Nachhaltigkeit noch nicht im Fokus
Durch die ESG-Berichtspflicht rückt Nachhaltigkeit stärker in den Fokus der Unternehmen – unklar ist bislang jedoch, wie gut sie auf die Berichterstattung vorbereitet sind und welche Rolle HR dabei zukommt. Antworten liefert nun das "ESG-HR-Barometer". An der Befragung des Instituts für Personalforschung der Hochschule Pforzheim nahmen insgesamt 232 Unternehmensvertreterinnen und -vertreter teil. Von den Unternehmen sind oder wird die Mehrheit berichtspflichtig und hat eher knappe Ressourcen im HR-Bereich, um die damit verbundenen Aufgaben zu übernehmen.
ESG-HR-Barometer: Erste Ergebnisse 2024
Die Ergebnisse zeigen, dass sich fast die Hälfte der Unternehmen (48 Prozent) noch nicht oder erst seit weniger als sechs Monaten mit dem Thema ESG-Berichtspflicht beschäftigt. Auffällig ist, dass sich 14 Prozent der Unternehmen, die bereits berichtspflichtig sind oder es in Zukunft werden, bislang noch überhaupt nicht damit befasst haben. Diese Unternehmen stehen nun unter besonderem Zeitdruck – was zur Folge hat, dass sie eher reagieren als agieren können.
Lediglich sechs Prozent der Befragten denken, dass ihr HR-Bereich sehr gut auf die ESG-Berichterstattung vorbereitet ist. Mehr als doppelt so viele Befragte (13 Prozent) gaben an, dass HR überhaupt noch nicht vorbereitet ist. Das Gefühl, nicht vorbereitet zu sein, begründet sich unter anderem darin, dass HR über die konkreten Anforderungen zu wenig weiß und Routinen sowie Prozesse fehlen.
HR sieht ESG eher als Stressor
Zum aktuellen Zeitpunkt begreift die Mehrheit der im HR-Bereich Tätigen die ESG-Berichtspflicht mehr als Stressor denn als Chance. Weniger als vier Prozent der Befragten sehen bereits jetzt eine Chance in dem Thema. Hingegen erleben knapp ein Fünftel der Befragten das Thema als Stressor.
Zudem zeigt sich, dass es auch von der Größe der Unternehmen abhängt, wie die Berichtspflicht gesehen wird. Größere Unternehmen tun sich offenbar leichter damit, die Situation als Chance zu begreifen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass diese Unternehmen bereits Kompetenzen, Strukturen und Routinen für eine Berichterstattung aufgebaut haben oder über mehr Ressourcen verfügen. Für kleinere Unternehmen, die bislang kaum Erfahrung mit der Berichterstattung haben, stellt es eine Mammutaufgabe dar, die erforderlichen Kennzahlen zusammenzutragen und aufzubereiten; das lässt kaum Zeit, das Thema strategisch zu diskutieren. Zusammenfassend lässt sich der gefühlte Zustand von HR wie folgt beschreiben: gestresst, unvorbereitet und am Anfang stehend.
Das "ESG-HR-Barometer" basiert auf einer Online-Befragung im Zeitraum von Juni bis Juli 2024. Das Barometer ist Teil eines Forschungsprojekts zum Thema "ESG & HR", das von Cathrin Eireiner, Stephan Fischer und Alexandra Rucktäschel am Institut für Personalforschung der Hochschule Pforzheim durchgeführt wird. Unterstützt haben das Projekt mehrere Praxispartner: 1&1 Mail & Media Applications SE, Audi AG, Effectory Deutschland GmbH, EnBW, Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, HR Pioneers GmbH, Ingentis Group und TTS Digital HR Experts. Befragte: Am Barometer teilgenommen haben insgesamt 232 Unternehmensvertreterinnen und -vertreter, davon kommen 71 Prozent aus dem Personalbereich und 29 Prozent aus anderen Unternehmensbereichen. Unternehmensgröße: 24 Prozent der vertretenen Unternehmen haben bis zu 249 Mitarbeitende, 27 Prozent zwischen 250 bis 999 Mitarbeitende, 23 Prozent zwischen 1.000 und 4.999 Mitarbeitende und 25 Prozent der Unternehmen haben 5.000 Mitarbeitende oder mehr. Größe des HR-Bereichs: Die Hälfte der HR-Bereiche der teilnehmenden Unternehmen besteht aus zehn Mitarbeitenden oder weniger. 29 Prozent der HR-Bereiche haben elf bis 50 Mitarbeitende und 21 Prozent mehr als 50 Mitarbeitende. Status in Bezug auf die ESG-Berichtspflicht: Ein Viertel der Teilnehmenden (26 Prozent) gab an, dass ihr Unternehmen bereits jetzt berichtspflichtig ist, wohingegen über die Hälfte der Teilnehmenden (57 Prozent) angaben, dass ihr Unternehmen erst zukünftig berichtspflichtig wird. Für einen kleineren Prozentsatz von 17 Prozent der Teilnehmenden ist auch in Zukunft keine Berichtspflicht absehbar. |
ESG-Berichtspflicht: Fokus auf die Pflichtthemen
Die ESG-Berichtspflicht rückt spezielle Themen in den Fokus. Sechs von zehn Befragten (62 Prozent) sagen, dass im Zuge der ESG-Berichtspflicht die folgenden fünf HR-Themen priorisiert werden (siehe Grafik): Diversity, Equal Pay, Gesundheitsmanagement, Personalentwicklung und die Arbeitsbedingungen.
