Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachrangigkeit beteiligungsärztlicher Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Nachrangigkeit beteiligungsärztlicher Tätigkeit.
Orientierungssatz
1. Der Bereich der Beteiligung gemäß § 368a Abs 8 RVO ist gegenüber den Klinikaufgaben nachrangig (vgl BSG vom 1983-12-20 6 RKa 15/82).
2. Inhalt und Umfang beteiligungsärztlicher Tätigkeit wird durch arbeitsvertragliche Regelungen, die vorrangig sind, begrenzt. Das gilt erst recht von allgemeinen Rechtssätzen, denen die Klinik unterworfen ist.
3. Pränarkotische Untersuchungen sind in den vorrangigen klinischen Verantwortungsbereich einbezogen.
4. Eine zwar für sich gesehen ambulant erbrachte pränarkotische Leistung kann, wenn der Versicherte anschließend in die Klinik zur Operation aufgenommen wurde, nicht beteiligungsärztlich vergütet werden. Sie wäre als ambulant nur unter der Bedingung der stationären Nichtaufnahme anzusehen.
5. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz.
Normenkette
RVO § 368a Abs 8 Fassung: 1977-06-27, § 368c Abs 1 Fassung: 1976-12-28; ZO-Ärzte § 29 Abs 2 S 1; BPflV § 3 Abs 1; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.03.1982; Aktenzeichen L 1 Ka 960/81) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 10.12.1980; Aktenzeichen S 6 Ka 816/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als an der kassenärztlichen Versorgung beteiligter Chefarzt berechtigt ist, Narkosevoruntersuchungen bei späterer (stationärer) Klinikaufnahme des Versicherten abzurechnen.
Der Kläger ist (angestellter) Chefarzt der Anästhesieabteilung des Kreiskrankenhauses A und B. Die Beklagte hat ihn zur Ausführung von ambulanten Anästhesieleistungen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt. Der an demselben Krankenhaus als Belegarzt tätige Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. G hat dem Kläger im Quartal II/1978 fünf Patienten zur (ambulanten) "Untersuchung auf Narkosefähigkeit" jeweils 8-14 Tage vor der anstehenden Operation überwiesen. Der Kläger hat nach den (ambulanten) pränarkotischen Untersuchungen auch die eigentlichen Anästhesieleistungen (stationär) auf der Belegabteilung des Krankenhauses erbracht. Die Beklagte hat die (RVO-)Abrechnung der von ihm in Rechnung gestellten Narkosevoruntersuchungen mit der Begründung abgelehnt, diese gehörten zu den stationären Anästhesieleistungen. Des Klägers Widerspruch, Klage und Berufung hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Die pränarkotischen Untersuchungen könnten nicht als ambulante Leistungen vergütet werden, da sie nach § 3 Abs 1 Bundespflegesatzverordnung (BPflV) als Leistungen des Krankenhauses im Pflegesatz enthalten seien. Eine Verlagerung dieser Leistungen in den ambulanten Bereich mit gesonderter Abrechnung sei danach ausgeschlossen. Das gelte auch hinsichtlich des beim Tätigwerden von Belegärzten zu bildenden sogenannten kleinen Pflegesatzes nach § 3 Abs 2 BPflV. Es bedürfe keiner weiteren Erörterung, daß zur eigentlichen Anästhesie auch die vorbereitende Untersuchung auf die Narkosefähigkeit gehöre. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Voruntersuchungen jeweils 8 bis 14 Tage vor der stationären Aufnahme stattgefunden hätten. Anders sei es dann, wenn es nach der pränarkotischen Untersuchung nicht zu einer stationären Aufnahme komme; die Beklagte vergüte in solchen Fällen dem Kläger die jeweilige Narkosevoruntersuchung. Auf sein Argument, durch sein Vorgehen würden Pflegetage erspart, komme es nicht an. Auch der Grundsatz der Bindung an den Überweisungsauftrag führe zu keinem anderen Ergebnis. Soweit der Kläger auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art 3 Grundgesetz (GG) abhebe, verkenne er, daß bei der entsprechenden Vergütung eines niedergelassenen Kassenarztes keine Leistungen in den Pflegesatz eingegangen seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung wurde im wesentlichen vorgebracht: Aus § 3 Abs 1 BPflV ergebe sich lediglich, daß das Krankenhaus auf der Grundlage des pauschalen Pflegesatzes alle Leistungen einschließlich Narkose nebst pränarkotischer Untersuchung und Behandlung anbieten müsse und alle diese Leistungen nur mit dem pauschalen Pflegesatz abrechnen dürfe. Nicht aber könne aus dieser Bestimmung abgeleitet werden, daß vor der Klinikaufnahme erfolgte ärztliche Leistungen als stationäre Leistungen zu behandeln seien und demgemäß nicht als ambulante Leistungen abgerechnet werden könnten. Es komme nur darauf an, in welchem Bereich - stationär oder ambulant - die Leistung erbracht worden sei. Der Versicherte habe Anspruch darauf, daß die pränarkotischen Leistungen so rechtzeitig vor der Operation erfolge, daß er noch umdisponieren könne. Wenn aber eine pränarkotische Leistung im Falle der Nichtaufnahme zu vergüten sei, dann müsse sie auch bei erfolgter Klinikaufnahme vergütet werden. Das Berufungsgericht habe auch verkannt, daß eine vor der Klinikaufnahme erfolgte pränarkotische Leistung für die Krankenkasse billiger sei, weil sie höhere Pflegesatzkosten für einen oder zwei zusätzliche Klinikaufenthaltstage erspare. Durch den Beteiligungsbescheid der Beklagten sei er - der Kläger - ohne weitere Einschränkungen zur Erbringung ambulanter Anästhesie- Leistungen ermächtigt worden. Er sei an den Überweisungsauftrag des Kassenarztes gebunden. Soweit