Leitsatz (redaktionell)

Silikose als Berufskrankheit - Folge eines Arbeitsunfalls iS des RVO § 555:

1. Für die Anerkennung einer Silikose als Berufskrankheit ist erforderlich daß die silikotischen Staubeinlagerungen bereits zu Ausfallerscheinungen von Atmung oder Kreislauf geführt haben.

2. Eine auf Veranlassung des behandelnden Hausarztes wegen des Arbeitsunfalles (Berufskrankheit) zur Aufklärung des Sachverhalts durchgeführte Untersuchung gilt nicht als angeordnete Untersuchung iS des RVO § 555, so daß ein bei der Durchführung der Maßnahme erlittener Unfall nicht als Folge des früheren Arbeitsunfalles gilt.

 

Normenkette

BKVO 7 Anl 1 Nr. 34 Fassung: 1968-06-20; RVO § 555 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Hinterbliebenen-Entschädigungsleistungen nach ihrem am 20. Februar 1966 verstorbenen Ehemann Albert L (L.).

L. war von 1931 bis 1958 - mit Unterbrechungen - als Steinmetz und Steintechniker tätig. Von 1958 an arbeitete er als Verwaltungsangestellter bei der Landesversicherungsanstalt S. Anfang Oktober 1965 wurde L. von dem Arzt Dr. V zur stationären Behandlung in die II. Medizinische Klinik der Städtischen Krankenanstalten A eingewiesen, weil er seit März 1965 über zunehmende, in der Lokalisation stark wechselnde Gelenkschmerzen klagte. Die dort gestellte Diagnose lautete: "Infektarthritis bei Fokaltoxikose". Am 18. Oktober 1965 wurde eine Tonsillektomie durchgeführt. Nach der Entlassung aus der Klinik stand L. wegen einer Thrombose in ambulanter ärztlicher Behandlung. Da er auch über Schmerzen in der Brust klagte, wurde vom behandelnden Arzt eine ambulante röntgenologische Untersuchung veranlaßt. Dabei wurde ein "Hilustumor rechts" diagnostiziert. Zur genauen Klärung des Krankheitsbefundes wurde er am 2. Dezember 1965 in das Kreiskrankenhaus St. A in H aufgenommen. Bei L. wurde am 10. Februar 1966, nachdem andere Untersuchungsmethoden nicht zur Klärung des Befundes führten, in Trachealnarkose eine Mediastinoskopie vorgenommen und an der Bifurkation sowie entlang des rechten Stammbronchus mehrere Lymphknoten zur histologischen Untersuchung entfernt. Zwei Tage nach diesem Eingriff traten bei L. Schmerzen in der rechten Brustseite auf; dabei kam es zu einem kollapsähnlichen Bild. In den folgenden Tagen schien sich der Zustand etwas zu bessern, jedoch verstarb L. am 20. Februar 1966. Die Schlußdiagnose des Kreiskrankenhauses St. A lautete: "Aktive, progrediente, geschlossene Silikotuberkulose der Lunge sowie der Hiluslymphknoten; tuberkulöse Pericarditis; fragliche Miliartuberkulose der Leber und Milz; Lungenembolie."

Nachdem eine Anzeige über eine Berufskrankheit von dem Kreiskrankenhaus St. A. in H. erstattet worden war, holte die Beklagte ein Gutachten von Dr. E, dem Chefarzt der Prosektur der Städtischen Krankenanstalten A, der L. seziert hatte, ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, bei L. habe eine ausgedehnte feinknotige Anthrako-Silikose in der Lunge und im Lungenlymphknotenbereich bestanden. Auch könne mindestens im Bereich der oberen pulmonalen Lymphknoten eine kleinstknotige allem Anschein nach in Vernarbung übergehende Lymphknoten-Tbc angenommen werden. Todesursache sei eine Lungenembolie gewesen. Da der bei L. festgestellte unklare Röntgenbefund eine Mediastinoskopie notwendig gemacht habe und damit eine Bettruhe die Folge gewesen sei, sei durch diese eine Umstimmung der Blutzirkulation erfolgt, und als Folge davon seien Kreislaufschäden aufgetreten, die schließlich zum Tode geführt hätten. Weil alle das Todesleiden auslösenden Faktoren sich im Zusammenhang mit der Berufserkrankung Anthrako-Silikose der Lunge und Lymphknoten entwickelt hätten, bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tod des L. und dessen Berufserkrankung.

