Überblick: Psychische Belastungen im Arbeitsverhältnis

Die Corona-Pandemie hat auch das Thema „Psychische Belastungen“ weiter verstärkt. Der Umgang in den Betrieben mit diesem Thema ist nach wie vor zurückhaltend, auch der Arbeitsschutz hat seine Probleme mit dieser wenig greifbaren Herausforderung. Wichtig ist dabei Grundlagenwissen.

Das Berufskrankheitenrecht des SGB VII kennt keine Erkrankungen durch psychische Belastungen, so dass diese grundsätzlich auch nicht als entschädigungsfähige Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) gelten. Damit steht die soziale Absicherung vollkommen im Gegensatz zu den auffälligen Entwicklungen, die im Arbeitsleben vorhanden sind, wie aus einer Vielzahl von Studien deutlich wird. Der Wirtschaft entstehen erhebliche Verluste, da diese Erkrankungen in ihrer Behandlung sehr zeitintensiv sind und dadurch viele Arbeitstage als Krankheitstage entfallen. Krankschreibungen aufgrund psychischer Ursachen liegen an zweiter Stelle der Krankheitsursachen.

Gesetzliche Regelung

Diesen Umständen hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er psychische Belastungen ausdrücklich im Arbeitsschutzgesetz als Gefährdungsfaktor nennt. Gemäß § 4 Nr. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit vermieden bzw. minimiert wird. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG nennt als potentielle Gefährdung, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen ist, auch die psychischen Belastungen bei der Arbeit.

Was sind psychische Belastungen?

Man unterscheidet zwischen psychischen Belastungen und psychischer Beanspruchung: Psychische Belastungen sind die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Die psychische Beanspruchung ist „die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien“ (DIN EN ISO 100785-1). Die psychische Beanspruchung als Auswirkung der psychischen Belastung wird durch spezifische Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen beeinflusst. Erst durch die individuellen Reaktionen bei psychisch belastenden Einflüssen entscheidet sich, wie beanspruchend eine Tätigkeit oder Situation vom Einzelnen überhaupt erlebt wird. Psychische Erkrankungen finden sich im ICD-Code in Kapitel V.

Psychische Belastungen im Arbeitsverhältnis

Psychische Belastungen im Arbeitsverhältnis entstehen durch

  • Überlastung aufgrund der ausgeübten Tätigkeit („Burn-out“),
  • extreme Unterbeanspruchung („Bore-out“),
  • externe Faktoren, wie z.B. das Verhalten von Kunden, Kollegen und Vorgesetzten,
  • das soziale Umfeld der Arbeitnehmer (Familie, Freunde usw.).

Psychische Belastungen als Krankheitsursache

Nicht jede psychische Belastung macht auch „krank“. Hier sind viele Faktoren entscheidend, so z.B. die Frage, ob die Belastung als negativ oder positiv empfunden wird. Es gibt auch „positiven Stress“. Hohe Arbeitsbelastungen in einem guten, motivierten Team, in dem ein fairer Umgang untereinander herrscht und in dem „Führung“ vor allem Motivation und Unterstützung ist, führen auch zu rein körperlicher Erschöpfung, werden aber nicht negativ aufgenommen und lösen keine inneren Abwehrreaktionen aus. Auch die psychische „Stabilität“ des Arbeitnehmers ist ein wichtiger Faktor. Je höher diese ausgeprägt ist, desto weniger anfällig ist der Mensch für diese Art von Belastungen. Diese Stabilität kann sich im Laufe des Lebens, z.B. altersbedingt oder durch zu hohe „Dauerlast“, jedoch verändern.

