auf Weiterzahlung des Alg vor. Dieser lasse sich auch nicht durch die entsprechende Anwendung der §§ 105a bis c AFG begründen. Der durch Art 6 Abs 4 Grundgesetz (GG) begründete Schutz von werdenden Müttern erstrecke sich nur „auf die durch Mutterschaft begründeten Notfälle, so daß bei einer derartigen Notlage die öffentliche Fürsorge eintreten” müsse. Art 6 GG habe nicht zur Folge, fehlende Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Oktober 1998 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. Februar 1998 zu ändern sowie die Klage abzuweisen, soweit sie die Entziehung und Rückforderung von Leistungen ab 30. April 1996 betrifft.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Frage, ob bei einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot Arbeitsloser die BA oder die Krankenkasse einzutreten habe, für grundsätzlich bedeutsam. Im übrigen nimmt sie auf die Rechtsausführungen der Vorinstanzen Bezug.
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die Annahme einer Gesetzeslücke und die Fiktion der Verfügbarkeit zugunsten der Klägerin, die wegen einer „Störung” für die gesamte Dauer der Schwangerschaft „nicht mehr arbeitsfähig” werde, enthält bei dem vom LSG festgestellten Sachverhalt eine Verletzung des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Für eine abschließende Entscheidung des Senats reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.
1. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Mit der Bewilligung von Alg ab 17. Januar 1996 hat die BA einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erlassen, denn seine Regelung erstreckt sich auf die Restleistungsdauer von 198 Tagen (BSGE 56, 165, 170 = SozR 1300 § 45 Nr 6 mwN). Von einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist die BA ausgegangen, weil nach den Attesten des behandelnden Frauenarztes S. vom 30. April 1996 und 30. Mai 1996 die Klägerin wegen einer „Störung” bis zu der im September zu erwartenden Niederkunft für sämtliche Angestelltenberufe „nicht mehr arbeitsfähig” gewesen sei. Im Gegensatz zur BA sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, im Falle eines Beschäftigungsverbots sei der sozialrechtliche Schutz arbeitsloser Schwangerer nicht geregelt. Das Recht der Arbeitslosenversicherung weise insoweit eine planwidrige Unvollständigkeit auf, die in Anlehnung an die Regelungen der §§ 105a bis c AFG sowie des § 11 Abs 1 MuSchG zu schließen sei. Treffe ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG eine Arbeitslose, so sei bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im übrigen (§ 100 AFG) die Verfügbarkeit der Arbeitslosen für die Arbeitsvermittlung zu fingieren. Während der Arbeitslosigkeit trete die BA bei einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot an die Stelle des nach § 11 Abs 1 MuSchG zur Zahlung des Mutterschutzlohns verpflichteten Arbeitgebers.
2. Die Ausführungen des LSG enthalten eine Gesetzesverletzung, denn das LSG ist von einer Regelungslücke ausgegangen, ohne die für die sozialrechtliche Lage der Klägerin erheblichen Tatsachen vollständig aufzuklären. Erst nach erschöpfender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung läßt sich eine Regelungslücke als Voraussetzung für eine Rechtsfortbildung feststellen. In einem gegliederten Sozialleistungssystem ist die Möglichkeit, sozialen Schutz durch einen anderen Sozialleistungsträger zu verwirklichen, in Betracht zu ziehen und der Sachverhalt entsprechend aufzuklären. Verfahrensrechtlich entsprechen dem § 75 Abs 2 und 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2.1 Die Annahme, für die Dauer des „Beschäftigungsverbotes” seien Lohnersatzleistungen weder aus der Arbeitslosenversicherung noch aus der Krankenversicherung gegeben, ist aber nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt nicht gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) schließen jedenfalls bei der Anwendung des § 11 MuSchG, den das LSG entsprechend herangezogen hat, die Annahme eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 1 MuSchG und einer Arbeitsunfähigkeit infolge Schwangerschaft einander aus (BSG SozR 3-7860 § 10 Nr 1; BAGE 79, 307, 309 ff = AP Nr 12 zu § 11 MuSchG 1968; BAGE 80, 248, 250 ff = AP Nr 7 zu § 3 MuSchG 1968; BAGE 84, 1, 4 f = AP Nr 8 zu § 3 MuSchG 1968; BAGE 85, 237, 242 ff = AP Nr 10 zu § 3 MuSchG 1968 = NZA 1997, 882 mwN). Der Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG setzt voraus, daß allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot einer Beschäftigung der Schwangeren entgegensteht. Das trifft nur bei einem normalen Schwangerschaftsverlauf zu und sichert die gesunde Schwangere während der Unterbrechung der Beschäftigung aus Gründen der Gefahrenvorsorge. An dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsverbot und Unterbrechung der Beschäftigung fehlt es nach der Rechtsprechung, wenn die Schwangere wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist. In diesem Falle steht ihr nicht der Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG, sondern der auf sechs Wochen beschränkte Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz ≪EFZG≫) und anschließend Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung ≪SGB V≫) zu (BAGE 85, 237, 243 = AP Nr 10 zu § 3 MuSchG 1968 mwN; zuvor schon: BSG SozR 3-7860 § 10 Nr 1).
