Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmer/Selbständiger. Verkaufsstelle für US-Armee. Unternehmereigenschaft

 

Orientierungssatz

Bei der Abgrenzung, ob Dienste als Arbeitnehmer oder als Selbständiger geleistet werden, kommt es bei der Beurteilung der Versicherungspflicht nicht entscheidend darauf an, wie die Vertragspartner selbst das Rechtsverhältnis rechtlich beurteilen oder bezeichnen. Maßgeblich ist vielmehr, wie die vertraglichen Verhältnisse tatsächlich beschaffen sind (vergleiche BSG vom 1981-09-24 12 RK 43/79).

 

Normenkette

RVO § 165 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1970-12-21

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 17.12.1980; Aktenzeichen L 8 Kr 1443/79)

SG Wiesbaden (Entscheidung vom 18.10.1979; Aktenzeichen S 2 Kr 46/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin, die aufgrund eines im Februar 1977 geschlossenen "Kommissionär-Vertrages" für ein Unternehmen der Armee der Vereinigten Staaten in Europa (The stars and stripes fund - im folgenden mit "Fund" bezeichnet -) tätig ist, abhängig beschäftigte Arbeitnehmerin oder selbständige Unternehmerin ist.

In dem - jederzeit durch beide Vertragspartner mit Monatsfrist, für den Fund uU auch ohne Einhaltung einer Frist - kündbaren Kommissionär-Vertrag hat der Fund sich verpflichtet, der Klägerin - für diese kostenfrei - eine Verkaufsniederlassung zur Verfügung zu stellen, in der sie vom Fund kommissionsweise gelieferte Waren - im wesentlichen Bücher und Zeitschriften für den Bedarf von US-Armeeangehörigen - verkauft. In dem Vertrag wird die Klägerin als "rechtlich unabhängige Person, zum Unterschied von einem direkten oder indirekten Angestellten des Fund", bezeichnet. Sie haftet für den Zustand der Verkaufsstelle und für Waren- oder Geldverluste; sie muß auf Verlangen des Fund auf ihre Kosten an dem vom Fund aufgestellten Versicherungsplan teilnehmen. Die Klägerin darf nur vom Fund gelieferte Waren und nur zu den von diesem festgesetzten Preisen verkaufen. Sie ist verpflichtet, die Verkaufsstelle während der normalen Dienstzeit der militärischen Einrichtung, in der sich die Verkaufsstelle befindet (Lindsay Kaserne Wiesbaden), oder während der vom bevollmächtigten Vertreter des Fund bestimmten Stunden offen zu halten. Sie hat dem Fund einen Vertreter zu benennen, um die Öffnung der Verkaufsstelle für den Fall der Verhinderung durch Krankheit oder aus anderen Gründen zu gewährleisten. Die Klägerin erhält Provision, deren Höhe für die ersten 1.000 Dollar Verkaufserlöse im Monat 186 Dollar beträgt und sich im übrigen nach der Höhe des Umsatzes richtet, außerdem eine "Treueprämie", die nach der Dauer der "Dienstzeit" und der Höhe der Gesamtprovision gestaffelt ist. Der Fund behält einen Teil der Provision zur Deckung etwaiger Verluste vorübergehend ein. Er ist berechtigt, Revisionen zur Feststellung des Warenbestandes durchzuführen.

Die Beklagte sah die Klägerin als selbständige Unternehmerin an und teilte ihr in einem - nicht in der Form eines Bescheides gehaltenen - Schreiben vom 19. Januar 1977 mit, sie sei ein freiwillig gegen Krankheit versichertes Mitglied der Beklagten und habe daher Beiträge in der Beitragsklasse 500 (Selbständige ohne Krankengeldanspruch) zu entrichten. Die Klägerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 5. März 1977 Einwendungen, auf die die Beklagte mit einem Schreiben vom 28. April 1977 erwiderte, daß es bei der Einstufung der Klägerin in die Beitragsklasse 500 verbleibe. Da die Klägerin in der Folgezeit nicht die dieser Beitragsklasse entsprechenden Beiträge entrichtete, betrieb die Beklagte im Januar 1978 die Zwangsvollstreckung. Mit Schreiben vom 30. Januar 1978 erhob die Klägerin gegen die Vollstreckungshandlungen der Beklagten Widerspruch. Diesen Rechtsbehelf wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 1978 mit der Begründung zurück, die Beitragseinstufung in die Klasse 500 sei rechtmäßig, weil die Klägerin aufgrund des Kommissionär-Vertrages selbständig tätig sei.

