Arbeitsmedizinische Vorsorge: Pflicht oder freiwillig?

Wann ist die arbeitsmedizinische Vorsorge Pflicht, wann nicht? Wann müssen und wann dürfen Beschäftigte zur arbeitsmedizinischen Vorsorge beim Betriebsarzt? Welche Pflichten hat der Arbeitgeber, welche Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer? Es gibt drei Arten von arbeitsmedizinischer Vorsorge, für die jeweils sehr unterschiedliche Regeln gelten.

Die arbeitsmedizinische Vorsorge dient der arbeitsplatzbezogenen Gesundheitsberatung der Beschäftigten und der Früherkennung; sie soll arbeitsbedingten Erkrankungen oder Berufskrankheiten vorbeugen. Die Kriterien einer arbeitsmedizinischen Vorsorge variieren je nach Branche und Tätigkeit. Denn jeder Beruf bringt seine ganz eigenen gesundheitlichen Risiken für den Arbeitnehmer mit sich.

Welche arbeitsmedizinischen Vorsorgen gibt es?

Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist eine individuelle Arbeitsschutzmaßnahme. Bei welcher Gefährdung welche arbeitsmedizinische Vorsorge empfohlen bzw. durchgeführt wird, klärt die „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ (ArbMedVV). Dabei bilden die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelten Gefährdungen die Entscheidungsgrundlage, ob und welche arbeitsmedizinische Vorsorgeart durchzuführen ist. Es wird zwischen Angebots-, Pflicht- und Wunschvorsorge unterschieden.

Maßnahmen zur Pflichtvorsorge muss der Arbeitgeber unbedingt in regelmäßigen Abständen veranlassen. Der Beschäftigte muss an ihnen teilnehmen, da der Arbeitgeber ihn die Beschäftigung, für die die Pflichtvorsorge erforderlich ist, ansonsten nicht (mehr) ausüben lassen darf. Die Pflichtvorsorge ist Tätigkeitsvoraussetzung.

Die Angebotsvorsorge muss vom Arbeitgeber selbst angeboten werden. Für Beschäftigte ist die Angebotsvorsorge freiwillig. Eine Ablehnung hat keine negativen Konsequenzen. Diese Vorsorgen werden zum Beispiel angeboten bei Tätigkeiten mit Feuchtarbeit von regelmäßig mehr als zwei aber weniger als vier Stunden am Tag, Tätigkeiten mit mäßigem Lärm zwischen 80 und 85 Dezibel dB(A) oder Tätigkeiten mit Bildschirmarbeit. Die Angebotsvorsorge muss vom Arbeitgeber schriftlich angeboten werden.

Die Wunschvorsorge erfolgt auf Initiative des Arbeitnehmers selbst und wird von diesem in Absprache mit dem Arbeitgeber oder dem Vorgesetzten durchgeführt. Sie muss vom Arbeitgeber aber jederzeit ermöglicht werden.

Wann muss man zum Betriebsarzt?

Alle Vorsorgearten umfassen immer zunächst ein ärztliches Beratungsgespräch in Verbindung mit Fragen zur Arbeitsaufgabe (sog. Arbeitsanamnese). Hält der Betriebsarzt eine körperliche Untersuchung und/oder ein Untersuchungsverfahren wie z.B. einen Hörtest für erforderlich, so bietet er diese dem Mitarbeiter an. Ein Beschäftigter muss Untersuchungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge aber nicht zustimmen. Mit der Anamnese und Beratung durch den Betriebsarzt ist die Vorsorge erfüllt und kann bescheinigt werden.

Wann ist die betriebsärztliche Vorsorge Pflicht?

Für bestimmte besonders gesundheitsgefährdende Tätigkeiten ist Pflichtvorsorge erforderlich, so etwa für den Umgang mit besonderen Gefahrstoffen oder z.B. Lärm, der im Schichtmittel über 85 Dezibel liegt. Das bedeutet: der Lärmpegel am Arbeitsplatz ist so hoch, dass ohne Gehörschutz nach einigen Jahren mit einer Lärmschwerhörigkeit zu rechnen ist – bis hin zur Notwendigkeit für ein Hörgerät. Aufgabe des Betriebsarztes bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist es, darüber aufzuklären und zur Verwendung von geeignetem Gehörschutz zu motivieren.
Aufgeführt sind die besonders gefährdenden Tätigkeiten im Anhang der ArbMedVV. Die Pflichtvorsorge muss der Arbeitgeber organisieren und bezahlen.

Bei den Inhalten der arbeitsmedizinischen Vorsorge orientieren sich die Betriebsärzte unter anderem an den „DGUV Grundsätzen für arbeitsmedizinische Untersuchungen”. Diese sogenannten „Grundsätze” waren bis 2013 der Quasi-Standard der arbeitsmedizinischen Untersuchungen, sie haben heute – salopp formuliert – lediglich die Bedeutung von Kochrezepten. Es kommt darauf an, was der Betriebsarzt daraus macht.

Angebotsvorsorge: Hier ist die betriebsärztliche Untersuchung keine Pflicht

Die Grenze, wann eine Pflichtvorsorge zu veranlassen ist und ab wann die Angebotsvorsorge gilt, orientiert sich an der Höhe des möglichen Gesundheitsschadens. Beispiel: Tätigkeiten mit Lärmexposition unterhalb von 85 Dezibel. Hier ist eine schlimme Schädigung des Gehörs nicht zu befürchten.
Bei Gefahrstoffen ist das Einhalten von Arbeitsplatzgrenzwerten oft ein Kriterium dafür, ob die Vorsorge Pflicht ist oder lediglich angeboten werden muss.

