Entscheidungsstichwort (Thema)
Ein familienähnliches Band kann auch zu einem Pflegekind begründet werden, das im Alter von 16 Jahren und 10 Monaten in die Pflegefamilie kommt
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Pflegschaftsverhältnis und ein familienähnliches Band kann auch zu einem fast volljährigen Kind begründet werden, ohne dass eine Hilfslosigkeit, Behinderung oder sonstige besondere Umstände vorliegen müssen, wenn eine Betreuung wie zwischen Eltern und Kind stattfindet.
2. Eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, bei der die Pflegefamilie die räumliche, materielle und immaterielle Personenvorsorge und Personenfürsorge sowie Erziehung gemäß der Bescheinigung des Landratsamtes übernommen hat, kann ein Obhuts- und Pflegekindschaftsverhältnis wie zwischen leiblichen Eltern und Kind und somit ein familienähnliches Band im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG begründen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist das Kindergeld für das Pflegekind B Z (geboren 12.02.1994).
Mit Antrag auf Kindergeld vom 05.07.2011 beantragte die Klägerin Kindergeld für B. Sie gab dabei an, dass B seit dem 26.12.2010 für längere Zeit und zwar voraussichtlich bis 2015 in ihrem Haushalt lebe. Die Mutter von B sei verstorben, der Vater nicht bekannt. Sie legte eine Haushaltsbescheinigung der Gemeinde vom 06.07.2011 vor, nach der B Z zum Haushalt der Klägerin gehört. Weiter legte die Klägerin eine Bescheinigung des Landratsamtes, Amt für Kinder, Jugend und Familie, vom 28.04.2011 vor. In dieser überträgt das Landratsamt als Inhaberin des Rechts der elterlichen Sorge die Vollzeitpflege für das Pflegekind B ab dem 26.12.2010 gemäß § 33 SGB VIII auf die Klägerin.
Die Familienkasse hatte Kindergeld für B an die Stadt M im Rahmen einer Abzweigung für die Zeit von Februar 2008 bis Juli 2011 geleistet. Nach übereinstimmenden Mitteilungen des Prozessbevollmächtigten vom 08.02.2012 und der Stadt M vom 15.12.2011 leistete das Jugendamt der Stadt M das Kindergeld für B für den Zeitraum von Januar 2011 bis Juli 2011 i.H.v. 966 € an die Klägerin weiter. Die Stadt M teilte mit Schreiben vom 22.03.2012 dem Gericht mit, dass die Stadt M seit Januar 2011 keinen Anspruch mehr auf Kindergeld für B geltend macht.
Die Familienkasse lehnte mit Bescheid vom 27.07.2011 den Antrag auf Kindergeld ab. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass B nicht zum Kreis der zu berücksichtigenden Kinder i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG gehöre und nicht als Pflegekind berücksichtigt werden könne. Die erforderliche familienähnliche Bindung könne wegen des geforderten Betreuungs-, Erziehungs- und Versorgungsbedarfs kurz vor Eintritt der Volljährigkeit und danach grundsätzlich nicht mehr begründet werden. B sei bei Haushaltsaufnahme bereits über 16 Jahre alt gewesen und damit könne ein mindestens 2 Jahre dauerndes Zusammenleben für das familienähnliche Band bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mehr erreicht werden.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 08.09.2011 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage beantragen die Prozessbevollmächtigten sinngemäß den Ablehnungsbescheid vom 27.07.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.09.2011 auf die Zeit bis Juli 2011 zu beschränken und die Gewährung von Kindergeld für B ab August 2011 in gesetzlicher Höhe.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
B lebe seit dem 26.12.2010 dauerhaft und kontinuierlich im Haushalt der Klägerin. Die Erziehung und Versorgung von B mit Wohnraum, Kleidung und Nahrung obliege der Klägerin. Auch Freizeitaktivitäten und Arztbesuche fänden in ihrer Begleitung statt. Alle schulischen Angelegenheiten würden durch sie wahrgenommen. B habe zu seinen leiblichen Eltern keinerlei Beziehung mehr, da seine Mutter verstorben und sein Vater unbekannt sei. Zwischen B und der Familie der Klägerin bestehe ein familienähnliches Band. Der Vorschrift des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sei gerade nicht zu entnehmen, dass das familiäre Band schon bestehen müsse, sondern entscheidend sei vielmehr, dass die Entstehung eines solchen familienähnlichen Bandes angestrebt werde. Dies sei im Streitfall der Fall. Sofern eine Altersgrenze überhaupt zulässig sei, könne diese für das Entstehen eines familienähnlichen Bandes nicht vor Vollendung des 18. Lebensjahres liegen.
Die Familienkasse beantragt Klageabweisung.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:
Die Klägerin sei weder die leibliche Mutter des Kindes, noch habe sie das Kind adoptiert. In Betracht komme eine Kindergeldgewährung für ein Pflegekind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Ein Pflegekind werde dann berücksichtigt, wenn es mit dem Antragsteller für Kindergeld durch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Band verbunden und in dessen Haushalt aufgenommen worden sei. Weitere Voraussetzung sei, dass ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und die Haushaltsaufnahme nicht zu Erwerbszwecken erfolge. Unter einer Haushaltsaufnahme sei das örtlich gebundene Zusammenleben von Pflegekind und Pflegeperson in einer gem...