Entscheidungsstichwort (Thema)
Pressegroßhandel und Sonntagsbeschäftigungsverbot. tägliches Bedürfnis nach Presseerzeugnissen. Ermessensreduzierung
Leitsatz (amtlich)
1. Will ein Pressegroßhändler am Sonntag Arbeitnehmer damit beschäftigen, Zeitschriften zu kommissionieren und zu verpacken, so bedarf er einer Ausnahmegenehmigung nach § 105 e Abs. 1 GewO.
2. § 105 e Abs. 1 GewO ermächtigt die Behörde, über eine beantragte Ausnahme vom Sonntagsbeschäftigungsverbot nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind (Abweichung von BVerwGE 24, 15 (22 f.)).
3. Es besteht ein tägliches Bedürfnis im Sinne des § 105 e Abs. 1 GewO nach Presseerzeugnissen mit neuesten Nachrichten und Kommentaren aus den verschiedenen Lebensgebieten wie Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport. Der Befriedigung dieses Bedürfnisses dienen auch Wochenblätter, die sich mit dem aktuellen Geschehen befassen.
4. Bei der behördlichen Ermessensentscheidung über den Antrag eines Pressegroßhändlers auf Ausnahmegenehmigung nach § 105 e Abs. 1 GewO muß der Informations- und Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden. Art. 5 Abs. 1 GG kann zu einer Ermessensreduzierung dahin führen, daß die Behörde zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung verpflichtet ist.
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 03.12.1987; Aktenzeichen 22 B 85 A.927) |
VG Regensburg (Entscheidung vom 07.02.1985; Aktenzeichen RO 7 K 84 A.0439) |
Tatbestand
Die Klägerin, die in R. einen Großhandel mit Presseerzeugnissen betreibt, beantragte die Erteilung einer Genehmigung für das Kommissionieren und Verpacken von Zeitschriften jeweils am Sonntag ab 10.00 Uhr für die Dauer von vier Stunden. Zur Begründung gab sie an, daß für verschiedene auflagenstarke Zeitschriften der Montag vom Verlag als Erstverkaufstag festgesetzt sei, die Anlieferung durch die Druckereien aus Aktualitätsgründen erst am Sonntag ab 10.00 Uhr erfolge und ihre eigenen Lieferfahrzeuge am Montag ab 1.00 Uhr zu den Einzelhändlern ihres Versorgungsgebietes (Niederbayern und Oberpfalz) fahren müßten. Das Gewerbeaufsichtsamt R. lehnte den Antrag ab und führte aus, die zu § 105 e GewO erlassene Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft über Ausnahmen von der Sonntagsruhe in den Bedürfnisgewerben vom 7. September 1936 (BayBS IV, S. 19) sehe nur Ausnahmen für das Kommissionieren von Zeitungen, nicht jedoch von Zeitschriften vor.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Tätigkeit sei kraft Gesetzes erlaubnisfrei, da ihr Gewerbe zum Verkehrsgewerbe im Sinne des § 105 i GewO gehöre. Sollte dies nicht der Fall sein, so habe sie mit Rücksicht auf das Recht der Pressefreiheit einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 105 e GewO. Das Gewerbeaufsichtsamt R. wies den Widerspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat beim Verwaltungsgericht Klage mit dem Antrag erhoben festzustellen, daß sie für das Kommissionieren und Verpacken von Zeitschriften am Sonntag keiner gewerberechtlichen Genehmigung bedarf; hilfsweise hat sie beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr die Genehmigung zur Sonntagsarbeit für zwölf Personen zwecks Kommissionierens und Verpackens von Zeitschriften zu gestatten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihren Hauptantrag unverändert aufrechterhalten und den Hilfsantrag dahin beschränkt, den Beklagten zu verpflichten, ihr die Genehmigung zur Sonntagsbeschäftigung von vier Personen für das Kommissionieren und Verpacken der Zeitschriften „Der Spiegel”, „Kicker” und „Sport- Kurier” zu erteilen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Er hat die Ansicht vertreten, eine Sonntagsbeschäftigung zum Zwecke des Kommissionierens und Verpackens von Zeitschriften sei nicht schon kraft Gesetzes zulässig. Sie falle vielmehr unter das Sonntagsbeschäftigungsverbot des § 105 b Abs. 2 GewO und bedürfe daher der behördlichen Ausnahmegenehmigung nach § 105 e GewO. Der Ablehnungsbescheid der Behörde in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei dahin zu verstehen, daß die tatbestandlichen Genehmigungsvoraussetzungen, nämlich das tägliche Bedürfnis der Bevölkerung und die Erforderlichkeit der Sonntagsarbeit, offenblieben und die von der Klägerin begehrte Erlaubnis aus Ermessensgründen versagt werde. Diese Ermessensentscheidung der Behörde sei rechtmäßig. Ihre typisierende Unterscheidung zwischen Zeitungen und Zeitschriften sei im Hinblick auf deren unterschiedlichen Aktualitätsgrad