Eine Pflichtvorsorge gilt für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, wenn der Arbeitsplatzgrenzwert des jeweiligen Gefahrstoffes nach der Gefahrstoffverordnung nicht eingehalten wird oder, soweit der Gefahrstoff hautresorptiv ist, eine Gesundheitsgefährdung durch direkten Hautkontakt besteht. Eine Angebotsvorsorge hingegen muss dem Arbeitnehmer angeboten werden, wenn am Arbeitsplatz der relevante Grenzwert zwar eingehalten, der Mitarbeiter aber dennoch diesem Gefahrstoff ausgesetzt ist.

Wann ist Wunschvorsorge zu ermöglichen?

Der Arbeitnehmer darf aber jederzeit auch beim Arbeitgeber auf der Durchführung einer Wunschvorsorge bestehen. Der Arbeitgeber muss den Beschäftigten über sein Recht auf eine Wunschvorsorge aufklären und sie dem Beschäftigten jederzeit ermöglichen – und zwar unabhängig davon, ob es dafür einen besonderen gesundheitlichen Anlass gibt oder die Tätigkeit physisch oder psychisch besonders herausfordernd ist oder nicht. Anders als die Pflichtvorsorge, ist die Wunschvorsorge ebenso wie die Angebotsvorsorge keine Voraussetzung für die Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit.

Welche Pflichten hat der Arbeitgeber?

Egal um welche Vorsorge es sich handelt: Der Arbeitgeber muss auf jeden Fall über die verschiedenen Typen von arbeitsmedizinischen Vorsorgen Bescheid wissen und bei welchen Tätigkeiten welche Vorsorge durchzuführen ist. Bietet er dem Arbeitnehmer keine Vorsorge an, klärt ihn nicht über das Recht auf Wahrnehmung einer Vorsorge auf oder veranlasst er keine arbeitsmedizinische Vorsorge, so drohen ihm hohe Bußgelder.

Für den Arbeitgeber ergeben sich daraus bei den unterschiedlichen Vorsorgearten folgende Pflichten:

  • Wo der Arbeitnehmer durch seine Tätigkeit relevanten gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt ist, muss der Arbeitgeber regelmäßig Pflichtvorsorge durchführen lassen.
  • Angebotsvorsorge muss der Arbeitgeber regelmäßig anbieten und sie ermöglichen.
  • Bei der Wunschvorsorge muss der Arbeitnehmer zwar proaktiv auf den Arbeitgeber zugehen, aber zuvor muss der Arbeitgeber ihn über sein Recht auf eine Wunschvorsorge aufgeklärt haben. Die Wunschvorsorge hat der Arbeitgeber in der Folge zu ermöglichen, falls nicht bereits geklärt wurde, dass an diesem Arbeitsplatz keine Gesundheitsgefahr droht.

Darf man in der Arbeitszeit zur Vorsorge?

Im Gegensatz zu allen anderen Arztbesuchen von Beschäftigten dürfen diese nicht nur unter Umständen in der Arbeitszeit stattfinden, sie müssen sogar. Das bedeutet auch, dass Arbeitnehmer für die gesamte Zeit – für den Weg zum Betriebsarzt, das Gespräch mit dem Arzt, eine eventuelle Untersuchung als auch für potenzielle Nachuntersuchungen beim Spezialisten – von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen sind.

Die Entscheidung, wann ein weiterer Arzt hinzugezogen werden muss und welcher Arzt hierfür geeignet ist, trifft der vom Arbeitgeber beauftragte Arbeits- oder Betriebsmediziner. Die im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge anfallenden Gesamtkosten trägt der Arbeitgeber.

Was ist das „Ergebnis” der arbeitsmedizinischen Vorsorge?

Als „Ergebnis” der Vorsorge erhält der Arbeitgeber eine Bescheinigung. Diese enthält immer den Namen des Unternehmens, den Namen des Beschäftigten, Datum und Anlass der Vorsorge nach den Regeln der Verordnung, Datum der nächsten Vorsorge sowie die Bestätigung über die Teilnahme. Das Ergebnis heißt: „Teilgenommen”. Das ist seit 2013 neu und ein wichtiger Unterschied. Es wird nicht mehr schriftlich festgehalten, ob irgendwelche „Bedenken” bestünden, sondern es wird die Teilnahme an einer arbeitsplatzbezogenen Gesundheitsvorsorge bescheinigt.

Was ist mit Eignungsuntersuchungen?

Eignungsuntersuchungen sind keine arbeitsmedizinische Vorsorge und werden in der Vorsorgeverordnung deshalb auch nicht geregelt. Der Gesetzgeber hat die Eignungsuntersuchungen ausdrücklich nicht regeln wollen. Ob ein Unternehmer es für sinnvoll hält, Beschäftigte mit gefährlichen Tätigkeiten (z.B. Staplerfahren) zum Nachweis ihrer gesundheitlichen Eignung aufzufordern, ist Entscheidung des Unternehmens.

Das ist mir alles zu kompliziert – was ist denn nun zu tun?

Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Betriebsarzt. Unabhängig davon, ob Sie Arbeitgeber, Beschäftigter oder Betriebsrat sind: Der Betriebsarzt ist verpflichtet, alle Beteligten im Betrieb sachgerecht zu beraten und bei der Organisation der arbeitsmedizinischen Vorsorge tatkräftig zu unterstützen.

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