In einem weiteren, von der Beklagten eingeholten Gutachten, das der Facharzt für innere Medizin Dr. Sch vom Bayerischen Landesinstitut für Arbeitsmedizin erstattet hatte, ist abschließend ausgeführt, daß dann, wenn L. keine Silikose gehabt hätte, alle anderen zum Tode führenden weiteren Entwicklungen nicht denkbar gewesen seien.

Schließlich holte die Beklagte noch ein Gutachten des Obermedizinalrats Dr. Hans Sch (Prosektor am Pathologischen Institut des Stadtkrankenhauses F) ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, bei L. habe nur eine Silikose 1. bis 2. Gradesbestanden, die noch zu keiner funktionellen Störung von Atmung und Kreislauf geführt habe, das Vorhandensein einer Tbc sei mit Sicherheit auszuschließen. Auf Grund der Vorgeschichte und des Krankheitsverlaufs stehe vielmehr fest, daß L. an einer rheumatischen Erkrankung als eigentlichem Grundleiden gelitten habe. Die Lungen- und Lymphdrüsensilikose habe nur einen Nebenbefund dargestellt und sei für den Tod des L. ohne wesentliche Bedeutung gewesen. Mit Rücksicht auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. November 1966 Entschädigungsansprüche der Klägerin aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes ab.

Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. St M, eingeholt. Dieser meinte, die silikotischen Veränderungen, bei denen es sich wegen der fehlenden Rückwirkungen auf die Funktion von Atmung und Kreislauf nicht um eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit gehandelt hätte, habe den Tod des L. weder verursacht noch beschleunigt. Daraufhin hat das SG die Klage abgewiesen, weil bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin keine Berufskrankheit i. S. des Gesetzes vorgelegen habe. Eine Quarzstaublungenerkrankung sei nämlich nur dann eine Berufskrankheit, wenn sie zu einer leistungsmindernden Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf geführt und mindestens eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. verursacht habe.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) noch eine gutachtliche Stellungnahme des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. St sowie Gutachten des Prof. Dr. B, Zentral-Krankenhaus G, des Facharztes für innere Krankheiten Dr. P, M, und - nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - des Prof. Dr. O, D, eingeholt. Außerdem hat die Beklagte ein Gutachten des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. K, N, vorgelegt. Durch Urteil vom 20. Oktober 1971 hat dann das LSG die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Für die Anerkennung einer Silikose als Berufskrankheit sei erforderlich, daß die silikotischen Staubeinlagerungen bereits zu einer leistungsmindernden Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf geführt hätten. Dieser Tatbestand sei bei L. zu keiner Zeit gegeben gewesen. Die bei L. im rechten Hilus vorhanden gewesenen silikotischen Einlagerungen hätten zwar einen Tumorverdacht ausgelöst und eine Mediastinoskopie zur Folge gehabt, doch hätte dieser operative Eingriff keine leistungsmindernde Beeinträchtigung von Atmung und Kreislauf als Dauerzustand bedingt. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. B der ausgeführt habe, für Nebenfolgen eines von ihm nicht veranlaßten operativen Eingriffs müsse ein Unfallversicherungsträger nicht aufkommen. Auch § 555 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei nicht anwendbar, da die Untersuchungen des L. nicht auf Anordnung der Beklagten erfolgt seien.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, durch die Mediastinoskopie sei zweifellos eine Silikose, mithin also eine Berufskrankheit, festgestellt worden, so daß diese als wesentliche Teilursache für den Tod des L. anzusehen sei. Die Anordnung i. S. des § 555 RVO müsse nicht unbedingt durch den Versicherungsträger erfolgen. Es reiche aus, wenn sie durch Ärzte geschehe.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des SG Augsburg vom 25. November 1968 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. November 1966 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist insbesondere darauf hin, daß weder eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit die Mediastinoskopie bedingt habe noch der Ehemann der Klägerin auf Veranlassung eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung zu diesem Eingriff veranlaßt worden sei.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Für die Anerkennung einer Silikose als Berufskrankheit ist erforderlich, daß die silikotischen Staubeinlagerungen bereits zu Ausfallserscheinungen von Atmung oder Kreislauf geführt haben (siehe BSG in SozR Nr. 17 zu § 45 RKG sowie Breithaupt 1968, 824). Nach den mit der Revision nicht angefochtenen tatsächlichen Feststellungen des LSG haben zwar bei L. silikotische Veränderungen vorgelegen. Sie haben aber nicht zu leistungsmindernder Beeinträchtigung der Atmungs- oder Kreislauffunktionen des L. geführt.

