Sven Franke, Stefanie Hornung
Betrachtet man die Vergütungsstrukturen in sozialen Berufen, wird schnell klar, dass man sich nicht des Geldes wegen für diese Karriere entscheidet. Wer möglichst viel verdienen möchte, sollte sich anderen Berufssparten zuwenden, etwa dem verarbeitenden Gewerbe oder dem Banken- oder Versicherungswesen.
Um Zahlen sprechen zu lassen: Der durchschnittliche Arbeitnehmer im Sozial- und Gesundheitswesen kommt laut Statistischem Bundesamt im 1. Quartal 2018 auf einen monatlichen Bruttoverdienst von 2.940 EUR. Dem stehen Bruttoeinkommen von 4.156 EUR im verarbeitenden Gewerbe und 5.245 EUR im Bank- und Versicherungswesen gegenüber. Damit wird in diesen Branchen 41 bzw. 78 % mehr verdient als beispielsweise in der Alten- und Krankenpflege.
Für die Wissenschaftlerinnen Christina Schildmann und Dorothea Voss belegen diese Verdienstunterschiede, dass die Verantwortung für das physische wie psychische Wohlergeben anderer Menschen strukturell unterbewertet wird. Die Ursache für diese Gehaltsdifferenzen sehen sie in der unterschiedlichen Entlohnung von Frauen und Männern. "Es existiert eine Reihe von Analysen, die eine inversen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil in einer Branche und der Vergütung belegen, d.h. ihre Tätigkeiten sind niedrig bezahlt, weil sie einen geringeren gesellschaftlichen Status genießen als Männer, was sich auf die Berufe überträgt, die in der Mehrzahl von Frauen ausgeübt werden."
Indizien für diese Diskriminierung liefert neuerdings auch der "Comparable Worth"-Index. Dieser vergleicht geschlechtsneutral die Arbeitsanforderungen und -belastungen in typischen Frauen- und Männerberufen und setzt sie in ein Verhältnis zu den jeweiligen Verdienstniveaus in den einzelnen Berufen. Bei dieser Bewertung werden 4 Kriterien berücksichtigt: Wissen und Können, psychosoziale Kompetenzen, Verantwortung sowie physische Anforderungen. "Vielfach werden beispielsweise psychosoziale Anforderungen und Belastungen, die in der Regel häufiger im Zusammenhang in vermeintlich weiblichen Berufen auftreten, per Verfahren ausgeklammert und lediglich die jeweilige Qualifikation und Führungsverantwortung berücksichtigt", so Sarah Lillemeier, Soziologin am Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen.
Doch die Forschung rund um den "Comparable Worth-Index" steht noch am Anfang. Weitere Analysen sind notwendig, um ein vollständiges Bild vor allem auch der Wirkungszusammenhänge zu erhalten. Und so gilt für viele Frauen heute immer noch, dass sie doppelt diskriminiert werden. Einmal, sofern sie in sozialen Berufen tätig sind, und dazu noch in der unentgeltlichen Sorgearbeit für Familienangehörige. Denn auch in den Familien übernehmen Frauen immer noch den überwiegenden Teil der Erziehung, Pflege und Hausarbeit.
Für den zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wurde erstmals der sogenannte "Gender Care Gap" ermittelt. Dieser misst, wie sich Sorgearbeit in den Familien auf Männer und Frauen verteilt. Nina Klünder, Forscherin an der Universität Gießen, kommt in ihrem Beitrag für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zu folgendem Ergebnis: Frauen widmen zu über 50 % mehr Zeit der Sorgearbeit als Männer. "Bei der Betrachtung der gesamten Care-Arbeit zeigt sich, dass Frauen täglich 87 Minuten mehr Care-Arbeit verrichten als ihre Partner. Selbst bei vollzeiterwerbstätigen Personen in Paarhaushalten ohne Kinder leisten Frauen ein Viertel mehr", beschreibt Klünder die aktuellen Gegebenheiten. Diese ungleiche Verteilung wirkt sich doppelt aus. Zum einen in den geringen Gehältern von Frauen, die im Sinne der Familie häufig ihre Erwerbstätigkeit in Teilzeit ausüben und auf die Zukunft bezogen auch in ihren Rentenzahlungen.
Wenn man sich diese Differenzen in der Sorgearbeit vergegenwärtig, erscheinen die 50er Jahre des letzten Jahrtausends noch sehr präsent. Doch es bewegt sich etwas. Immer mehr Frauen und Männer fordern einen neuen Blick auf soziale Tätigkeiten und ihrer Akteure – wie auch auf die Rollenbilder in den Familien. Auch der Wahlkampf der letzten Bundestagswahl hat bewiesen: Soziale Berufe erfahren einen Wandel – vor allem im Hinblick auf ihre Wertigkeit in der Gesellschaft. Der Krankenpfleger Alexander Jorde löste mit seinem Statement gegenüber der amtierenden Kanzlerin eine wochenlange Diskussion über die Situation in den Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen aus. Jorde wollte wissen, warum die Bundesregierung noch keinen Personalschlüssel für die Alten- und Krankenpflege beschlossen hätte. Die derzeitige Situation in den Einrichtungen führe nach seiner Erfahrung dazu, dass Menschen tagtäglich in ihrer Würde verletzt würden. Doch Jorde beschreibt hier kein neues Phänomen. Schon seit Jahren spitzt sich der Fachkräftemangel in den Einrichtungen zu. So weist die Bundesagentur für Arbeit im Dezember 2017 für jedes der 16 Bundesländer einen Mangel an examinierten Pflegekräften aus.
Und das hat gravierende Auswirkungen – nicht nur auf die Qualität der Pflege, sondern auch ...