weder im Grundsatz noch in der Anwendung auf die hier strittigen Presseerzeugnisse zu beanstanden. Die verfassungsrechtliche Wertentscheidung für die Meinungsäußerungs-, Informations- und Pressefreiheit gebiete keine andere Beurteilung. Das in den §§ 105 a ff. GewO zum Ausdruck kommende Anliegen des Schutzes sonntäglicher Arbeitsruhe habe Verfassungsrang. Die Praxis des Beklagten zu § 105 e GewO trage dem Interessengegensatz zwischen den Belangen der Presse und des Handels mit Presseerzeugnissen einerseits und den Belangen des Arbeitnehmer- und Sonntagsschutzes andererseits in ausgewogener und differenzierter Weise Rechnung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht u. a. geltend: Sie bedürfe gemäß § 105 i GewO für das Verpacken und Kommissionieren von Zeitschriften am Sonntag keiner Genehmigung. Sollte § 105 i GewO nicht anwendbar sein, so habe sie einen Anspruch auf Ausnahmegenehmigung nach § 105 e Abs. 1 GewO. Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei zulässig, zwischen Zeitungen und Zeitschriften so zu unterscheiden, daß für letztere grundsätzlich keine Ausnahme vom Verbot des § 105 b GewO erteilt werde, sei rechtsirrig.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Dezember 1987 aufzuheben und nach den Berufungsanträgen zu erkennen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt darüber hinaus die Ansicht, es fehle auch an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 e Abs. 1 GewO.
Der Oberbundesanwalt hält es für vertretbar, im vorliegenden Fall ein tägliches Bedürfnis im Sinne des § 105 e GewO anzuerkennen. Nach seiner Auffassung ist die vom Berufungsgericht gebilligte Ermessensausübung der Behörde rechtlich bedenklich.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist hinsichtlich des Hauptantrags der Klägerin unbegründet, hinsichtlich ihres Hilfsantrags aber begründet.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß der auf Feststellung gerichtete Hauptantrag abzuweisen ist; es ist der Klägerin nicht schon kraft Gesetzes erlaubt, Arbeitnehmer am Sonntag mit dem Kommissionieren und Verpacken von Zeitschriften zu beschäftigen.
Im Handelsgewerbe dürfen nach § 105 b Abs. 2 GewO Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigt werden. Für den Begriff des Handelsgewerbes in diesem Sinne ist der Umsatz von Waren aller Art und von Geld kennzeichnend (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1985 - BVerwG 1 C 1.85 - Buchholz 451.20 §§ 105 a - i GewO Nr. 6 = GewArch 1986, 93). Danach betreibt die Klägerin, die als Großhändlerin Presseerzeugnisse umsetzt, ein Handelsgewerbe. Das Kommissionieren und Verpacken von Zeitungen und Zeitschriften ist unselbständiger Teil der auf den Umsatz von Presseerzeugnissen gerichteten Tätigkeit der Klägerin, gehört also zu deren Handelsgewerbe und stellt kein – nach § 105 i Abs. 1 GewO vom Sonntagsbeschäftigungsverbot ausgenommenes – Verkehrsgewerbe dar. Die Qualifizierung einer Tätigkeit als Handelsgewerbe im Sinne des § 105 b Abs. 2 GewO schließt die Einordnung als Verkehrsgewerbe im Sinne des § 105 i Abs. 1 GewO aus (vgl. Urteil vom 7. April 1983 - BVerwG 1 C 15.82 - Buchholz 451.20 §§ 105 a - i GewO Nr. 4 = GewArch 1983, 225; Urteil vom 17. Dezember 1985 - BVerwG 1 C 1.85 - a.a.O.). Das Kommissionieren und Verpacken von Zeitschriften fällt auch nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 105 c Abs. 1 Nr. 1 GewO, wonach Arbeiten, die in Notfällen oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen, vom Sonntagsbeschäftigungsverbot freigestellt sind. Ein öffentliches Interesse in diesem Sinne liegt nur vor, wenn es so dringend ist, daß es dem Interesse an der Beseitigung von Notfällen in seinem Gewicht etwa gleichkommt (vgl. Urteile vom 7. April 1983 - BVerwG 1 C 15.82 - und vom 17. Dezember 1985 - BVerwG 1 C 1.85 - a.a.O.; BGH, Urteil vom 26. November 1987 - I ZR 178/85 - GewArch 1988, 94). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die dargelegte Interpretation der §§ 105 i Abs. 1 und 105 c Abs. 1 Nr. 1 GewO verstößt nicht gegen die Garantie der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Den Anforderungen, die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergeben, kann und muß die Behörde im Rahmen der Ausnahmeermächtigung des § 105 e Abs. 1 GewO gerecht werden. Die von der Klägerin geplante Sonntagsbeschäftigung ist daher nur zulässig, wenn die Behörde dafür gemäß § 105 e Abs. 1 GewO eine Ausnahmegenehmigung erteilt, wie die Klägerin sie mit ihrem Hilfsantrag erstrebt.