Diese fünf Themen decken sich mit den Themen, die in den sozialen Kriterien der ESG-Berichtspflicht, den "S-Kriterien" genannt werden. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass die Unternehmen und die dort agierenden HR-Bereiche anforderungsgetrieben sind und das Momentum nicht nutzen, um sich strategisch auszurichten. So wird der Schwerpunkt bei HR-Themen häufig durch die Anforderungen des Berichts vorgegeben und nicht eigenständig festgelegt.
Im Barometer wurde auch untersucht, wie HR die Kompetenzen für die ESG-Berichtspflicht aufbaut. Passend zur passiven Haltung wird dies in drei von zehn Unternehmen bislang nicht umgesetzt. Immerhin hat etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen vor, Kompetenzen intern aufzubauen (55 Prozent).
Für ESG fehlt es an Zeit und Personal
Danach gefragt, warum das Thema ESG nicht aktiver und strategischer eingebracht wird, geben die HR-Bereiche mangelnde Ressourcen als den derzeit größten Engpass an – den HR-Bereichen fehlt es an Personal und Zeit. Die zweite große Herausforderung sind mangelnde Kompetenzen im Bereich ESG ("fehlende Best Practices" und "fehlendes Wissen über die Anforderungen"). Die dritte große Herausforderung ist, die Integration sicherzustellen – das heißt, verschiedene einzelne Aufträge und Aktivitäten im HR-Bereich zu einem kohärenten Ganzen zusammenzuführen (dazu gehören "fehlende eigene Positionierungen beim Thema ESG" und "fehlende Themenintegration innerhalb von HR"). Ressourcen und Kompetenzen zur reinen Berichterstellung lassen sich ohne eigene strategische Beschäftigung leicht und schnell von außen zukaufen; der Markt wächst hier gerade rapide. Die Integration lässt sich damit allerdings nicht sicherstellen. Denn um alle HR-Aktivitäten unter einer Strategie zu vereinen, muss HR sowohl die Anforderungen der Berichtspflicht als auch die unternehmerische Ausrichtung berücksichtigen und miteinander in Einklang bringen. Dazu muss sich HR tiefergehend mit dem Thema ESG beschäftigen.
Die meisten HR-Bereiche sehen es noch als Hürde, überhaupt Daten zur Verfügung zu stellen oder Kennzahlen zu definieren, die den geforderten Informationen entsprechen. Dies verdeutlicht nochmals, dass die Unternehmen erst damit begonnen haben, sich mit der ESG-Berichtspflicht zu befassen.
Die Studienautoren identifizierten vier Beweggründe, weshalb sich Unternehmen mit der ESG-Berichtspflicht befassen. Auch wenn sich diese Gründe nicht gegenseitig ausschließen müssen, scheint es immer einen dominanten Grund zu geben. HR hat hier die Chance das Unternehmen dabei zu unterstützen den Beweggrund zu identifizieren und das eigene Wirken stimmig zu diesem auszurichten.
Vier Beweggründe für ESG - und vier Rollen für HR
Die vier Beweggründe, aus denen Unternehmen sich mit den ESG-Kriterien beschäftigen, lauten:
- Compliance-Orientierung
- Fremdkapitalbeschaffung
- Strategische Nachhaltigkeitsorientierung und
- Normative Nachhaltigkeitsorientierung
Handelt HR vorrangig aus Compliance-Orientierung, steht im Vordergrund, der Berichtspflicht und deren rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Unternehmen, die vor allem Fremdkapital beschaffen wollen, konzentrieren sich darüber hinaus darauf, ihre Kennzahlen zu optimieren, um als nachhaltiger eingestuft zu werden und somit günstiger an Fremdkapital zu kommen. Diese Optimierung verläuft in den drei Bereichen E, S und G häufig losgelöst voneinander. Im Gegensatz dazu betrachten Unternehmen, die Nachhaltigkeit zur eigenen strategischen Positionierung (strategische Nachhaltigkeitsausrichtung) nutzen, ESG-Kennzahlen ganzheitlich und überführen diese in ein strategisches Managementsystem. Abschließend sind normativ nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen inhaltlich überzeugt. Dabei geht es nicht allein darum, Gewinne einzufahren, sondern ganzheitlich zu agieren und ein übergeordnetes Ziel zu erreichen, das auf geteilten Werten beruht.