2.2 Die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit des sozialgerichtlichen Schutzes schwangerer Arbeitsloser erfordert danach die Feststellung, daß es sich um einen normalen Schwangerschaftsverlauf handelt, der nicht mit Beschwerden von Krankheitswert einhergeht, die Arbeitsunfähigkeit verursachen. Eine solche Feststellung läßt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus einer Bezugnahme auf das Urteil des SG. Soweit das SG feststellt, es sei „eindeutig, daß der behandelnde Arzt bei der Klägerin gerade keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen wollte”, ist dies entscheidungsunerheblich. Es kommt allein darauf an, was der behandelnde Arzt als sachverständiger Zeuge objektiv bekundet bzw aufgrund seiner Wahrheitspflicht (§ 278 Strafgesetzbuch) zu bekunden hat. In diesem Zusammenhang besteht Anlaß klarzustellen, daß es sich nicht etwa um ein „ärztliches”, sondern ein gesetzliches Beschäftigungsverbot handelt, dessen tatbestandliche Voraussetzungen der behandelnde Arzt nach § 3 Abs 1 MuSchG zu bezeugen hat (vgl Gröninger/Thomas, Mutterschutzgesetz-Kommentar, § 3 RdNrn 1 und 22 f, Stand: Oktober 1994; Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl 1995, § 3 RdNr 21).
2.3 Das LSG übernimmt aus den ärztlichen Attesten das Wort „Beschäftigungsverbot”, ohne sich mit dem Inhalt des Attestes vom 30. Mai 1996 im übrigen auseinanderzusetzen. Dazu bestand aber im Hinblick auf die erörterte Rechtsprechung Anlaß, zumal im Tatbestand des Urteils eine „Störung” mitgeteilt ist, derzufolge „die Klägerin bis zur Niederkunft nicht mehr arbeitsfähig werde”. Die Qualifizierung der Atteste als „Beschäftigungsverbot” hat sich das LSG zu eigen gemacht, ohne in die nach der erörterten Rechtsprechung erforderliche rechtliche Würdigung einzutreten, ob aufgrund des Inhalts der Atteste die Folgen einer Arbeitsunfähigkeit (Fehlen der Verfügbarkeit; Entgeltfortzahlung; Krankengeld) begründet sein können. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während der Schwangerschaft sowie der allgemeinkundigen Tatsache, daß bei normalem Schwangerschaftsverlauf außerhalb der gesetzlichen Schutzfristen eine Erwerbstätigkeit ohne schwere körperliche Belastungen oder schädigende Einwirkungen am Arbeitsplatz möglich ist, wird das LSG die Atteste zu würdigen haben. Der Inhalt, „die zugrundeliegende Störung” bedeute, „daß die Klägerin bis zur Niederkunft nicht mehr arbeitsfähig werde”, legt die Erwägung nahe, daß der behandelnde Frauenarzt der Sache nach eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat (vgl BAGE 79, 307, 311 = AP Nr 12 zu § 11 MuSchG 1968). Bei der Würdigung der Beurteilung der Leistungsfähigkeit wird auch zu bedenken sein, daß die Klägerin selbst sich nicht gehindert gesehen hat, vom 23. März bis 9. April 1996 nach Jugoslawien zu reisen. Sollte sich das LSG nicht schon aufgrund der Atteste eine Überzeugung davon bilden können, ob die Klägerin vor Gefahren durch eine Beschäftigung als Angestellte zu schützen und/oder durch Arbeitsunfähigkeit an einer solchen Beschäftigung gehindert war, wird es den behandelnden Frauenarzt als sachverständigen Zeugen zur Ergänzung seiner Bekundungen (Befund, Diagnose, Einschränkung der Leistungsfähigkeit) zu vernehmen haben. Bei der rechtlichen Würdigung von Beschäftigungsverbot und Arbeitsunfähigkeit ist ferner zu berücksichtigen, daß auch Letztere Elemente der Gefahrenvorsorge enthalten kann. Arbeitsunfähigkeit liegt nicht nur vor, wenn ein Krankheitszustand Arbeit ausschließt, sondern auch, wenn diese mit der Gefahr einer Verschlimmerung der Krankheit verbunden ist (BSGE 57, 227 f = SozR 2200 § 182 Nr 96; Schulin/Kummer, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1: Krankenversicherungsrecht, 1994, § 20 RdNr 50 mwN).
