Sven Franke, Stefanie Hornung
Ein Argument, das bei einem Gehaltvorsprung von Männern häufig angeführt wird, ist ihr vermeintliches Verhandlungsgeschick. Die Botschaft, die dabei mitschwingt, lautet: "Frauen sind selbst daran schuld, dass sie weniger verdienen. Hätten sie besser verhandelt, würden sie das Gleiche bekommen." Auf den ersten Blick erscheint das logisch. Doch wer diesen Antwortautomatismus hinterfragt, dem eröffnen sich weitere Erklärungsmuster.
Wer trägt in einem Entscheidungsprozess die größte Verantwortung? Derjenige, der Informationen zur Verfügung stellt? Oder die Person, die den Gesamtprozess verantwortet? In unserem Verständnis letztere und das sind im Fall der Gehaltsfindung die Personen, die den Zuschlag für ein Gehalt erteilen, also HR oder in kleineren Unternehmen die Geschäftsführung. Sie kennen die Anforderungen an die Stelle, sie kennen die Bewerber, sie kennen deren Gehaltsforderungen und sie kennen das Gehaltsgefüge in der Organisation und tragen auch die Verantwortung für den gesamten Prozess. Zudem haben sie die größere Erfahrung, wenn es um Gehaltsfindung geht, denn es ist Teil ihres "daily business".
Wieso antizipiert ein Unternehmen nicht den vermeintlichen Fakt des "selbstbewussten Verhandlers" und reagiert im Aushandlungsprozess entsprechend? Warum sind sie bereit für einen "guten Verhandler" mehr auszugeben, wenn sie die gleichen Kompetenzen für einen geringeren Betrag erhalten könnten? Entspricht der Wert, den ein angeblich "schlechter Verhandler" aufruft, am Ende nicht vielleicht sogar eher seinem realistischen Wertbeitrag? Hat der "forsche Verhandler" die Interessen des Unternehmens im Blick oder geht es ihm darum, den eigenen Nutzen zu maximieren? Nur wer laut trommelt und sich zu verkaufen weiß, ist deshalb noch lange kein Leistungsträger.
Die vielen Fragen deuten es an: Hier gilt es, sich den eigenen Denkmodellen und positiven wie negativen Vorurteilen bewusst zu werden und diese kritisch zu prüfen. Fakt ist, unser Gehirn ist ein Profi in Kategorienbildung und Bewertungen – und vermag diese in annähernder Lichtgeschwindigkeit vorzunehmen. Das hilft uns in neuen Situationen bei der schnellen Orientierung. Was jedoch nicht heißt, dass die Verallgemeinerungen und Stereotypenbildung richtig und dauerhaft zielführend sind. Diese Prozesse erfolgen unbewusst und bilden Grundannahmen oder auch irrationale Ängste ab. So kommt es zu "unconscious bias", unbewusster Voreingenommenheit die positiv wie negativ ausfallen können. Und dadurch wird beispielsweise das Verhalten eines Mannes oft anders bewertet, als das einer Frau.
In einem Experiment erhielten Studenten an der Havard Business School die Beschreibung eines erfolgreichen Entrepreneurs und Investors namens Howard Roizen. Howard, so die Ausführungen, sei Mitgründer eines erfolgreichen Hightechunternehmens, habe bei Apple gearbeitet, sei Freund von Bill Gates und Boardmitglied bei den prestigeträchtigsten Firmen des Silicon Valley. In der Fallstudie beschreibt Howard in eigenen Worten seinen Werdegang. Nach der Lektüre wurden die Studenten aufgefordert die Persönlichkeit des Managers einzuschätzen und zu entscheiden, ob sie ihn einstellen oder sogar für ihn arbeiten würden. Viele der befragten Studenten waren Howard gegenüber positiv eingestellt und konnten sich gut vorstellen für ihn zu arbeiten. Doch Howard heißt im wahren Leben Heidi. Die Vergleichsgruppe, die den Lebenslauf mit dem echten Vornamen bewerten sollte, kam zu einem ganz anderen Urteil. Für Heidi wollte niemand arbeiten. Begründung: Eine dermaßen erfolgreiche Frau müsse unsympathisch sein. Und so bleibt es fraglich, ob ein forsches und selbstbewusstes Auftreten von Frauen die gleiche Wirkung erzielt wie das von Männern.
Dass Frauen und Männern unterschiedliche Kompetenzen zugeschrieben werden, zeigt sich auch bei der Auswahl von Orchestermusikern. Als Orchester in den 70er-Jahren begannen, Musiker hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen, stieg die Anzahl weiblicher Orchestermitglieder kontinuierlich an.
Und so ist es auch keine Überraschung, dass die Zuschreibung geringerer oder höherer Kompetenzen sich aufgrund des Geschlechts auch auf die Vergütung auswirkt und eine entsprechende Entlohnung zur Folge hat. Wer seinen eigenen geschlechtsspezifischen Vorurteilen auf die Spur kommen möchte, der findet im Internet verschiedene Tests, beispielsweise auf der Webseite der "Initiative Chefsache".
Fragen zur Reflexion
- Wie erklärst Du Dir die großen regionalen Unterschiede beim Gender Pay Gap in der EU und innerhalb Deutschlands?
- Wie sollten Frauen und Männer vorgehen, wenn sie den Eindruck haben, in ihrer Organisation schlechter vergütet zu werden als Kollegen?
- Welche positiven wie negativen Vorurteile gegenüber Frauen und Männern begegnen Dir regelmäßig?
- Welche eigenen, unbewussten Vorurteile gegenüber Frauen und Männern sind Dir zuletzt bewusst geworden?