Prof. Dr. Dr. Julia Krampitz, Anke Mächler-Poppen
Zusammenfassung
Die Coronazeit zwingt uns zum Umdenken und Umstrukturieren. Unsicherheit, Existenzängste und unbeantwortete Fragen an die Zukunft prägen unser tägliches Denken. Wie schaffen wir es, trotz der akuten Einschränkungen diese Krise als Chance zu begreifen? Wie können wir diese Herausforderung als Antreiber für nachhaltige und moderne Veränderungen nutzen? Und als Basis jedes Veränderungsprozesses: Wie schaffen wir es, negative Gefühle in positive Energie zu verwandeln?
1 Begriffsverständnis Krise
In der momentanen Situation sprechen alle von der Corona-Krise. Aber was bedeutet eigentlich "Krise"?
Der Begriff Krise wird in der Gesellschaft immer als etwas Negatives gesehen, etwas Bedrohliches und den Menschen und sein Umfeld gefährdend. In der Literatur finden wir verschiedene Definitionen: Koselleck hat 2004 die Krise als "jenen Zustand der Gesellschaft bzw. zentraler gesellschaftlicher Bereiche (Wirtschaft, Bildungswesen, Sozialstaat) ..." bezeichnet, "... in dem unter Zeitdruck schwierige Probleme der Anpassung, der Koordination und ggf. der Strukturveränderung und Systemerhaltung zu lösen sind (gr. krisis = Entscheidung; entscheidende Wende)".
Auch in der Geschichte der Soziologie spielt der Begriff eine zentrale Rolle, da sie als Umbruch- bzw. Krisenwissenschaft begann.
Niklas Luhmann bezeichnet Krisen ebenfalls als "heikle Situationen in Systemen/Umwelt-Beziehungen, die den Fortbestand des Systems oder wichtiger System-Strukturen unter Zeitdruck in Frage stellen". Entsprechend rücken Probleme der Anpassung von System und Umwelt, von Stabilität und Wandel, von Komplexitätssteigerung und -bewältigung, von Krise und sozialer Kontrolle in den Vordergrund.
Sind Krisen (vergleichbar der Entwicklung des Individuums) eine unabdingbare Voraussetzung für "Wachstum" und Differenzierung? Diese Position käme älteren geschichtsphilosophischen und fortschrittsoptimistischen positiven Bewertungen von Krisen sehr nahe und könnte Hoffnung für die jetzige Situation schöpfen lassen.
Als Zwischenfazit lässt sich Folgendes sagen:
Krisen
- gehören zu unser aller Leben,
- sind Ausnahmezustände,
- treten meist akut, überraschend und mit dem Charakter des Bedrohlichen auf,
- sind eine Störung der bisherigen Lebensabläufe im Privaten wie im Arbeitsleben,
- lösen Ängste aus,
- Gewohntes greift nicht mehr,
- im ungünstigsten Fall können sich auch dauerhafte Gesundheitsprobleme entwickeln,
- bieten prinzipiell die Chance zur Neuorientierung und Veränderung,
- lassen uns stärker werden und uns reifen,
- steigern nach der Bewältigung die Resilienz.
2 Unterschiedlicher Umgang mit Krisen
2.1 Belastung und Beanspruchung
Krisen haben immer verschiedene Seiten, genauso wie sich das Wort Krise im Chinesischen auch aus 2 Schriftzeichen zusammensetzt: Das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit. Diese Wahrnehmung und deren Ausmaß hängt sehr stark ab von den Persönlichkeitsmerkmalen und der individuellen Fähigkeit, mit Belastungen und Beanspruchungen umzugehen.
Nach der DIN EN ISO 10075 ist eine psychische Belastung die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken, die psychische Beanspruchung ist die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.
Typische psychische Belastungsfaktoren sind:
- fehlendes Vertrauen,
- fehlende klare Regeln,
- unklare, ungerechte Arbeitsteilung,
- unreflektiertes Verhalten,
- fehlende, keine gemeinsamen oder transparenten Ziele,
- unklare, unstrukturierte Kommunikation,
- fehlende Transparenz,
- fehlende Spontanität,
- fehlende Flexibilität,
- Verlieren in Details/fehlende Konzentration auf das Wesentliche.
Psychische Beanspruchung kann zu positiven, anregenden und negativen, beeinträchtigenden Effekten führen.
Positive Beanspruchungsfolgen sind z. B. Übungseffekte, Anregungs- bzw. Aufwärmeffekte, Lernen sowie Kompetenzentwicklung, die es ermöglichen, in einem Zustand angemessener psychischer und körperlicher Funktionsfähigkeit Anforderungen leichter zu bewältigen.
Negative Beanspruchungsfolgen behindern die Anforderungsbewältigung, zeigen sich in spezifischen Folgen, wie psychischer Ermüdung, Sorgen, Angst, Unsicherheit, Überforderung, Sättigung, Stress und Monotonie, und können ihrerseits Belastungsfaktoren darstellen.
Kurz- und mittelfristige Beanspruchungsfolgen können langfristig Einfluss auf die Gesundheit, das Wohlbefinden des Individuums sowie seine Leistungsvoraussetzungen haben.
2.2 Berufliches Umfeld
Im Sprachgebrauch sprechen wir im Rahmen von Krise gern von der Belastung, die erhöht ist; genauso wie auch das Arbeitsumfeld heute als belastend erlebt und entsprechend bezeichnet wird, bezieht sich diese Aussage zumeist auf psychosoziale Belastungen, die den Einzelnen fordern bzw. überfordern.
Oftmals wird "psychische Belastung" mit "psychischer Störung" und damit zugleich mit individue...