Rz. 101

Für die Besteuerung beim Rechtsnachfolger hat § 24 Nr. 2 EStG konstitutiven Charakter: Die Vorschrift verklammert die auf die Erzielung von Einkünften gerichtete Betätigung des Rechtsvorgängers mit dem beim Rechtsnachfolger eingetretenen Zufluss oder der Realisierung des wirtschaftlichen Erfolgs[1] und schließt dadurch die Besteuerungslücke, die sich daraus ergeben würde, dass der Tatbestand der Einkunftserzielung weder beim Rechtsvorgänger noch beim Rechtsnachfolger vollständig erfüllt wäre.[2] Ein Fall von § 24 Nr. 2 Halbs. 2 EStG liegt folglich nur bei sog. "gespaltener Tatbestandsverwirklichung" vor.[3]

 

Rz. 102

Die allgemeinen Grundsätze der Einkünftezurechnung und der Unbeachtlichkeit der Einkommensverwendung gehen vor; § 24 Nr. 2 Halbs. 2 EStG ist insoweit subsidiär.[4] Durch die Abtretung von Forderungen, sei es unentgeltlich unter Lebenden an Angehörige, sei es Erfüllungs halber oder an Erfüllungs statt an Gläubiger, durch Pfändung und Einziehung, durch Begründung einer Gütergemeinschaft oder eines eigenen Forderungsrechts für die Ehefrau[5], ändert sich die Zurechnung der Einkünfte nicht.

 

Rz. 103

Einkünfte fließen dem Stpfl. nicht als Rechtsnachfolger zu, wenn sie ihm originär zuzurechnen sind. Dies ist der Fall, wenn er Tätigkeiten oder Rechtsverhältnisse des Rechtsvorgängers fortsetzt und damit selbst den Tatbestand der Einkunftserzielung in seiner Person vollständig verwirklicht, z. B. durch die Abwicklung der vom Erblasser vereinbarten Geschäftsvorfälle im Rahmen des geerbten Gewerbebetriebs, die (weitere) Überlassung geerbten Kapitals oder die (weitere) Vermietung des durch Kauf erworbenen Grundstücks. Greift § 24 Nr. 2 EStG nicht ein, so richtet sich die Besteuerung auch nicht nach den vom Rechtsvorgänger verwirklichten Merkmalen; insb. kann es zum Wechsel der Einkunftsart kommen. Setzt der Erbe die Arztpraxis durch einen Arztvertreter fort, so erzielt er von da an mangels eigener Approbation nicht Einkünfte nach § 18 EStG, sondern aus Gewerbebetrieb[6]; führt eine teilweise aus Berufsfremden bestehende Erbengemeinschaft ein freiberufliches Ingenieurbüro fort, so bewirkt dies die Umqualifikation in einen Gewerbebetrieb[7]; trifft der Erbe eines Architekten, der selbst kein Freiberufler ist, Vereinbarungen bezüglich der pauschalen Entschädigung zur Abgeltung möglicherweise verletzter Urheberrechte des Erblassers, so führt dies beim Erben zu Einkünften aus Gewerbebetrieb.[8]

3.6.1 Begriff des Rechtsnachfolgers

 

Rz. 104

Der Begriff des Rechtsnachfolgers i. S. d. § 24 Nr. 2 EStG ist nicht vollständig geklärt; darunter verstanden wird sowohl der bürgerlich-rechtliche Einzel- als auch Gesamtrechtsnachfolger, insb.:

  • der Erbe oder die Erben als Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922 BGB); Testamentsvollstreckung hindert die Zurechnung und den Zufluss beim Erben auch dann nicht, wenn der Testamentsvollstrecker Rentenzahlungen nicht an den Erben auskehrt, sondern zur Erfüllung eines Vermächtnisses verwendet.[1];
  • eine juristische Person in verschiedenen Umwandlungsfällen;
  • der Einzelrechtsnachfolger infolge Rechtsgeschäfts, z. B. Eigentumserwerber, Abtretungsempfänger, Erwerber in der Zwangsversteigerung;
  • der durch Vertrag zugunsten Dritter Begünstigte (§ 328 BGB)[2];
  • der Vermächtnisnehmer und der von Todes wegen Beschenkte (§ 2301 BGB) anstelle des Erben im (Sonder-)Fall des Forderungsvermächtnisses bzw. der Forderungsschenkung[3].
 

Rz. 105

Aufgrund der Subsidiarität der Zurechnungsregelung des § 24 Nr. 2 Halbs. 2 EStG (Rz. 102) greift diese nur ein, wenn die Einkünfte nicht originär dem Rechtsnachfolger zugerechnet werden können (Rz. 103) und sie auch beim Rechtsvorgänger nicht zu erfassen sind, weil dieser selbst nicht den vollen Tatbestand der Einkommenserzielung verwirklicht hat. Daher kommt es beim Einzelrechtsnachfolger nur zur Besteuerung nach § 24 Nr. 2 Halbs. 2 EStG, wenn der Rechtsvorgänger verstorben ist. Denn bei Zufluss zu dessen Lebzeiten vollendet der Übertragende den Tatbestand der Einkunftserzielung.[4]

 

Rz. 106

Wem als Rechtsnachfolger Einkünfte zugeflossen sind, ist allein danach zu entscheiden, wer Inhaber des Anspruchs ist, der mit den nachträglichen Zahlungen erfüllt wird.[5]

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