2. Hinsichtlich dieses Hilfsantrags hat die Revision Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht dessen Schluß, die Behörde habe die Ausnahmegenehmigung zu Recht versagt; ebensowenig erlauben sie dem erkennenden Senat eine abschließende Entscheidung im gegenteiligen Sinne. Es bedarf vielmehr weiterer tatsächlicher Feststellungen, die zu treffen Aufgabe des Berufungsgerichts ist.
Nach § 105 e Abs. 1 GewO kann die Behörde u. a. für solche Gewerbe, deren vollständige oder teilweise Ausübung an Sonn- und Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, Ausnahmen vom Sonntagsbeschäftigungsverbot zulassen. Der erkennende Senat hält nicht an seiner auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gestützten Rechtsprechung (BVerwGE 24, 15 (22 f.)) fest, wonach die Sonntagsbeschäftigung dann, wenn sie zur Befriedigung der in § 105 e Abs. 1 GewO genannten Bedürfnisse erforderlich ist, genehmigt werden m u ß. Diese Auslegung widerspricht dem Wortlaut der Kann-Vorschrift und auch der Interpretation, die ähnlich formulierte Befreiungsvorschriften, beispielsweise § 31 Abs. 2 BauGB (früher § 31 Abs. 2 BBauG) erfahren (vgl. dazu BVerwGE 40, 268 (271); 56, 71 (77); BGH, BauR 1983, 231 (232)). Wie bei § 31 Abs. 2 BauGB, handelt es sich auch bei § 105 e Abs. 1 GewO um einen sog. Mischtatbestand (vgl. dazu BVerwGE 39, 355 (362)): Die Vorschrift setzt voraus, daß die Sonntagsarbeit zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse erforderlich ist (a). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Behörde ermächtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen über die beantragte Ausnahme zu entscheiden (b).
a) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Voraussetzungen eines Bedürfnisses der Bevölkerung und der Erforderlichkeit der beabsichtigten Sonntagsbeschäftigung erfüllt sind.
Die zuerst genannte Voraussetzung ist hier ohne weitere tatsächliche Feststellungen zu bejahen. Ein tägliches Bedürfnis der Bevölkerung im Sinne des § 105 e Abs. 1 GewO ist gegeben, wenn Waren oder Dienstleistungen von einem wesentlichen Teil der Bevölkerung als täglich wichtig in Anspruch genommen werden (vgl. dazu Urteil vom 14. November 1989 - BVerwG 1 C 14.88 -). Dabei kommt es nicht darauf an, daß täglich genau das g l e i c h e Produkt ge- oder verbraucht wird. Auch bei Tageszeitungen, für die nach allgemeiner Ansicht ein tägliches Bedürfnis der Bevölkerung anzunehmen ist (so auch die vom Beklagten herangezogene Bekanntmachung über Ausnahmen von der Sonntagsruhe in den Bedürfnisgewerben vom 7. September 1936), wird nicht täglich das gleiche Druckwerk, sondern jeweils eine a n d e r e Ausgabe der betreffenden Zeitung gelesen. So läßt sich die Ausnahmegenehmigung für Sonntagsarbeit zur Herstellung und zum Vertrieb einer Tageszeitung nicht etwa mit der Begründung verweigern, es gehe insoweit allein um die Montagsausgabe, für die kein tägliches, sondern lediglich ein – nach § 105 e Abs. 1 GewO unbeachtliches – Bedürfnis nur an Montagen bestehe. Abzustellen ist daher nicht darauf, ob ein tägliches Bedürfnis nach einer in diesem Sinne bestimmten Zeitung oder Zeitschrift besteht, sondern auf die allgemeinkundige Tatsache, daß es in weiten Kreisen der Bevölkerung ein tägliches Bedürfnis nach Presseerzeugnissen mit neuesten Nachrichten und Kommentaren aus den verschiedenen Lebensgebieten wie Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport gibt. Der Befriedigung dieses täglichen Bedürfnisses dienen nicht nur Druckwerke, die täglich neu erscheinen, sondern auch Wochenblätter, die sich wie die im Klageantrag genannten mit dem aktuellen Geschehen befassen. Das tägliche Informationsbedürfnis ist auf eine möglichst frühzeitige Verfügbarkeit dieser Druckwerke gerichtet.
