Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsentschädigung für unfallbedingten Verdienstausfall. modifizierte Nettolohnmethode. Erstattung der Mehrsteuer als Teil der Einkünfte. keine Begünstigung als außerordentliche Einkünfte. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 5/23)
Leitsatz (redaktionell)
1. Erhält der Steuerpflichtige nach einem erlittenen Unfall eine Verdienstausfallentschädigung, deren Höhe nach der sogenannten modifizierten Nettolohnmethode berechnet wird, was bedeutet, dass auch die auf den tatsächlich ausbezahlten Vorschuss (Nettolohn) nach den Verhältnissen des Steuerpflichtigen entfallende Einkommensteuer erstattet wird, so gehört auch die ersetzte Mehrentschädigung in Form der sich ergebenden Mehrsteuer zu den Einkünften nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.
2. Eine in einem Jahr zusammengeballte Auszahlung der Erstattung der Steuerlast für mehrere Vorjahre unterfällt nicht der Tarifermäßigung für außerordentliche Einkünfte. Eine Herausnahme einzelner zusammengeballter Zahlungen aus dem Gesamtkomplex über einen langen Zeitraum regelmäßig erfolgender, nicht zusammengeballter Zahlungen ist nicht gerechtfertigt.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2
Tenor
1. Die Klagen wegen Einkommensteuer 2017 und wegen Einkommensteuer 2018 werden abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens wegen Einkommensteuer 2017. Die Kosten des Verfahrens wegen Einkommensteuer 2018 tragen die Klägerin und der Kläger gemeinsam.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob und inwieweit Schadenersatzzahlungen einer Versicherung nach der modifizierten Nettolohnmethode der Einkommensteuer zu unterwerfen sind und ob bzw. in welchem Umfang die Regelung des § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anwendung findet.
I. Die Klägerin wurde in den Streitjahren 2017 und 2018 zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war im Jahr 1996 durch eine nicht fachgerechte medizinische Behandlung so erheblich verletzt worden, dass sie daraufhin keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben konnte. Zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses hatte sich die Klägerin in Elternzeit befunden. Ihre berufliche Tätigkeit als W hatte sie ab dem 01.12.1997 in Teilzeit wiederaufnehmen wollen. Den durch den Haftpflichtfall entstandenen Verdienstausfallschaden seit dem 01.12.1997 erhält die Klägerin von der X-Versicherung. (X-Versicherung) ersetzt. Nachdem die Einstandspflicht der X-Versicherung für den Schaden sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach jahrelang streitig gewesen war, kam es zwischen der X-Versicherung und der Klägerin am 06.04.2006 zu einer Einigung. Hierin wurde vereinbart, dass die an die Klägerin zu leistende Entschädigung für den Verdienstausfall nach der sogenannten „modifizierten Nettolohnmethode” ermittelt und abgerechnet wird. Das Ergebnis der Einigung wurde in einem Schreiben der X-Versicherung vom 24.04.2006 gegenüber dem im damaligen Verfahren beauftragten Prozessbevollmächtigten schriftlich bestätigt (Bl. 54 und 55 der Rechtsbehelfsakten). In dem Schreiben wurde Folgendes festgehalten:
„Es besteht Einigkeit, dass nach der modifizierten Nettolohntheorie abgerechnet wird. Das bedeutet, dass nach Vorliegen der Steuererklärung erst die tatsächliche Höhe des Nettoverdienstes unter Berücksichtigung der Splittingtabelle festgestellt werden kann. Anhand des veranschlagten Steuersatzes, auf den tatsächlich erhaltenen Vorschuss des Nettolohnes werden die anfallenden Steuern nach entrichtet.”
Da keine weitergehende Vereinbarung über die Ermittlung und Abrechnung des Verdienstausfallschadens existierte, war in der Folgezeit die Umsetzung und Durchführung der getroffenen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der X-Versicherung unklar. Die Parteien waren unterschiedlicher Auffassung darüber, wie die Berechnung nach der vereinbarten modifizierten Nettolohnmethode zu erfolgen habe, insbesondere wie die Steuererstattungszahlungen steuerlich zu behandeln seien. Die X-Versicherung beauftragte daraufhin im April 2016 Prof. Dr. A mit der Erstattung eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens, um den der Klägerin entstandenen Verdienstausfallschaden festzustellen. Der Gutachter ermittelte einen Nettoverdienstausfallschaden nach Steuern für die Jahre 1997 bis 2015 in Höhe von insgesamt 224.474,02 EUR und stellte fest, dass der Klägerin nach dem vereinbarten Abrechnungsmodus zusätzlich sämtliche Steuern aus der Versteuerung des ihr zugeflossenen Nettoverdienstausfallschadens erstattet werden müssten. Die Steuerlast der Klägerin aus der Versteuerung der ihr zugeflossenen Nettoverdienstausfallentschädigung ermittelte er durch Gegenüberstellung der tatsächlichen Gesamtsteuerlast mit der Steuerlast, die ohne Verdienstausfallentschädigung angefallen wäre, mit 59.956,19 EUR. Die noch offene Forderung zum 31.12.2015 berechnete der Gutachter wie folgt:
Abrechnung des Verdienstausfallschadens per 31.12.2015 |
in EUR |
Nettoverdienstausfall nach Steuern für die Zeit vom 01.12.1997 bis einschließlich 31.12.... |