Wir leben in aufgewühlten Zeiten. Entsprechend hitzig fallen Diskussionen aus. Gerade dann und dort, wo es darum geht, sich als Führungsperson in Stellung zu bringen, Ton und Thema zu setzen und andere für sich einzunehmen oder zum Handeln zu bewegen.
Debatten im Zuge der Bundestagswahl haben es uns die letzten Wochen eindrücklich vor Augen geführt. Auch die Gespräche vor laufender Kamera zwischen dem amerikanischen Präsidenten und seinen europäischen Staatsgästen aus Frankreich, England und der Ukraine im Oval Office zeigten: Reden, Zuhören und Ins-Wort-Fallen sind Mittel, mit denen Führung markiert, erlangt oder verspielt wird. Sehen wir uns daher die drei Praktiken nacheinander an.
Wann und wie Leader sprechen – und wann nicht
Führen ist Kommunikation. Eines der wichtigsten Kommunikationsmittel ist Sprache – wenn auch nicht das einzige: Wie Leader Mimik, Gestik, Zeit und Raum nutzen, spielt auch eine Rolle. Und auch das Vormachen, Vorleben, auch „leading by example“ genannt, ist ein mächtiges Instrument, um andere dahin zu bewegen, wo man sie gerne sehen würde.
Wie also muss ich meine Redebeiträge gestalten, um als Führungsperson wahrgenommen zu werden? Wichtig ist: Wer führt, muss deutlich und entschlossen sprechen. Aber auch die Glaubwürdigkeit dessen, was gesagt wird, zählt. Werden Belege genannt, stimmen die Fakten, sind die Argumente plausibel? Dass Charisma auf die Wahrnehmung als Führungspersönlichkeit einzahlt, ist ebenfalls bekannt. Doch Charisma ist eher Training als Talent: Es äußert sich in einer bildreichen, emotionsgeladenen, gemeinschaftsstiftenden, visionären Sprache sowie in packenden Erzählungen.
Doch auch die Frequenz und Länge, in der Menschen sich zu Wort melden, hat Einfluss darauf, ob sie als Führungspersonen wahrgenommen werden und Gruppen hinter sich bringen. Wer andere reden lässt und selbst nichts oder nur wenig beiträgt, tut sich schwerer, als Leader wahrgenommen zu werden – selbst wenn die wenigen eigenen Äußerungen von größerer Substanz zeugen als die der Vielsprecher. Und selbst die Sprechgeschwindigkeit hat Einfluss. Es sollte von mittlerem Tempo sein.
Klar, deutlich, angemessen und ausreichend das Wort zu ergreifen, ist daher essenziell für Leader und all jene, die es werden wollen. Dennoch gilt auch: Wer zu dominant auftritt, schüchtert Gruppen ein, erstickt Engagement und Einfälle anderer und läuft Gefahr, als inhaltsloser Schwätzer wahrgenommen zu werden.
Wer daher als bereits gut etablierte Führungsperson das Potenzial von Gruppen heben will, sollte zumindest als letzter sprechen, um anderen Raum zu geben. Und sie oder er sollte beherrschen, was wir uns nun ansehen.
Wann und wie Leader zuhören – und was das bewirkt
Denn Zuhören ist nicht nur eine Kunst. Sie qualifiziert auch zur besseren und nachhaltigeren Führungspersönlichkeit. Die Gründe hierfür liegen nahe. Wer zuhört, erfährt Neues, zeigt Wertschätzung und Interesse, lernt dazu. Wer nachfragt, lenkt Gespräche in eine Richtung und führt auf unaufdringliche Art. Wer reformuliert oder nachhakt, verhilft zu mehr Klarheit.
Überhaupt gilt: Wer andere überzeugen will, muss zeigen, dass sie oder er sich auch selbst überzeugen lässt. Sonst funktioniert der Anspruch „andere zu überzeugen“ schon dem Prinzip nach nicht und kann nur durch das Mittel „andere zu zwingen“ ersetzt werden.
Zudem stärkt Zuhören die Beziehung zwischen Menschen. Man kann auf die Argumentation und ihren Verfechter gleichermaßen achten, man lernt sich kennen. Auf Basis enger Beziehungen lässt sich nachhaltiger und einfacher führen. Menschen lassen sich von Menschen, die sie kennen und einschätzen können, mehr sagen als von Unbekannten. Zu guter Letzt ist Zuhören die Voraussetzung dafür, dass alle Perspektiven auf den Tisch kommen und von allen abgewogen werden können. In Gruppen, in denen Reden und Zuhören angemessen verteilt sind, wächst das Gemeinschaftsgefühl und die Bereitschaft, sich einzubringen.
Und genau hier kommt der dritte Aspekt ins Spiel: Wann ist es legitim, ja vielleicht sogar angezeigt, andere zu unterbrechen?
Wann Leader anderen ins Wort fallen müssen – und wann nicht
Ich sehe vier Gründe, die es nötig machen, dass Leader anderen ins Wort fallen:
- Um die Regeln einer gelingenden Diskussion abzusichern: Wenn Menschen attackiert werden, statt Sachverhalte abzuwägen; wenn nicht alle zu Wort kommen; wenn Redezeiten überschritten werden; wenn es zu lautstark wird und einiges mehr.
- Um den Fokus einer Diskussion zu bewahren: Wenn die Diskussion ausschweift; wenn Ablenkungsmanöver gefahren werden; wenn es zu sehr ins Detail geht oder zu abstrakt diskutiert wird.
- Um Fakten und Kontext richtigzustellen: Wenn Desinformation, gar Lügen verbreitet werden; wenn Äußerungen oder Sachverhalte aus dem Kontext gerissen oder in einen unzulässigen Kontext gestellt werden.
- Um eine konstruktive Atmosphäre zu verteidigen: Wenn es ausfällig und persönlich wird; wenn es polemisch wird; wenn die einen gegen andere ausgespielt oder Personen diffamiert werden.
Ich widerstehe der Versuchung, die aufwühlenden Erfahrungen mit politischen Diskussionsrunden der letzten Wochen hier als Beispiele heranzuziehen. Aber machen Sie gerne den Test und überlegen Sie, wie einzelne Akteure und ihre Gesprächsstrategien in diesem Lichte in Ihren Augen abschneiden. Und beobachten Sie dahingehend auch Gespräche und Diskussionen in Ihrem Arbeitsumfeld. Gleich, ob Sie Führungskraft sind oder nicht.
Dieser kleine Merksatz möge Ihnen dabei als Richtschnur dienen: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold, ins Wort fallen ist im Ernstfall Pflicht. Aber auch nur dann.
Randolf Jessl ist Inhaber der Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.