Der bei Weitem am häufigsten genannte Beweggrund ist die Compliance-Orientierung: Für fast 59 Prozent der Befragten ist dies der Grund, sich mit der ESG-Berichterstattung zu befassen. Am zweithäufigsten agieren die Unternehmen eigenen Angaben zufolge wertegeleitet (18 Prozent), gefolgt vom Grund, sich strategisch zu positionieren (13 Prozent) und um Fremdkapital zu beschaffen (10 Prozent).
Korrespondierend zu den vier Beweggründen wurden auch vier verschiedene Rollen identifiziert, die HR bei der Umsetzung der ESG-Berichtspflicht einnehmen kann (siehe auch Beitrag "Die passende Rolle finden", ab Seite 20). Diese vier Rollen lassen sich zwei Clustern zuordnen: den "Supportern" und den "Shapern". Dem Supporter-Cluster gehören die Rollen "Verlässlicher Data Delivery Hero" und "Reaktiver Silo-Aktivist" an. Dabei unterstützt der HR-Bereich die vom Unternehmen vorgegebene ESG-Ausrichtung, indem er Maßnahmen umsetzt oder für die Berichterstellung Daten liefert. Zum Shaper-Cluster zählen der "Mitdenkende Strategiebegleiter" und der "Verantwortungstragende ESG-Architekt". In diesen Rollen gestaltet HR die ESG-Ausrichtung des Unternehmens selbst mit.
Etwa drei Viertel der Befragten gaben an, dass HR die Rolle des verlässlichen Data Delivery Hero erfüllt, während mehr als die Hälfte der Befragten ihren HR-Bereich zudem in Aufgaben des reaktiven Silo-Aktivisten wähnt (siehe Grafik auf Seite 28). Viele HR-Bereiche scheinen aber auch bereits eine gestaltende Rolle bei der ESG-Ausrichtung einzunehmen – zumindest gab etwas weniger als die Hälfte an, dass HR in der Rolle des mitdenkenden Strategiebegleiters aktiv sein.
Drei von zehn Befragten denken sogar, dass HR bereits die anspruchsvollste Rolle erfüllt und als verantwortungstragender ESG-Architekt agiert. Diese Einschätzung über die Erfüllung der vier Rollen deckt sich allerdings nicht mit den zuvor erwähnten Ergebnissen hinsichtlich fehlender Ressourcen. Hier sollte HR diesbezüglich stärker die eigenen Kunden im Unternehmen fragen, ob die entsprechende Rolle von HR zur Zufriedenheit ausgeübt wird.
Die Chance nutzen
Zusammenfassend zeigt sich: Die ESG-Berichtspflicht scheint für HR derzeit vor allem eines zu sein: ein Bürokratiemonster, das mehr lähmt als antreibt. Ein Grund ist, dass sich HR häufig erst spät mit ihren Anforderungen beschäftigt hat. Doch der Blick muss nach vorn gehen: Nun geht es darum, Kennzahlen zu definieren, Datenerhebungskompetenzen und Datenstrukturen aufzubauen und sich auf jene HR-Themen zu konzentrieren, die durch die ESG-Berichtspflicht in den Fokus gerückt sind. Zudem kann HR die Gelegenheit ergreifen, sich intern neu zu positionieren. Die gewählte Rolle sollte dabei zu den Beweggründen des Unternehmens passen, die mit der Umsetzung der ESG-Berichtspflicht verfolgt werden.
Die Empfehlung lautet: Nehmen Sie sich des Bürokratiemonsters an, geben Sie ihm ein neues Gesicht und nutzen Sie es als strategische Chance!
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 10/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
Zum Autor und den Autorinnen:
Prof. Dr. Stephan Fischer ist Direktor des Instituts für Personalforschung (IfP) an der HS Pforzheim und Professor für Personalmanagement und Organisationsberatung an der HS Pforzheim.
Prof. Dr. Cathrin Eireiner lehrt Personalmanagement an der HS Pforzheim und ist stellvertretende Leiterin des IfP.
Alexandra Rucktäschel ist Sustainable Futures Research Pioneer ESG & HRS an der HS Pforzheim.
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