Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Dienstleistung, Telekommunikationsdienstleistung, Roaming, Drittstaatsangehörige in Mobilfunknetzen in der EU, Überlassung eines Mobilfunknetzes
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 59a Abs. 1 Buchst. b
Beteiligte
Verfahrensgang
Bundesfinanzgericht (Österreich) (Beschluss vom 29.07.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 27/11) |
Tenor
Art. 59a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren „tatsächliche Nutzung oder Auswertung” im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 29. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 5. August 2019, in dem Verfahren
SK Telecom Co. Ltd
gegen
Finanzamt Graz-Stadt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SK Telecom Co. Ltd, vertreten durch Steuerberater J. Fischer,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch F. Koppensteiner als Bevollmächtigten,
- der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und L. Mantl als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Oktober 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 59a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) mit Wirkung vom 1. Januar 2010 geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SK Telecom Co. Ltd und dem Finanzamt Graz-Stadt (Österreich) (im Folgenden: Finanzamt) über die Erstattung der Vorsteuer, die SK Telecom für das Steuerjahr 2011 für Telekommunikationsdienstleistungen gezahlt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 22. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Sämtliche Telekommunikationsdienstleistungen, die in der [Europäischen Union] in Anspruch genommen werden, sollten besteuert werden, um Wettbewerbsverzerrungen in diesem Bereich vorzubeugen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten Telekommunikationsdienstleistungen, die an in der [Union] ansässige Steuerpflichtige oder an in Drittländern ansässige Dienstleistungsempfänger erbracht werden, grundsätzlich an dem Ort besteuert werden, an dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist. Damit Telekommunikationsdienstleistungen, die von in Drittgebieten oder Drittländern ansässigen Steuerpflichtigen an in der [Union] ansässige Nichtsteuerpflichtige erbracht und in der [Union] tatsächlich genutzt oder ausgewertet werden, einheitlich besteuert werden, sollten die Mitgliedstaaten jedoch festlegen, dass sich der Ort der Dienstleistungen in der [Union] befindet.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 2 in Titel I („Zielsetzung und Anwendungsbereich”) der Richtlinie lautet:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wird bis zur Einzelhandel...