Es lag mithin vor der Mediastinoskopie eine Berufskrankheit i. S. des § 551 Abs. 1 RVO i. V. m. Nrn. 34/35 der Anlage zur 7. BKVO nicht vor. Nach den weiteren tatsächlichen Feststellungen des LSG hat diese ärztliche Maßnahme keine solche zur Folge gehabt; dazu hat das Berufungsgericht auf das Gutachten des Professors Dr. B hingewiesen, der ausgeführt hat, daß eine Mediastinoskopie ein auch den Kranken kaum belastender Eingriff sei, er könne vielmehr das Bett schon nach wenigen Stunden verlassen; die Mediastinoskopie bewirke ebenfalls keine Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf. Diese Würdigung des Geschehensablaufs durch das LSG ist von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angefochten worden und mithin für den Senat bindend. Daraus folgt, daß es auch durch die Mediastinoskopie zu keiner Berufskrankheit im vorgenannten Sinn gekommen ist (vgl. hierzu den vom Bundessozialgericht in Breithaupt 1968, 824 entschiedenen Sonderfall), so daß der Tod des Ehemanns der Klägerin nicht die Folge einer Berufskrankheit gewesen sein kann.

Der Tod des Ehemanns der Klägerin ist auch nicht die unmittelbare Folge eines Arbeitsunfalls (vgl. RVA AN 1927, 232 GE Nr. 3251; BSG 17, 60, 61), weil L. nicht etwa wegen - damals von den Ärzten noch gar nicht erkannter - silikotischer Einlagerungen, sondern zu weiterer Klärung eines zuvor bei einer Röntgenuntersuchung diagnostizierten "Hilustumors rechts" vom behandelnden Arzt in das Kreiskrankenhaus St. Albert in Haunstetten zur genauen Klärung des Krankheitsbefundes eingewiesen worden war.

Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch ebenfalls nicht auf § 555 RVO stützen. Nach dieser Vorschrift gilt als Folge eines Arbeitsunfalls auch ein Unfall, den der Verletzte auf einem zu der Heilbehandlung oder der Wiederherstellung oder Erneuerung eines beschädigten Körperersatzstücks oder eines größeren orthopädischen Hilfsmittels oder zu einer wegen des Arbeitsunfalls zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung notwendigem Wege oder bei der Durchführung dieser Maßnahmen erleidet. Nach den Feststellungen des LSG ist hier nur fraglich, ob die Untersuchung (Mediastinoskopie) des L. zur Aufklärung des Sachverhalts angeordnet worden war. Dies ist jedoch zu verneinen. Eine ausdrückliche Anordnung der Beklagten hat eindeutig nicht vorgelegen, denn sie wußte von der vermeintlichen Berufserkrankung des L. nichts. Ob eine solche auch von einem Durchgangsarzt, Beratungsfacharzt, Gewerbearzt oder einem Sozialgericht getroffen werden kann (so Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1973, Bd. II S. 488 k; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand September 1973, § 555 Anm. 9 c), kann hier dahinstehen. Eine solche Anordnung hat nicht vorgelegen, denn L. hat das Kreiskrankenhaus St. A. in H. nur auf Veranlassung seines behandelnden Arztes aufgesucht. Diese Veranlassung des Hausarztes geschah ohne jede Einflußmöglichkeit der Beklagten. Daß die Ärzte, die damals L. im Krankenhaus behandelten und zur Mediastinoskopie brachten, verpflichtet waren, eine Berufskrankheitsanzeige an den für den Ehemann der Klägerin zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu erstatten, ändert hieran nichts, denn der Verdacht auf eine Berufskrankheit hat sich erst herausgestellt, nachdem L. im Krankenhaus aufgenommen worden war und die Untersuchung stattgefunden hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650161

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