Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Ohne abweichende arbeitsvertragliche Regelung sind Dienstreisezeiten als gewöhnliche Arbeitszeit zu vergüten. Dies gilt ohne weiteres in Arbeitsverhältnissen, in denen die Reisetätigkeit zur geschuldeten Hauptleistung gehört oder der Arbeitnehmer während der Reise angeordnete Arbeitsleistung (z. B. Aktenbearbeitung, E-Mail-Bearbeitung, Telefonate) erbringt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Arbeitnehmer während einer Dienstreise oftmals zu erheblichen Teilen nicht seiner eigentlich geschuldeten Tätigkeit nachgeht. Zu den "versprochenen Diensten" nach § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Hat der Arbeitnehmer seine Tätigkeit an einer auswärtigen Arbeitsstelle zu erbringen, leistet er mit den Fahrten zum Kunden und zurück vergütungspflichtige Arbeit, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und Fahrtende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen. Entscheidend ist, dass der Arbeitnehmer während einer Dienstreise keine ausreichende Möglichkeit zur freien Einteilung seiner Zeit hat. Er erfüllt ein fremdes Bedürfnis und stellt dem Arbeitgeber seine Zeit zur Verfügung.
Die Vergütungspflicht entfällt daher auch nicht für Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer passiv verhält bzw. verhalten muss, z. B. bei Bahn- oder Flugreisen oder als Beifahrer; diese Zeiten dürfen zudem nicht pauschal als Pausen, Freizeit(-ausgleich) oder ähnlich behandelt werden.
Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden. Dabei darf allerdings der gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn für die in einem Kalendermonat insgesamt geleistete vergütungspflichtige Arbeit nicht unterschritten werden; ohne eine solche Regelung ist die Reisezeit wie sonstige Arbeitzeit vergütungspflichtig. Bei Beachtung dieser Grenzen – die in jedem Arbeitsverhältnis zwingend gelten – kann auch ein vollkommener Ausschluss der Vergütungspflicht vereinbart werden. Möglich ist eine indirekte Vergütung über die Abgeltung des Unterkunfts- und Verpflegungsmehraufwand.
Eine formularmäßige Klausel, nach der Reisezeiten mit der Bruttomonatsvergütung abgegolten sind, ist intransparent, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag nicht ergibt, welche "Reisetätigkeit" von ihr in welchem Umfang erfasst werden soll.
Eine Abweichung vom Vergütungsgrundsatz kann sich schließlich auch aus der Auslegung und der besonderen Umstände des Arbeitsvertrages selbst ergeben. Ähnlich der Abgeltung von Überstunden kann bei überdurchschnittlich hohem Gehalt zumindest ein gewisser Reisezeitanteil als vom Grundgehalt abgedeckt angesehen werden.
Unerheblich für die Vergütungspflicht von Reisezeiten ist deren arbeitszeitrechtliche Einordnung nach § 2 ArbZG. Weder führt die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als arbeitszeitschutzrechtliche Arbeitszeit zwingend zu einer Vergütungspflicht, noch lässt die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit die Vergütungspflicht ohne weiteres entfallen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Arbeitszeitrichtlinie keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet.
Begrenzt wird der Vergütungsanspruch in der Höhe durch die Erforderlichkeit der Reisezeit. Diesbezüglich gilt:
- Gibt der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vor, ist diejenige Reisezeit erforderlich, die der Arbeitnehmer benötigt, um entsprechend dieser Vorgaben des Arbeitgebers das Reiseziel zu erreichen.
- Überlässt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Wahl von Reisemittel und/oder Reiseverlauf, ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen Vertragsteils gem. § 241 Abs. 2 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, das kostengünstigste Verkehrsmittel bzw. den kostengünstigsten Reiseverlauf zu wählen.
Die Vergütung kann nicht nur in Geld, sondern auch durch eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto erfolgen.