Das Sozialgericht (SG) Wiesbaden hat das Schreiben der Beklagten vom 28. April 1977 als Bescheid angesehen. Mit Urteil vom 18. Oktober 1979 hat es diesen Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1978 aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin abhängige Arbeitnehmerin sei. Ferner hat es mit Beschluß vom 1. November 1979 die Beigeladenen zu 1) bis 3) beigeladen und auch ihnen das erstinstanzliche Urteil zugestellt.

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben Berufung eingelegt. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Beigeladene zu 4) beigeladen und durch Urteil vom 17. Dezember 1980 die Berufungen mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte die von der Klägerin angefochtene Entscheidung bereits in ihrem Schreiben vom 19. Januar 1977 getroffen habe. Im übrigen entspreche die rechtliche Beurteilung durch das SG der Sach- und Rechtslage, weil es sich bei der Tätigkeit der Klägerin für den Fund um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handele. Zwar spreche das Fehlen einer Urlaubsregelung, die Befugnis zur Stellung eines Vertreters und die Abwälzung des Verlustrisikos auf die Klägerin für deren Selbständigkeit. Der Vertrag werde aber entscheidend geprägt durch die kostenlose Stellung des Verkaufsraumes (einschließlich Inventar, Beleuchtung und Heizung), die Festlegung der Ladenöffnungszeiten und Warenpreise, die Begrenzung des Warensortiments, das Prüfungsrecht des Fund und schließlich durch dessen Recht zur jederzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beigeladenen zu 1). Sie macht geltend, das LSG habe den Inhalt des Kommissionär-Vertrages unzutreffend gewürdigt. Der Umstand, daß der Klägerin der Verkaufsraum kostenlos zur Verfügung gestellt werde, und zwar nicht vom Fund, sondern von der Bundesrepublik bzw US-Armee, sei kein Merkmal für eine abhängige Tätigkeit. Dasselbe gelte für die Regelung über die Begrenzung des Warensortiments. Auch die Verpflichtung zur Offenhaltung der Verkaufsstelle begründe keine persönliche Abhängigkeit der Klägerin, zumal da sie auch Hilfskräfte beschäftigen könne. Das Kontrollrecht des Fund ergebe sich aus der kommissionsweisen Überlassung der Warenbestände.

Die Beklagte hat sich dieser Rechtsansicht angeschlossen. Sie und die Beigeladene zu 1) beantragen,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Dezember 1980

und das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 18. Oktober 1979

aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 3) und 4) haben zur Sache nicht Stellung genommen und keine Anträge gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- ).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG ist - ohne dies näher zu begründen - zutreffend von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Es hat zunächst bedenkenfrei angenommen, daß die Beklagte bereits mit dem Schreiben vom 19. Januar 1977 eine den Einzelfall der Klägerin regelnde Entscheidung getroffen hat; diese geht zwar im Ausspruch nur dahin, daß die Klägerin als Selbständige Beiträge der Klasse 500 zu zahlen habe. Die Beklagte hat damit aber auch die Versicherungspflicht der Klägerin zur gesetzlichen Krankenversicherung verneint. Diesen Verwaltungsakt - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1978 - hat die Klägerin zulässig mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage angefochten.

Da die Beklagte nicht über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin insgesamt entschieden hat - wozu sie auch nicht befugt gewesen wäre (vgl § 121 Abs 2 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- ) -, sondern nur über die Versicherungspflicht zur Krankenversicherung, handelt es sich bei den beigeladenen Versicherungsträgern zu 2) bis 4) nur um einfache Beigeladene iS des § 75 Abs 1 SGG. Demgegenüber ist die Beigeladene zu 1) notwendige Beigeladene iS des § 75 Abs 2 SGG, weil sie im Falle des Bestehens der Versicherungspflicht der Klägerin zur Krankenversicherung die Hälfte der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung aufzubringen hätte (vgl Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen vom 3. August 1959, BGBl 1961 II S. 1183, § 56 Abs 3 und Abs 8). Die Beigeladene zu 1) ist daher durch das angefochtene Urteil beschwert und revisionsbefugt.