Vor allem Stress kann allerdings zu erheblichen Krankheitsfolgen führen. Zentrale Einflussfaktoren für das Entstehen von Stress am Arbeitsplatz können die Arbeitsaufgabe selbst (z.B. Zeit- und Termindruck, Entscheidungsanforderungen ohne ausreichende Informationsgrundlage, nicht ausreichende Kenntnisse zur Bewältigung der Arbeitsaufgabe, Überlastung durch unzureichende personelle oder materielle Ausstattung des Arbeitsplatzes, Dauerbelastung durch ständige Erreichbarkeit), die Umgebungsbedingungen der Arbeit (z.B. Lärm, unzureichende ergonomische Verhältnisse, gefährliche Arbeitssituationen), die allgemeine betriebliche Organisation (z.B. strukturelle Veränderungen, wie Arbeitsplatzabbau, unklare Kompetenzregelungen) und die allgemeinen sozialen Verhältnisse (z.B. konfliktbeladene Arbeitsbeziehungen zu Vorgesetzen und Kollegen, schlechtes Betriebsklima, unfähige Vorgesetzte) sein.

Stressbedingte Erkrankungen können vielfältig sein: Psychische Beeinträchtigungen, aber auch körperliche Effekte, wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck u.ä. können die Folge von Stress sein. Auch Schlafstörungen trotz „gefühlter Müdigkeit“ sind durchaus häufig. Die Problematik liegt darin, stressbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen: Oft werden nur die körperlichen Symptome behandelt, da zu wenig Zeit damit verbracht wird, den wahren Ursachen auf den Grund zu gehen. Auch die Selbstmedikation, z.B. mit Schmerz- oder Schlafmitteln, hilft nur kurzfristig und ist letztlich kontraproduktiv.

Angst oder Angstzustände am Arbeitsplatz führen zu körperlichen Beschwerden, wie Schwächezuständen, Nervosität, Schlaflosigkeit, Herz- und Magen-Darmproblemen, Hautreaktionen, Muskelverspannungen, Rücken- und Kopfschmerzen. Hinzu kommen Erkrankungen durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch, der auf derartige Umstände zurückzuführen ist.

Angst kann in einer Situation auftreten, der man sich nicht oder noch nicht gewachsen fühlt, in der alte, vertraute Bahnen verlassen werden müssen, neue Aufgaben zu bewältigen oder Wandlungen notwendig sind. Angst am Arbeitsplatz entsteht aber oftmals auch dadurch, dass in Unternehmen das Wort „offene Kommunikation“ nicht gelebt wird, so dass Gerüchte (z.B. um Restrukturierungsmaßnahmen, Arbeitsplatzabbau u.ä.) zu Angstreaktionen führen. Angst als Führungsprinzip ist in vielen Unternehmen verbreitet.

Mobbing ist eine extreme Form sozialer Belastungen. Mobbing beinhaltet, dass jemand am Arbeitsplatz von Kollegen, Vorgesetzten oder Untergebenen schikaniert, belästigt, drangsaliert, beleidigt, ausgegrenzt oder bspw. mit kränkenden Arbeitsaufgaben bedacht wird und der Mobbingbetroffene unterlegen ist. Werden Vorkommnisse als Mobbing bezeichnet, müssen diese häufig und wiederholt auftreten (z.B. mindestens einmal pro Woche) und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken (mindestens ein halbes Jahr). Es handelt sich nicht um Mobbing, wenn zwei etwa gleich „starke“ Parteien in Konflikt geraten. Wird durch Vorgesetzte gemobbt, spricht man von „Bossing“.

Das Burn-out-Syndrom, das einige Zeit insbesondere Mitarbeitern sozialer Berufe zugeordnet wurde, wird aktuell bei Arbeitnehmern verschiedenster Berufe diagnostiziert, die als besonders engagiert, aufopferungsvoll, hoch motiviert und pflichtbewusst gelten. Es führt zu heftigen Erschöpfungszuständen, die den Körper insgesamt schwächen und krankheitsanfällig machen. Burn-out kann aber auch eine Folge der Veränderung der sozialen Gesamtsituation sein: Die zunehmende Zahl von Arbeitsplätzen, die alleine eine wirtschaftliche Existenz nicht mehr sichern können (Niedriglohnsegment, Teilzeitarbeitsplätze usw.), fordern die Tätigkeit an mehreren Arbeitsplätzen, was zu gesundheitlich bedenklichen Überlastungen führen kann. Diese Zustände können bis hin zu einer allgemeinen Lebenskrise führen.