3. Sollte sich das LSG bei der weiteren Sachaufklärung davon überzeugen, daß ab 30. April 1996 eine den Anspruch auf Alg ausschließende Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist, wird die Entziehung der Leistung für die Zeit vor Bekanntgabe des Bescheids vom 5. Juli 1996 unter den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 4 SGB X zu überprüfen sein. Dazu bedarf es tatsächlicher Feststellungen, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigen. In diesem Zusammenhang wird das LSG zu entscheiden haben, worauf sich das qualifizierte Verschulden im einzelnen bezieht (vgl Steinwedel, Kasseler Kommentar, § 48 SGB X RdNr 43, Stand: Dezember 1998, einerseits; Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl 1996, § 48 RdNr 23 andererseits). Zu bedenken ist schließlich, daß nach bindender Bewilligung von Leistungen durch Änderung in den Verhältnissen ein Selbstvollzug des Gesetzes nicht eintritt (BSGE 83, 95, 99 = SozR 3-4100 § 120 Nr 2 mwN). Eine Ermächtigung der BA zu vorläufiger Zahlungseinstellung bestand vor Inkrafttreten des hier noch nicht anzuwendenden § 331 SGB III nicht (BSG SozR 3-4100 § 103a Nr 3 mwN). Aus diesem Grund unterliegt die Zahlungseinstellung ab 13. Mai 1996 Bedenken. Ab 1. Juli 1996 dürfte einem Leistungsantrag der Klägerin der Einwand der Erfüllung wegen Inanspruchnahme von Sozialhilfe entgegenstehen (§ 107 SGB X).
4. Auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten ist der Senat gehindert, den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden. Obwohl § 3 Abs 1 MuSchG ein gesetzliches Verbot aufstellt, „soweit Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist”, der Wortlaut des Gesetzes also eine Beschäftigung vorauszusetzen scheint, ist ein Beschäftigungsverbot für Arbeitslose nicht ausgeschlossen. Rechtsprechung und Schrifttum gehen davon aus, ein trotz eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes geschlossener Arbeitsvertrag sei nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch nichtig (Gröninger/Thomas, Mutterschutzgesetz-Kommentar, § 3 RdNr 2 mwN, Stand: Oktober 1994).
Selbst wenn in dem „Beschäftigungsverbot” der Sache nach eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthalten sein sollte, ist eine solche Feststellung dem LSG als Tatsachengericht vorbehalten. Im übrigen hat das BAG entschieden, Voraussetzung des Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 1 MuSchG sei nicht, „daß der konkrete Arbeitsplatz oder die Arbeit als solche gesundheitsgefährdend” sei; ein Beschäftigungsverbot trete auch ein, wenn „individuelle Verhältnisse” der Schwangeren bei Fortdauer der Beschäftigung eine Gefahr für die Gesundheit von Mutter oder Kind bedeuteten (BAGE 85, 237, 241 f = AP Nr 10 zu § 3 MuSchG 1968). Das BAG hat sogar ein „ärztliches” Beschäftigungsverbot für denselben Zeitraum wie eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit angenommen (BAGE 79, 307, 311 = AP Nr 12 zu § 11 MuSchG 1968). Das dürfte auf der Erwägung beruhen, auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit die weitergehenden Rechtsfolgen des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots – mit Ausnahme des Anspruchs auf Mutterschutzlohn (§ 11 MuSchG) – zu gewährleisten (dazu: Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz/Erziehungsurlaubsgesetz, 6. Aufl 1998, Vor §§ 3 bis 8 RdNr 8). Das bedarf hier keiner weiteren Klärung, weil auch das BAG in den genannten Entscheidungen für die Anwendung des § 11 MuSchG, den das LSG für seine Entscheidung entsprechend herangezogen hat, davon ausgegangen ist, daß Beschäftigungsverbot und Arbeitsunfähigkeit einander ausschließen.
5. Da sich nach dem bisherigen Sachstand nicht ausschließen läßt, daß die Klägerin jedenfalls ab 30. April 1996 wegen (genereller) Arbeitsunfähigkeit für die Arbeitsvermittlung nicht verfügbar war, ist das angefochtene Urteil mit seinen tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Ein generelles Beschäftigungsverbot – die „gesamte Berufstätigkeit als Angestellte” umfassend – dürfte ohne die Verfügbarkeit ausschließende Arbeitsunfähigkeit nicht denkbar sein. Es ist nicht ersichtlich, welche Beschäftigungsmöglichkeit für eine Arbeitsvermittlung in Betracht kommt. Insoweit dürfte sich ein in der Krankenversicherung gedecktes Risiko verwirklicht haben. Dagegen wären bei speziellen Beschäftigungsverboten – bezogen auf bestimmte Belastungen – Arbeitsunfähigkeit und Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung wohl miteinander vereinbar. So ist das BSG bei einer auf eine bestimmte Beschäftigung bezogenen Arbeitsunfähigkeit von der Verfügbarkeit im übrigen ausgegangen (BSGE 73, 126, 130 = SozR 3-4100 § 101 Nr 5). Für das weitere Verfahren wird das LSG den zuständigen Krankenversicherungsträger nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen haben, denn bei Nichtbestehen des Anspruchs auf Alg kommt ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse in Betracht.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG bei seiner abschließenden Entscheidung zu befinden haben.
Fundstellen
SGb 1999, 624 |
KVuSR 2000, 173 |
SozSi 2000, 314 |