Wie Arbeitgeber Lust auf mehr Arbeit schaffen

Eine Viertagewoche fordern die einen. Die Deutschen sind zu faul, sagen die anderen. Wer hat hier die Deutungshoheit, auch in Bezug auf aktuelle Arbeitszeitzahlen? Welche Maßnahmen sollten Personalverantwortliche ergreifen und wie könnten sie Lust auf mehr Arbeit schaffen? Wir lassen fünf Personen aus dem HR-Umfeld mit verschiedenen Positionen zu Wort kommen.

In den vergangenen Jahren dominierte das New-Work-Narrativ, dass sinnvollere, selbstbestimmtere, flexiblere und agilere Arbeit Unternehmen in einem dynamischen Umfeld erfolgreicher macht. Um Mitarbeitende zu finden und zu binden war es angesagt, nach ihren Wünschen zu fragen und sich bei der Wahl der Personalinstrumente stark daran zu orientieren. Doch die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise und es werden Stimmen lauter, die eine andere Stoßrichtung als beispielsweise die Viertagewoche einschlagen wollen. Mehr statt weniger Arbeit lautet nun die Devise.

Um das Meinungsspektrum abzubilden, haben wir bei fünf Personen aus HR oder mit HR-Expertise nachgefragt. Wir wollten wissen: Haben sich die Unternehmen in den vergangenen Jahren bei der Diskussionsagenda zur Zukunft der Arbeit das Heft aus der Hand nehmen lassen? Müssen Unternehmen lauter werden und Lust auf mehr Arbeit schaffen – und wenn ja, wie?

Steffen Kampeter: "Wir brauchen eine Ordnungspolitik für mehr Arbeit"

Steffen Kampeter, Geschäftsführer Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDA:

"Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit – vor einem guten Jahr habe ich mit diesem kurzen Satz eine Debatte ausgelöst, die seitdem emotional diskutiert wird. Die Debatte wird von einigen vorsätzlich missbräuchlich unter Faulheit geframed. Es geht aber im Kern um eine zentrale wirtschaftspolitische und sozialpolitische Herausforderung: Wovon werden wir in Zukunft leben? Arbeit ist dabei zentral und die Demographie schlägt uns ein Schnippchen – Jahr für Jahr verlassen rund 500.000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt als neue hinzukommen. Damit wird die Herausforderung für die Verbliebenen immer größer. Politik und Gesellschaft müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um mehr Arbeit zu mobilisieren. Wir brauchen eine Ordnungspolitik für mehr Arbeit. 

Ein paar Beispiele, wie Arbeit wieder attraktiver gemacht werden kann:

  • Mehr Netto vom Brutto: Steuern und vor allem Lohnzusatzkosten müssen runter. Wer mehr von seinem Lohn auf dem Konto findet, geht motivierter zur Arbeit.   
  • Flexiblere Arbeitszeiten: fünf Mal die Woche acht Stunden, das ist kein Modell für das 21. Jahrhundert. Auch viele Beschäftigte wünschen sich im Zeitalter der Digitalisierung mehr Flexibilität.  
  • Längere Öffnungszeiten in Kitas und mehr Ganztagsschulen: damit Beschäftigte mit jungen Kindern wieder Vollzeit arbeiten können, wenn sie wollen.

"Es geht im Kern um eine zentrale wirtschaftspolitische und sozialpolitische Herausforderung: Wovon werden wir in Zukunft leben?"
Steffen Kampeter, BDA-Hauptgeschäftsführer


Die Zahlen sprechen für sich: In Deutschland wird vergleichsweise wenig gearbeitet – und das hängt auch mit den schlechten Rahmenbedingungen zusammen. Die Statistik des Instituts der Deutschen Wirtschaft zeigt, dass in Deutschland im Schnitt weniger Arbeitsstunden pro Jahr geleistet werden als etwa in Neuseeland, Tschechien oder der Schweiz. Das sollte uns zumindest zu denken geben.  In der öffentlichen Diskussion und auf Social Media geht es zu oft um Work-Life-Balance, Vier-Tage-Woche, Teilzeit, Bürgergeld – also um die Rahmenbedingungen von Weniger-Arbeit oder Nicht-Arbeit. Dabei steht doch fest: Leistung ist etwas wert – und es gibt keinen anstrengungslosen Wohlstand. Daraus ergibt sich auch: In einer alternden Gesellschaft, in der die Menschen aber auch immer länger gesund sind, werden wir alle länger arbeiten müssen."

