2.1 Rechtliche Einordnung
Die ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge ist die logische Zusammenfassung und Konkretisierung einer Reihe bestehender Rechtsvorschriften aus der ArbMedVV und den daraus abgeleiteten Arbeitsmedizinischen Regeln, die sich an den Arbeitgeber richten, der bei Einhaltung der Regeln davon ausgehen kann, dass er die Anforderungen der Verordnung erfüllt (s. Tab. 1).
Tab. 1: Rechtsvorschriften aus der ArbMedVV
Arbeitsmedizinische Regeln (AMR) dürfen inhaltlich nicht über das hinausgehen, was die ArbMedVV vorschreibt. Es gilt für sie die "Vermutungswirkung", d. h., bei Einhaltung der Regeln und Erkenntnisse der AMR ist davon auszugehen, dass die zugrunde liegenden Anforderungen der Verordnung erfüllt sind (§ 3 Abs. 1 S. 3 ArbMedVV). Soweit Arbeitgeber ein von diesen Regeln abweichendes Vorgehen wählen, müssen sie damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen. Der Betriebsarzt hingegen hat die AMR als dem Stand der Arbeitsmedizin entsprechende Regel in seiner Tätigkeit zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 ArbMedVV).
2.2 Die Rolle der Gefährdungsbeurteilung
Arbeitsmedizinische Vorsorge leitet sich aus der Gefährdungsbeurteilung ab, bei der der Betriebsarzt den Arbeitgeber unterstützt. Er soll die aktuellen Arbeitsplatzverhältnisse und alle für die Gesundheit bedeutsamen Gesichtspunkte der Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebung durch regelmäßige Arbeitsplatzbegehungen aus eigener Anschauung kennen und muss bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge alle Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen berücksichtigen. Die Gefährdungsbeurteilung bildet die Grundlage der Prüfung, ob für die beurteilten Tätigkeiten Pflicht- oder Angebotsvorsorge nach dem Anhang der ArbMedVV erforderlich sind oder ob durch deren Verknüpfung mit Expositionen, die bisher nicht als Anlass etabliert sind, eine Wunschvorsorge als angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge in Betracht kommt. Hier nennt die AMR 3.3 auch ausdrücklich die "Einführung neuer Technologien mit möglichen, noch nicht abschließend beurteilbaren Gefährdungen". Auch für eine erhöhte psychische Belastung, obwohl sie nicht im Anhang der ArbMedVV aufgeführt ist, kann so aus der Gefährdungsbeurteilung der Anlass für eine Wunschvorsorge abgeleitet werden. Die arbeitsmedizinische Vorsorge gibt Beschäftigten häufig erst die Möglichkeit, unter dem Schutz der ärztlichen Schweigepflicht über belastende Arbeitssituationen zu sprechen und individuelle Unterstützung zu suchen. Auch die Auswahl der körperlichen oder klinischen Untersuchungen des Betriebsarztes hat sich an der Arbeitssituation bzw. der Gefährdungsbeurteilung zu orientieren. (s. a. Abschn. 2.5)
2.3 Vorsorgeanlässe
Arbeitsmedizinische Vorsorge erfolgt grundsätzlich im Interesse des Beschäftigten zur frühzeitigen Erkennung und Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen mit der zentralen Fragestellung, ob von der Tätigkeit eine Gefahr für die Gesundheit der Beschäftigten ausgeht. Sie dient damit ausschließlich dem Selbstschutz des Individuums.
Pflichtvorsorge ist arbeitsmedizinische Vorsorge, die der Arbeitgeber bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten zu veranlassen hat. Diese Tätigkeiten sind abschließend im Anhang der ArbMedVV aufgeführt (Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, Biostoffen, Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen sowie sonstige Tätigkeiten, die zu arbeitsbedingten Erkrankungen führen können). Die Durchführung der erforderlichen Pflichtvorsorge ist Tätigkeitsvoraussetzung. Neben der Erscheinungspflicht...