Nach den bisher vom LSG getroffenen Feststellungen kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin beim Fund in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht und deshalb, sofern die Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht überschritten ist, der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unterliegt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung das versicherungspflichtige abhängige Beschäftigungsverhältnis von der grundsätzlich versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit danach abgegrenzt, ob die Dienste in persönlicher Abhängigkeit - von einem in einen fremden Betrieb eingegliederten Arbeitnehmer - geleistet werden oder ob persönliche Unabhängigkeit vorliegt (vgl aus neuerer Zeit besonders die Urteile vom 18. November 1980 - 12 RK 76/79 -, SozR 2200 § 165 Nr 51 mwN, und vom 29. Januar 1981 - 12 RK 63/79 -, BSGE 51, 164, 167). Dabei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom 24. September 1981 - 12 RK 43/79 -, zur Veröffentlichung bestimmt) nicht entscheidend darauf an, wie die Vertragspartner selbst das Rechtsverhältnis rechtlich beurteilen oder bezeichnen. Maßgeblich ist vielmehr, wie die vertraglichen Verhältnisse tatsächlich beschaffen sind.

Von diesen Grundsätzen ist das LSG zwar ausgegangen, es hat sie aber nur teilweise zutreffend angewendet. Als Merkmale, die für eine Selbständigkeit der Klägerin sprechen, hat es das Fehlen eines Urlaubsanspruches der Klägerin und die Vereinbarung der Vertragspartner angesehen, daß die Klägerin berechtigt sein solle, einen Vertreter zu stellen. Für ein gewisses Unternehmerrisiko der Klägerin könne auch sprechen, daß sie für den Verlust der Ware Abzüge von der Provision hinnehmen müsse, wobei diesem Umstand jedoch keine entscheidende Bedeutung zukomme. Als Merkmal einer persönlichen Abhängigkeit hat das LSG demgegenüber ua die "wirtschaftliche Abhängigkeit" der Klägerin gewertet und dafür insbesondere auf die Regelung über die Zulässigkeit der jederzeitigen Schließung des Ladens und der vorzeitigen Kündigung des Vertrages durch den Fund verwiesen.

Diesen Ausführungen kann der Senat zunächst schon insoweit nicht folgen, als das LSG in der "wirtschaftlichen Abhängigkeit" der Klägerin anscheinend ein wesentliches Indiz der - allein maßgebenden - persönlichen Abhängigkeit gesehen hat (vgl ua Urteil des Senats vom 19. Dezember 1979 - 12 RK 52/78 -). Im übrigen beruht die Beurteilung des LSG auf einer zu engen Abgrenzung der für Selbständigkeit sprechenden Umstände, vor allem des Begriffs des Unternehmerrisikos. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung für die Annahme eines Unternehmerrisikos schon die Ungewißheit des Erfolges beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft genügen lassen (Urteil vom 13. Juli 1978 - 12 RK 14/78 -, SozR 2200 § 1227 Nr 17 mwN). Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Belastung mit Risiken nur dann für Selbständigkeit spricht, wenn diesen Risiken auch eine größer Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfanges des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenübersteht (erkennender Senat aaO). Insofern kann aber die Möglichkeit, Hilfskräfte einzusetzen, von wesentlicher Bedeutung für die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit oder Abhängigkeit sein (s dazu Urteil vom 29. Januar 1981 - 12 RK 63/79 - BSGE 51, 164, 170 f). Sollte die Klägerin weitgehend frei sein, eigenes Personal zu beschäftigen, und würde sie hierdurch in die Lage versetzt, auch freier über den Einsatz ihrer eigenen Arbeitskraft zu verfügen, so wäre dieser Umstand ein wichtiges Merkmal für ihre Selbständigkeit. Das LSG wird daher zu prüfen haben, zu welchem Zweck und in welcher Weise die Klägerin Hilfspersonen beim Betrieb ihrer Verkaufsstätte tatsächlich einsetzt und inwieweit sie dadurch einen weiteren Spielraum in der Gestaltung des Arbeitsablaufes und des Umfanges des Einsatzes ihrer eigenen Arbeitskraft erlangt. Schließlich hat das LSG nicht erschöpfend geprüft, in welchem Umfange der Klägerin Unkosten für den Betrieb der Verkaufsstelle erwachsen, die typischerweise ein selbständiger Unternehmer zu tragen hat. Insoweit kann nicht allein auf die kostenlose Überlassung der Verkaufsstelle (einschließlich der Beheizung und Beleuchtung) abgehoben werden; vielmehr könnte auch die Aufstellung der Klägerin vom 19. November 1976 (Bl 7b der Akten der Beklagten) Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen bieten.

Sollte das LSG bei seiner neuen Entscheidung wieder zu dem Ergebnis kommen, es handele sich bei der Klägerin um eine abhängige Beschäftigung, so wird es auch mit entscheiden können, ob die Klägerin der Versicherungspflicht zur Arbeiterrentenversicherung oder zur Angestelltenversicherung unterliegt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656793

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