Was die weitere Rechtsvoraussetzung des § 105 e Abs. 1 GewO, die Erforderlichkeit der Sonntagsarbeit, betrifft, so läßt sie sich nicht, wie der Beklagte meint, mit dem Argument verneinen, die strittigen Zeitschriften könnten so früh in der Woche gedruckt werden, daß eine Belieferung der Einzelhändler bis spätestens Samstagnacht, 24.00 Uhr, möglich sei. Abgesehen davon, daß die Klägerin über Redaktionsschluß und Herstellungstermin der Zeitschriften nicht zu bestimmen hat, greift dieses Argument deshalb nicht, weil dem auch am Wochenanfang bestehenden Bedürfnis der Bevölkerung nach möglichst aktueller Presseinformation durch eine frühere Fertigstellung der Zeitschriften gerade nicht gedient wäre. Der Senat kann die Erforderlichkeit der beabsichtigten Sonntagsbeschäftigung allerdings auch nicht bejahen, denn es fehlt im Berufungsurteil an den hierfür nötigen Feststellungen.
b) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht der Ansicht, die Frage der Erforderlichkeit könne dahingestellt bleiben, da der behördliche Versagungsbescheid jedenfalls auf rechtlich einwandfreien Ermessenserwägungen beruhe. Diese Auffassung des Berufungsgerichts trägt den Grundrechten der Informations- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht genügend Rechnung.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich die Behörde bei der Ausübung des Ermessens davon leiten lassen, daß der Unterschied zwischen Tageszeitungen, die typischerweise tagebuchartig über die jeweils aktuellen Vorgänge berichten, und Zeitschriften, die typischerweise „von der Alltagsaktualität abgekoppelt” seien, es rechtfertige, Ausnahmen vom Sonntagsbeschäftigungsverbot zwar für die Montagsausgabe von Tageszeitungen, nicht aber für Zeitschriften zu erteilen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist diese Ermessenserwägung für die hier in Rede stehenden Zeitschriften nicht tragfähig.
Das Berufungsgericht ist – insoweit ohne Rechtsfehler – davon ausgegangen, daß die drei Zeitschriften, anders als etwa eine typische Fachzeitschrift, insofern von besonderer Aktualität sind, als sie Ereignisse der abgelaufenen Woche und des Wochenausgangs verarbeiten. Angesichts dieser vom Berufungsgericht festgestellten „Wochenaktualität” muß die Behörde von ihrem Ausnahmeermessen nach § 105 e Abs. 1 GewO im Sinne einer Zulassung der Sonntagsbeschäftigung Gebrauch machen, soweit dies erforderlich ist, um zu ermöglichen, daß die Zeitschriften den Lesern am Montagmorgen zur Verfügung stehen:
Wird durch das Verbot der Sonntagsbeschäftigung der sonst mögliche frühzeitige Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften im Versorgungsgebiet der Klägerin ganz oder teilweise verhindert, so beeinträchtigt dies die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auf die sich die Klägerin als Presse-Grossist berufen kann (BVerfGE 77, 346 (354)), und damit zugleich die Freiheit der Meinungsbildung, der Art. 5 Abs. 1 GG dienen soll (BVerfGE 57, 295 (319)). Nach Art. 5 Abs. 2 GG finden zwar Informations- wie Pressefreiheit ihre Schranken u. a. an den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, also auch im Sonntagsbeschäftigungsverbot des § 105 b GewO und in § 105 e Abs. 1 GewO, der eine Versagung der Befreiung vom Sonntagsbeschäftigungsverbot nach Ermessen zuläßt. Die allgemeinen Gesetze müssen aber im Lichte der besonderen Bedeutung der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat ausgelegt und angewandt werden (vgl. z.B. BVerfGE 50, 234 (241)). Konflikte mit anderen im Grundgesetz geschützten Werten sind durch eine konkrete Abwägung zu lösen (vgl. z.B. BVerfGE 21, 239 (243)). Als kollidierender Verfassungswert ist hier der Schutz der Sonntagsruhe gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV zu berücksichtigen. Danach bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Wie der Senat (BVerwGE 79, 118 (122 f.)) ausgesprochen hat, ist dieser Schutz durch den Gesetzgeber zu bewirken; Art, Umfang, Intensität und nähere inhaltliche Ausgestaltung des Sonntagsschutzes stehen im gesetzgeberischen Ermessen. Das Sonntagsbeschäftigungsverbot des § 105 b GewO und die Ausnahmeermächtigung des § 105 e Abs. 1 GewO stellen eine verfassungsrechtlich einwandfreie Konkretisierung des Gebotes der Sonntagsruhe dar, die für eine angemessene Wahrung der Informations- und Pressefreiheit Raum läßt.