Carsten Schermuly: "Mehr Zeit für Arbeit während der Arbeit"

Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule Berlin:

"Nach der Generationenbeschimpfung kommt jetzt der Rundumschlag on top: Wir sind alle faul. So titelte etwa die BILD-Zeitung pünktlich zum Tag der Arbeit. Es stimmt, die Zahl der durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Woche ist niedriger als in vielen anderen Ländern. Einige Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter glauben zu wissen, wo der Grund für die 'arbeitsscheuen' Deutschen zu suchen ist: Die heutigen Generationen hätten sich zu sehr an den vorhandenen Wohlstand in unserem Land gewöhnt.

"Zur These, dass die Deutschen arbeitsscheu seien, kommt man nur, wenn man die Arbeitsstunden pro Woche isoliert betrachtet."
Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule Berlin


Doch kommen wir zu den Fakten, auf Basis eines Artikels von Steffen Hermann in der Frankfurter Rundschau zusammengestellt:

  • Erwerbstätige: 2023 = 45,93 Mio (Höchststand); 1991 = 38,9 Mio (laut IAB)
  • Teilzeitquote: 2023 = 39 Prozent; 1991 = 18,5 Prozent (laut IAB)
  • Nebenjobs: 2022 = 4,6 % aller Erwerbstätigen; 1992 = 1,8 % (laut Statistischem Bundesamt
  • Arbeitsstunden: 2023 = 55 Mrd Stunden (Höchststand); 1991 = 52 Mrd; 2005 = 47 Mrd (laut DIW)
  • Index der Arbeitsproduktivität pro Erwerbsperson: 2022 = 101,97; 1991 = 81,34 Punkte (laut Statistischem Bundesamt)
  • Renteneintrittsalter: 2022 = 64,4 Jahre; 1997 = 62,1 (laut der Deutschen Rentenversicherung)

Das heißt: Zur These, dass die Deutschen arbeitsscheu seien, kommt man nur, wenn man die Arbeitsstunden pro Woche isoliert betrachtet. Die niedrigeren Werte sind unter anderem durch die hohe Teilzeit- und Nebenjobquote zu erklären. Überstunden, Sorgearbeit, die zu zwei Drittel Frauen übernehmen, und Ehrenämter sind da noch gar nicht mitgerechnet. So gesehen sind die Deutschen also eher fleißig.

Statt sinnlos mehr oder weniger Arbeitszeit pro Woche zu diskutieren, fände ich ein paar andere Forderungen wichtiger:

  1. Mehr Zeit für Arbeit während der Arbeit (z.B. durch weniger Online-Meetings).
  2. Mehr Einsatz von professioneller Arbeits- und Organisationspsychologie, sodass Arbeit Menschen stärkt (z. B. durch psychologisches Empowerment).
  3. Mehr Zeit für gute Führung.
  4. Bessere Familienarbeitszeitbedingungen und gerechtere Aufteilung von Care-Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen.
  5. Weniger Stereotype über Arbeitszeit und Generationen."

Sabine Kohleisen: "Der Fokus auf geleistete Wochenstunden ist einseitig"

Sabine Kohleisen, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin der Mercedes-Benz Group AG:

"Ich wünsche mir eine konstruktive Debatte zum Thema Arbeit in Deutschland. Pauschale Aussagen zu einer niedrigen Arbeitsmoral helfen niemandem weiter. Viele davon sind auch schlichtweg falsch. Was aber richtig ist und darüber müssen wir sprechen: Wir haben in Deutschland viel Arbeitspotenzial, das wir heben können. Menschen, die gerne mehr arbeiten würden und es aus unterschiedlichen Gründen nicht können. So haben wir in der Bundesrepublik einen vergleichsweise hohen Anteil Beschäftigter in Teilzeit – häufig Frauen – die ihre Arbeitsstunden nicht erhöhen können, weil die Kinderbetreuung fehlt. Als Arbeitgeber tun wir hier viel:

"Wir haben in Deutschland viel Arbeitspotenzial, das wir heben können. Menschen, die gerne mehr arbeiten würden und es aus unterschiedlichen Gründen nicht können."
Sabine Kohleisen, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin der Mercedes-Benz Group AG


Bei Mercedes-Benz haben wir seit über 20 Jahren eine betriebliche Kinderbetreuung, bieten Job-Sharing auf allen Hierarchieebenen an und – wo möglich – hybrides Arbeiten. Das Angebot unterstützt unsere Beschäftigten dabei, Beruf und Familie in Einklang zu bringen, löst aber nicht die gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wir begrüßen daher alle politischen Maßnahmen, die Kita-Plätze und Erziehungsberufe fördern.

