Dr. Fabian Clemens, Dr. Kai Bodenstedt
2.3.2.1 Kündigung durch den Ausbildenden
Rz. 8
Der Begriff des wichtigen Grundes in § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspricht dem in § 626 Abs. 1 BGB. Eine Kündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG setzt demnach voraus, dass Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht mehr zugemutet werden kann. Damit kommen für eine Kündigung durch eine der Parteien im Ansatz sämtliche Tatbestände in Betracht, die auch in Arbeitsverhältnissen eine Rolle spielen können.
Rz. 9
Bei einer Kündigung durch den Ausbildenden sind dies z. B. Straftaten des Auszubildenden im Zusammenhang mit dem Ausbildungsverhältnis oder sonstige schwere Pflichtverletzungen (unentschuldigtes Fehlen, Vortäuschung einer Krankheit, Arbeitszeitbetrug, Diebstähle, Beleidigungen des Arbeitgebers, eines Kunden oder Kollegen, körperliche Angriffe, beharrliche Verweigerung, ihm rechtmäßig zugewiesene Tätigkeiten auszuüben).
Auch im Ausbildungsverhältnis kann für die zu treffende Prognoseentscheidung eine Rolle spielen, ob der Auszubildende zuvor wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung abgemahnt wurde.
Darüber hinaus muss allerdings jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung bedacht werden, dass sich Arbeitsverhältnisse und Berufsausbildungsverhältnisse in vielfacher Hinsicht unterscheiden. Beim Ausbildungsverhältnis müssen auch der damit verbundene Ausbildungszweck und das Ausbildungsziel berücksichtigt werden. So verlangt die Erfüllung der Ausbildungsaufgabe eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien an das Vertragsverhältnis.
Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass die Bindung an das Ausbildungsverhältnis nur von zeitlich begrenzter Dauer ist. Eine verhältnismäßig kurze noch zu absolvierende Dauer des Ausbildungsverhältnisses kann dazu führen, dass eine Kündigung kaum noch möglich ist. Daher ist auch die bis dahin zurückgelegte Ausbildungszeit im Verhältnis der Gesamtdauer der Ausbildung zu berücksichtigen.
Weiterhin kann eine Rolle spielen, dass § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG den Ausbildenden dazu verpflichtet, den Auszubildenden charakterlich zu fördern. Dieser – früher als "Erziehungszweck" bezeichnete – Gedanke kann auch dazu führen, die Kündigung eines Auszubildenden als unwirksam zu erachten, während eine Kündigung eines Arbeitnehmers bei einer vergleichbaren Pflichtverletzung als rechtswirksam zu beurteilen wäre.
Bei der Frage der Verdachtskündigung legt das Bundesarbeitsgericht allerdings keinen strengeren Prüfungsmaßstab an als bei der Verdachtskündigung von Arbeitnehmern. Allerdings sind selbstverständlich auch hier die Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses zu berücksichtigen.
Leistungsmängel an sich sind kein Kündigungsgrund. Über dem Ausbildenden eines schlechten Auszubildenden schwebt immer das Damoklesschwert der automatischen Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses bei Nichtbestehen der Prüfung (§ 21 Abs. 3 BBiG). Damit ist wertungsmäßig ausgeschlossen, dass Leistungsmängel allein zu einer vorzeitigen Beendigung führen können. Vielmehr müssen jedenfalls Gründe hinzutreten, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen.
Rz. 10
Neben verhaltensbedingten Gründen kommen auch betriebs- oder personenbedingte Gründe in Betracht. So liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die Ausbildungsstätte stillgelegt wird. Soweit in der Literatur teilweise die Rede davon ist, auch eine wesentliche Einschränkung des Betriebs rechtfertige die Kündigung, ist dies in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Besteht der Betrieb aus einem Produktions- und einem Verwaltungsbereich, liegt sicherlich eine wesentliche Einschränkung des Betriebs vor, wenn die Produktion ins Ausland verlagert wird. Einen Auszubildenden im kaufmännischen Bereich betrifft dies allerdings nicht, sodass kein Kündigungsgrund besteht. Ein Insolvenzverwalter kann auch bei Schließung des Betriebs nicht fristlos kündigen, sondern muss nach § 113 InsO vorgehen. Die Krankheit eines Auszubildenden kann nur dann einen wichtigen Grund darstellen, wenn dadurch die Verwirklichung des Ausbildungsziels in der Ausbildungszeit unmöglich gemacht wird. Das ist regelmäßig nur bei lang anhaltenden Krankheiten der Fall, deren Ende zum Kündigungszeitpunkt nicht absehbar ist. Häufige Kurzerkrankungen machen die Fortsetzung der Ausbildung für den Ausbildenden hingegen nicht unzumutbar. Es ist regelmäßig zumutbar, dem Auszubildenden die Möglichkeit zu geben, das Ausbildungsziel innerhalb der Ausbildungszeit zu erreichen.