Konflikte mit Vorgesetzten werden häufig als belastend eingeschätzt und können zur Folge haben, dass psychische Beschwerden bei den Mitarbeitern und Fehlzeiten zunehmen. Auch der Führungsstil beeinflusst die Belastungssituation. Ein moderner „partizipativer“ Führungsstil wirkt belastungs- und fehlzeitenreduzierend, ein autoritärer Führungsstil hingegen lässt Fehlzeiten steigen. Viele Führungskräfte scheinen sich jedoch nicht bewusst zu sein, dass sie in entscheidendem Maße über die psychische Belastungssituation der Mitarbeiter in ihrem Verantwortungsbereich mitentscheiden. Daher ist es wichtig, Führungskräften arbeitspsychologische und arbeitsmedizinische Erkenntnisse zu den Ursachen und Bedingungen psychischer Belastungen am Arbeitsplatz zu vermitteln.

Als Arbeitgeber psychischen Belastungen entgegentreten

Zentrale Werkzeuge des Unternehmers, Gesundheitsgefährdungen im Betrieb entgegenzutreten, sind die Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG, § 3 ArbStättV) und die Unterweisung (§ 12 ArbSchG, § 6 ArbStättV).

Mechanische Beeinträchtigungen sind z. B. im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung i.d.R. ohne Probleme nachweisbar. Bei psychischen Beeinträchtigungen fehlen der Praxis zum einen Erfahrungswerte und zum anderen vor allem „greifbare“ Fakten. Diese Gefährdungsbeurteilungen stellen die Praxis deswegen vor große Probleme. Grundsätzlich sind psychische Belastungen wohl nur über Befragungen messbar (im Ergebnis so auch der IAG Report 1/2013 der DGUV).

Belegschaftsbefragungen haben das Ziel, die Befindlichkeit der Arbeitnehmer zu ermitteln und können auch das Potenzial für außergewöhnliche psychische Belastungen feststellen. Wie bei anderen Gefährdungsbeurteilungen auch, ist es notwendig, diese Befragungen arbeitsplatzbezogen durchzuführen, d.h. dass eine Befragung über die gesamte Belegschaft hinweg keine Gefährdungsbeurteilung i.S.d. § 5 ArbSchG ist. Befragungen an individuellen Arbeitsplätzen dürften allerdings auch keine verwertbaren Ergebnisse liefern, da sie wegen der Angst der Mitarbeiter, sich „outen“ zu müssen, möglicherweise wenig verwertbare Ergebnisse liefern. Hier ist sorgfältig nach einem Mittelweg zu suchen.

Übrigens: Gute Beurteilungen des Arbeitsumfelds durch die Belegschaft in einer Befragung sind für den Arbeitgeber kein Grund, das Thema „ad acta“ zu legen. Es kommt jetzt darauf an, den Problemfeldern auf den Grund zu gehen, die sich aus den – wenn auch möglicherweise wenigen negativen – Aussagen ergeben, z.B. durch die gezielte Befragung des Führungspersonals oder eine weitere Belegschaftsbefragung.

Die zentralen Inhalte der Unterweisung nach § 12 ArbSchG bei psychischen Belastungen drehen sich um das richtige Führungsverhalten sowie das Erkennen und Vermindern von psychischen Belastungen. Wesentliche Zielgruppe dieser Unterweisungen sind damit die Führungskräfte eines Unternehmens, die möglicherweise ausgewiesene Experten ihres Fachgebietes, aber oftmals eben keine „Führungspersönlichkeiten“ sind. 38 % der Beschäftigten, die selten oder nie von Vorgesetzten unterstützt werden, berichteten z.B. von gesundheitlichen Beschwerden (Stressreport Deutschland 2012).

Jedoch sind auch Arbeitnehmer zu unterweisen, was sich insbesondere auf den richtigen Umgang mit belastenden Situationen erstrecken muss.

Betriebsvereinbarungen im Arbeitsschutz sind üblich. Auch und gerade das Thema „psychische Belastungen“ sollte zum Gegenstand einer solchen Vereinbarung gemacht werden, die z.B. auch die Beratung betroffener Mitarbeiter durch eine arbeitgeberunabhängige Stelle zum Gegenstand haben kann.

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