Zu einseitig ist mir in der Diskussion auch der Fokus auf geleistete Wochenstunden. Die Produktivität ist das, was zählt. Diese müssen wir kontinuierlich steigern, schon allein, weil wir aufgrund des demographischen Wandels immer weniger Arbeitskräfte werden. In meinen Augen liegt dabei in der Digitalisierung und insbesondere in der Künstlichen Intelligenz eine einzigartige Chance, die wir in Deutschland nicht verpassen dürfen. Die Stellhebel sind hier Qualifizierung und Weiterbildung. Bei Mercedes-Benz legen wir mit unserer Qualifizierungsoffensive 'Turn2Learn' gezielt einen Schwerpunkt auf Digitalisierung und KI.

Wenn wir die Wirtschaftsleistung erhöhen wollen, müssen wir aber auch 'über den deutschen Tellerrand' schauen. Das moderne Einwanderungsgesetz der Bundesregierung hilft, die Zuwanderung von Fachkräften einfacher zu gestalten. Als Arbeitgeber, als Land, aber auch als Bürgerinnen und Bürger können wir dazu beitragen, dass diese auch gerne zu uns kommen und bleiben."

Inga Dransfeld-Haase: "HR muss die Gründe für Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung verstehen"

Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin Bundesverband der Personalmanager:innen BPM:

"Anstatt uns von lautstarken Diskussionen über die Arbeitsmoral der Deutschen ablenken zu lassen, sollten wir hinterfragen, warum aktuell so viel über dieses Thema geredet wird. Warum streben mehr Mitarbeitende eine Verkürzung der Arbeitszeit an? Viele Faktoren spielen eine Rolle: Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie Kinderbetreuung oder Pflege, sowie eine zu hohe Belastung im Job. Arbeitsverdichtung und zunehmende Belastungen führen zum Wunsch nach weniger Arbeit. 

"Es liegt an uns, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um eine ausgewogene Balance zwischen Arbeits- und Privatleben zu ermöglichen, den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden und keine Arbeitskraft zu verlieren."
Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin Bundesverband der Personalmanager:innen (BPM)


Verschiedene Faktoren wie die rasante Transformation der Wirtschaft und Arbeitswelt und die Vielzahl an Kommunikationskanälen tragen zu dieser Entwicklung bei und können Stress auslösen. Unsere Aufgabe als HRler ist es, Mitarbeitende und Führungskräfte zu sensibilisieren und zu befähigen, resilienter zu werden. Hier lohnt es sich, mehr in das Betriebliche Gesundheitsmanagement und Führungstrainings zu investieren. Rückzugsräume für den vertrauensvollen Austausch bei Belastungen und Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten sind wichtig.

Seitens der Politik fordern wir eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Akzeptanz verschiedener Arbeitszeitmodelle, die die Lebenswirklichkeit erforderlich macht. Eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes ist notwendig, weg von der Tageshöchstarbeitszeit hin zur Wochenarbeitszeit. Der Ausbau von Betreuungsangeboten ist ebenso essenziell, sowohl bei der Ganztagsbetreuung von Kindern als auch bei den Pflegeplätze. 

Nur wenn wir die hinter den Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung liegenden Gründe verstehen, können wir die Arbeitsbedingungen so umwandeln, dass möglicherweise keine Anpassung der Arbeitszeit, sondern eine Veränderung des individuellen Aufgabenzuschnitts umgesetzt werden kann. Es liegt an uns, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um eine ausgewogene Balance zwischen Arbeits- und Privatleben zu ermöglichen, den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden und keine Arbeitskraft zu verlieren."

