Prof. Dr. Cathrin Eireiner, Prof. Dr. Stephan Fischer
Damit HR eine der zwei Shaper-Rollen einnehmen und somit die ESG-Ausrichtung mitgestalten kann, werden Kompetenzen benötigt, die in vielen Unternehmen über die traditionelle HR-Professionalität hinausgehen. Das betrifft insbesondere Business- und Transformationskompetenzen. Zudem ist das zweite Rollen-Cluster davon geprägt, dass HR sichtbar Ergebnisverantwortung für die eigenen Themen und Interventionen übernimmt. Hierzu bedarf es einer inhaltlichen Bewertung, welche Themen der ESG-Berichtspflicht als die "eigenen" gelten können, da sie im inhaltlichen Gestaltungsbereich von HR liegen. Potenzial bietet sich in Anbetracht der umfassenden Berichtsinhalte allemal.
In der ersten Shaper-Rolle übernimmt HR strategische Verantwortung für jene Themen und Interventionen, die im inhaltlichen Assessment als die HR-eigenen identifiziert wurden. Damit nimmt HR die Rolle des mitdenkenden Strategiebegleiters ein. Dies bedeutet, dass HR nicht nur ESG-Maßnahmen initiiert und durchführt, sondern auch deren Erfolge verantwortet. In der Praxis bedeutet das, dass es noch wichtiger wird, evidenzbasiert zu arbeiten und zu wissen, was sich wissenschaftlich bewährt hat. Zum anderen muss HR in der Lage sein, Daten und Kennzahlen zu nutzen, um Szenarien zu entwickeln und die eigene Wirksamkeit zu belegen. Mit dieser Kompetenz zum Wirknachweis käme HR heraus aus einer rein anmahnenden Rolle, in der andere Stakeholder aufgefordert werden, Regeln einzuhalten, hin zu einer wertgenerierenden Rolle, in der HR Verantwortung übernimmt. Dabei geht es nicht mehr nur darum, die Silos E, S und G zu optimieren, sondern auch die Silos integrativ zu betrachten – also zu untersuchen, wie diese Bereiche als Ganzes zusammenwirken und sich gegenseitig beeinflussen.
Die zweite Rolle im Shaper-Cluster konzentriert sich darauf, das Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und ist eher holistisch einzustufen. In dieser Rolle als verantwortungstragender ESG-Architekt fungiert HR entweder als Kulturkatalysator und übernimmt die Co-Ownership für die unternehmensweite ESG-Ausrichtung; oder HR baut als Nachhaltigkeits-Broker beziehungsweise Netzwerk-Broker Kommunikationsnetzwerke und Zusammenarbeitsprozesse auf und moderiert das gesamte ESG-Netzwerk (mit). Co-Ownership bedeutet hier, dass HR gemeinsam mit anderen Funktionen des Unternehmens die Verantwortung für die Nachhaltigkeitsausrichtung übernimmt. Das kann die übergeordnete CSR-Funktion sein oder andere Funktionen, die traditionell eher für die E- und G-Kriterien zuständig sind. Als Kulturkatalysator entwickelt HR die Unternehmenskultur hin zu einer Nachhaltigkeitskultur und verantwortet die S-Kriterien sowie jene Kriterien, bei denen es darum geht, das Mitarbeiterverhalten zu steuern. Diese Rolle verlangt von HR Kulturentwicklungs- und Transformationskompetenz sowie die Kompetenz, crossfunktional zusammenarbeiten zu können. Die Zusammenarbeitskompetenz wird insbesondere dann relevant, wenn es darum geht, die ESG-Ausrichtung mit einigen weiteren zentralen Akteuren zu steuern. Die Kulturentwicklungskompetenz muss gezielt und dezentral, also an verschiedenen Stellen im Unternehmen eingebracht werden. Das kann eine Person übernehmen, die wie ein interner Berater oder Change Coach vorgeht. Für HR bedeutet das, die entsprechenden Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen, beziehungsweise ein externes oder internes Netzwerk von ESG-Change-Coaches zu bilden und zu steuern.
Als Nachhaltigkeits-Broker verbindet HR Cluster und Bereiche miteinander und moderiert das gesamte ESG-Netzwerk im Unternehmen und wirkt als Brückenbauer. Hier geht es darum, alle formalen und informellen Kräfte des Unternehmens zu steuern, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen und dabei zugleich die unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven zu nutzen, um ein holistisches nachhaltiges Denken und Handeln im gesamten Unternehmen zu fördern. Um diese Rolle erfolgreich auszufüllen, brauchen HR-Führungskräfte Integrationskompetenz und müssen in der Lage sein, lateral zu führen.