Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer. Richtlinie 76/207/EWG. Art. 2 und 5. Recht auf Arbeitsbefreiung zugunsten abhängig beschäftigter Mütter. Mögliche Inanspruchnahme durch abhängig beschäftigte Mütter oder Väter. Selbständig tätige Mutter. Ausschluss des abhängig beschäftigten Vaters vom Recht auf Arbeitsbefreiung
Beteiligte
Pedro Manuel Roca Álvarez |
Tenor
Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der weibliche Arbeitnehmer mit einem Kind in den ersten neun Monaten nach der Geburt dieses Kindes Urlaub in verschiedenen Formen beanspruchen können, während männliche Arbeitnehmer mit einem Kind diesen Urlaub nur beanspruchen können, wenn auch die Mutter des Kindes eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Spanien) mit Entscheidung vom 13. Februar 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 2009, in dem Verfahren
Pedro Manuel Roca Álvarez
gegen
Sesa Start España ETT SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der spanischen Regierung, vertreten durch B. Plaza Cruz als Bevollmächtigte,
- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und S. Pardo Quintillán als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. Mai 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, 3 und 4 sowie von Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Roca Álvarez und seinem Arbeitgeber, der Sesa Start España ETT SA, wegen deren Weigerung, Herrn Roca Álvarez einen sogenannten „Stillurlaub” zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 76/207 bestimmt:
„Diese Richtlinie hat zum Ziel, dass in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und in Bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird im Folgenden als ‚Grundsatz der Gleichbehandlung’ bezeichnet.”
Rz. 4
Art. 2 dieser Richtlinie lautet:
„(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
…
(3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen.
(4) Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen.”
Rz. 5
Art. 5 der Richtlinie 76/207 bestimmt:
„(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts gewährt werden.
(2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen,
- dass die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden;
- dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können;
- dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften, bei denen der Schutzgedanke, aus dem heraus sie ursprünglich entstanden sind, nicht ...