Die Abwägung der Verfassungswerte der Informations- und Pressefreiheit einerseits und der Sonntagsruhe andererseits ergibt, daß Sonntagsarbeit für die Montagsausgabe von T a g e s z e i t u n g e n nach § 105 e Abs. 1 GewO insoweit erlaubt werden m u ß, als sie nötig ist, um die Belieferung der Leser am Montagmorgen sicherzustellen; denn die – von Verfassung und Gesetz nicht geforderte – s t r i k t e Durchsetzung der Sonntagsruhe hätte hier die unverhältnismäßige Folge, daß die der „öffentlichen Aufgabe” der Presse entsprechende zeitnahe Berichterstattung über Ereignisse des Wochenendes unmöglich gemacht oder doch wesentlich verzögert würde. Dasselbe hat aber im Lichte der Informations- und Pressefreiheit auch für Wochenzeitschriften zu gelten, die den Montag als Erstausgabetag bestimmen, wenn sie mit einem beachtlichen Teil ihres Inhalts Ereignisse und Themen der vorhergehenden Woche bis hin zum Wochenende betreffen. Diese Zeitschriften werden – da das Interesse der Leser an den Berichten und Kommentaren um so stärker ist, je geringer der zeitliche Abstand vom Anlaß – am Wochenanfang ebenso dringend von ihrem Leserkreis gewünscht und sind ähnlich dringend auf ein frühzeitiges Erscheinen angewiesen wie die Montagsausgabe einer Zeitung. Daran kann der Umstand nichts ändern, daß diese Zeitschriften möglicherweise in größerem Umfang als eine Tageszeitung a u c h Artikel bringen, die noch Tage nach dem Erstausgabetag ihre Leser finden. Bei der Abwägung fällt ferner ins Gewicht, daß der Verpflichtungsantrag der Klägerin nur auf eine nach Dauer und Personenzahl b e g r e n z t e Sonntagsbeschäftigung zielt, die die Sonntagsruhe nicht schwerwiegend belastet.
Sollte diese Sonntagsbeschäftigung erforderlich sein, um ein Erscheinen der strittigen Zeitschriften am Montagmorgen auch in dem Versorgungsgebiet der Klägerin zu ermöglichen, so könnte die erörterte Ermessenserwägung der Behörde mithin die Ablehnung der Ausnahmegenehmigung nicht rechtfertigen; vielmehr wäre die Behörde zu deren Erteilung verpflichtet. Das Berufungsgericht muß deswegen noch klären, ob die beabsichtigte Sonntagsbeschäftigung tatsächlich erforderlich ist.
Fundstellen
BB 1990, 856 |
DB 1990, 1244 (L) |
NJW 1990, 1059-1061 (LT) |
Buchholz 451.20 §§ 105a-i GewO, Nr 9 (LT) |
BVerwGE 84, 86-93 (LT) |
BVerwGE, 86 |
NVwZ 1990, 474 (L) |
AfP 1990, 246-248 (ST) |
DÖV 1990, 338-339 (LT) |
DVBl 1990, 208-210 (LT) |
EzA § 105c GewO, Nr 2 (LT) |
GewArch 1990, 64-66 (LT) |
VR 1990, 287 (K) |
ZfSH/SGB 1990, 310 (L) |