ihm die Honorierung verweigert, sie einem niedergelassenen Arzt aber bei gleicher Leistung gewährt werde, sei auch der Gleichheitsgrundsatz verletzt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31. März 1982 - L 1 Ka 960/81 - und des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. Dezember 1980 - S 6 Ka 816/79 - aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 21. August 1978 und 21. Mai 1979 zu verurteilen, ihm die streitigen (fünf) pränarkotischen Leistungen im Quartal II/1978 zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 368a Abs 8 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) sind leitende Krankenhausärzte vom Zulassungsausschuß an der kassenärztlichen Versorgung zu beteiligen, sofern eine Beteiligung notwendig ist, um eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Gemäß § 29 Abs 2 Satz 1 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZOÄ) kann eine Beteiligung nach § 368a Abs 8 RVO nur für ambulante kassenärztliche Tätigkeiten erfolgen. Diese Beschränkung ist zwar in der Beteiligungs-Grundnorm des § 368a Abs 8 RVO nicht ausdrücklich genannt. Gleichwohl geht sie über den Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 368c Abs 1 RVO nicht hinaus. Sie entspricht der Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung, wonach die ambulante Behandlung in erster Linie den freipraktizierenden Ärzten und die stationäre Behandlung den Krankenhäusern vorbehalten ist (vgl BSG, Urteil vom 20. Dezember 1983 - 6 RKa 15/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Daß die streitigen pränarkotischen Untersuchungen als solche nicht stationär, sondern ambulant stattgefunden haben, ist zwar richtig. Wäre es bei diesen Untersuchungen geblieben, wäre also eine stationäre Aufnahme des Versicherten nicht erfolgt, so hätte der Kläger, worüber zwischen den Beteiligten ebenfalls Einigkeit besteht, zweifellos einen entsprechenden Vergütungsanspruch erworben. Die Frage ist aber, ob sich daran rechtlich deshalb etwas ändert, weil die fünf pränarkotisch untersuchten Versicherten anschließend stationär in die Klinik aufgenommen worden sind. Wären sie von einem nichtbeteiligten Anästhesisten der Klinik vor der Aufnahme ambulant auf ihre Narkosefähigkeit untersucht worden, so könnte die Klinik neben ihrem Pflegesatz jedenfalls keine gesonderten Kosten verlangen, da durch den Pflegesatz alle medizinischen zweckmäßigen Krankenhausleistungen, wozu auch eine pränarkotische Untersuchung gehört, abgegolten werden (§ 3 Abs 1 BPflV) und es nicht im Belieben des Krankenhauses liegen kann, einzelne Leistungen aus dem Kreis der mit dem Pflegesatz abgegoltenen Leistungen herauszunehmen (BSG SozR 7323 zu § 3 BPflV Nr. 4). Das gilt auch insoweit, als es sich, wie hier, um die Aufnahme in eine Belegabteilung handelt und daher nur der sogenannte kleine Pflegesatz nach § 3 Abs 2 BPflV anfällt. Denn § 3 Abs 2 Satz 1 BPflV geht davon aus, daß auch im allgemeinen Pflegesatz für Belegabteilungen (kleiner Pflegesatz) Kosten ärztlicher Leistungen enthalten sein können (BSG, SozR aaO). Deshalb kann der Kläger eine zwar für sich gesehen ambulant erbrachte pränarkotische Leistung, wenn der Versicherte anschließend in die Klinik zur Operation aufgenommen wurde, nicht beteiligungsärztlich vergütet bekommen. Der Bereich der Beteiligung gemäß § 368a Abs 8 RVO ist gegenüber den Klinikaufgaben nachrangig (vgl das oben zitierte Urteil des BSG vom 20. Dezember 1983). Diese Abhängigkeit der Beteiligung von den insoweit vorrangigen Aufgaben der Klinik, an der der beteiligte Arzt beschäftigt ist, findet in der gesetzlichen Bestimmung des § 368a Abs 8, vorletzter Satz, RVO ihren Niederschlag, soweit es dort heißt, daß Voraussetzung für die Beteiligung die Erklärung des Krankenhausträgers an den Zulassungsausschuß ist, daß durch die beantragte Beteiligung die Krankenhausversorgung nicht beeinträchtigt werde. Diese Vorschrift ist zwar erst durch Art 1 § 1 Nr 31 Buchst b des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) eingefügt worden, beruht aber auf der genannten Rechtslage. Sie ist Ausdruck dessen, daß Inhalt und Umfang beteiligungsärztlicher Tätigkeit durch arbeitsvertragliche Regelungen, die vorrangig sind, begrenzt wird. Das gilt erst recht von allgemeinen Rechtssätzen, denen die Klinik unterworfen ist. Danach aber waren die streitigen pränarkotischen Untersuchungen in den vorrangigen klinischen Verantwortungsbereich einbezogen; der Kläger hatte sie nicht als beteiligter Arzt, sondern als Klinikarzt zu erbringen. Seine Leistung wäre als ambulant nur unter der Bedingung der stationären Nichtaufnahme anzusehen gewesen. Diese Bedingung ist hier aber nicht eingetreten. Eine solche Regelung verstößt, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Auch der Grundsatz der Bindung an den Überweisungsauftrag kann an dieser Rechtslage nichts ändern, da sie, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, den grundsätzlichen Inhalt beteiligungsärztlicher Tätigkeit berührt. Aus denselben Gründen kann sich der Kläger zur Stützung seiner Rechtsansicht aber auch nicht auf das Wirtschaftlichkeitsgebot berufen, ganz abgesehen davon, daß eine vorstationäre pränarkotische Untersuchung medizinisch nicht generell unbedenklich sein dürfte.
Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1662289 |
BSGE, 228 |