Reiner Straub: "Vorruhestandsregelungen schaden uns allen"

Reiner Straub, Herausgeber des Personalmagazins:

"Die aktuelle Debatte über die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, die von den Arbeitgebern angestoßen wurde, eröffnet eine Perspektive auf unsere Arbeitswelt, die in der Wahrnehmung von vielen Menschen außer Blick geraten ist: Im internationalen Vergleich haben wir in Deutschland viele Urlaubstage und eine relativ geringe Jahresarbeitszeit. Die Arbeitgeber forcieren deshalb zurecht die Themen Produktivität und Arbeitsleistung, die Basis unseres Wohlstandes sind.

"Ist der goldene Handschlag für ältere Beschäftigte wirklich sozialer als die Entlassung von Jüngeren, die in Zeiten der Fachkräftemangels in kurzer Zeit wieder einen neuen Job finden?"
Reiner Straub, Herausgeber des Personalmagazins


Die Forderungen nach einer längeren Lebensarbeitszeit und mehr Arbeit werden jetzt allerdings durch einige Vorzeigeunternehmen torpediert, die in großem Umfang Altersteilzeitprogramme und Vorruhestandsregelungen lancieren. So bauen etwa VW, SAP, Bosch, Continental und Bayer Stellen ab, um Verwaltungs- und Personalkosten zu senken. Dass dabei vor allem ältere Beschäftigte in den Blick kommen, mag einer betriebswirtschaftlichen Logik folgen, werden diese doch besser bezahlt als jüngere.

Diese 'Freiwilligenprogramme' preisen die Unternehmen jedoch als 'wohlverdienten Ruhestand' an – eine Wendung aus dem Industriezeitalter, die passte, als viele Beschäftigte abgeschafft in die Rente wechselten. Die Realität sieht heute anders aus: Die meisten Beschäftigten sind nicht ruhebedürftig, sondern aktiv und unternehmungslustig. Statt Lust auf Arbeit wird Lust auf Ruhestand geweckt.

Personalbereiche stellen diese Programme zudem als 'sozialverträglich' dar. Aber ist der goldene Handschlag für ältere Beschäftigte wirklich sozialer als die Entlassung von Jüngeren, die in Zeiten der Fachkräftemangels in kurzer Zeit wieder einen neuen Job finden? Sozialverträglichkeit für die Gesellschaft und den Wirtschaftsstandorts Deutschland sieht jedenfalls anders aus. Vielmehr trägt dies dazu bei, das Arbeitskräfteangebot weiter zu verknappen und den Sozialversicherungsträgern reale und künftige Beitragssätze zu entziehen.

Zur Wahrheit gehört: Diese Programme sind für die Sozialpartner bequem. Anstrengender wäre es, Menschen in andere Tätigkeiten zu qualifizieren, sie zu vermitteln oder eben Kündigungen durchzuführen. Letzteres ist manchmal nicht möglich, da es ja Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung gibt, die Personalverantwortliche nicht anfassen wollen. Es braucht auch in HR mehr Anstrengung und Kreativität – Lust auf Arbeit eben."

Auf der Suche nach neuen Narrativen von Arbeit

Die fünf Meinungen zeigen die Bandbreite der Debatte, die HR zurzeit umtreibt. Dabei fällt auf, dass die Argumentation in verschiedene Richtungen geht:

  • Die Arbeitszeitzahlen und Daten zu Teilzeit, Überstunden und Lebensarbeitszeit sind offiziell bekannt. Doch die Interpretationen sind unterschiedlich.
       
  • Die einen setzen Arbeitszeit mit Produktivität gleich, die anderen hinterfragen, was noch für Produktivität notwendig ist.
       
  • Nicht immer sind Arbeitgeber konsequent: Während sie auf der einen Seite mehr Arbeit fordern, sprechen großzügige Abfindungsprogramm im Zuge von Restrukturierungen und Personalabbau eine andere Sprache.

In HR sind viele nach wie vor vorsichtig, die Bedürfnisse der Beschäftigten nach weniger Arbeit kleinzureden und empfehlen die Suche nach Ursachen, die es zu beheben gilt. Aber auch hier ist ein Wechsel im Tonfall erkennbar, der Leistung zum Maß für Spielräume bei der Arbeitszeit macht.


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Schlagworte zum Thema:  Performance-Management, Arbeitszeit