Rz. 24
Bei der Bemessung des pfandfreien Betrags sind grundsätzlich die gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners in Höhe des dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Betrags zu berücksichtigen, auch wenn der Schuldner seiner Unterhaltspflicht nicht in vollem Umfang genügt (BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 13 = WM 2010, 1754 = FamRZ 2010, 1654 = ZVI 2010, 348 = MDR 2010, 1214 = DGVZ 2010, 211 = JurBüro 2010, 661 = Rpfleger 2011, 38 = KKZ 2011, 237 = FamRB 2010, 365 = FamFR 2010, 419 = FoVo 2011, 55; zweifelnd BGH, WM 2014, 2052 = MDR 2014, 1349 = NZF 2014, 1035 = Vollstreckung effektiv 2014, 209 = FF 2014, 512; vgl. Rz. 37a f.). In der Literatur besteht zunächst weitgehend Einigkeit, dass die gesetzliche Unterhaltspflicht nur berücksichtigt werden kann, wenn der Unterhalt tatsächlich (vgl. Musielak/Voit/Becker, § 850d Rn. 7; PG/Ahrens, § 850d Rn. 29; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 850d Rn. 36 f.; MünchKomm/ZPO-Smid, § 850d Rn. 25; Stein/Jonas/Brehm, § 850d Rn. 22; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, § 850d Rn. 8; Stöber, Rn. 1091; im Ergebnis auch BGH, WM 2014, 2052 = MDR 2014, 1349 = Vollstreckung effektiv 2014, 209 = FF 2014, 512) geleistet wird (Musielak/Becker, § 850d Rn. 7; LG Mühlhausen, 7.3.08, 2 T 29/08 m. w. N. – Juris; AG Bad Oldesloe, ZVI 2007, 470). Umstritten ist allerdings, ob die Berücksichtigung nur in Höhe der tatsächlichen Unterhaltszahlungen erfolgen kann (so MünchKomm/ZPO-Smid, § 850d Rn. 27; vgl. auch LG Berlin, DAmtsV 1976, 661) oder in Höhe des gesetzlichen Anspruchs (Stöber, Rn. 1098, 1102; Zöller/Herget, § 850d Rn. 11, 11a; vgl. auch OLG Frankurt, NJW-RR 2000, 220, LG Detmold, Rpfleger 2000, 340).
Der BGH (BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 13 = WM 2010, 1754 = FamRZ 2010, 1654 = ZVI 2010, 348 = MDR 2010, 1214 = DGVZ 2010, 211 = JurBüro 2010, 661 = Rpfleger 2011, 38 = KKZ 2011, 237 = FamRB 2010, 365 = FamFR 2010, 419 = FoVo 2011, 55) folgt der zuletzt genannten Ansicht. Dafür sprechen nach seiner Ansicht Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung des Abs. 1 Satz 2. Die Norm stellt ohne Einschränkung auf den Bedarf für die Erfüllung der den Schuldner treffenden Unterhaltsverpflichtung ab. Ihr kann nicht entnommen werden, dass für die Bestimmung des pfandfreien Betrags nur der Betrag maßgebend sein soll, den der Schuldner tatsächlich leistet. Zweck der Regelung ist, dass die dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger vorrangigen oder gleichstehenden Gläubiger durch die Vollstreckung nicht benachteiligt werden (MünchKomm/ZPO-Smid, § 850d Rn. 27). Durch die Berücksichtigung des pfandfreien Betrags soll diesen weiteren Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit eröffnet werden, ihren Unterhaltsanspruch in größtmöglichem Umfang realisieren zu können, entweder durch freiwillige Leistungen des Schuldners oder im Wege der Zwangsvollstreckung. Beides ist nur dann gewährleistet, wenn dem Schuldner der für die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht erforderliche Betrag ungeschmälert zur Verfügung steht. Auch wenn er tatsächlich nur weniger leistet, muss den weiteren Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit erhalten bleiben, ihren Unterhaltsanspruch durchzusetzen. Dies ist nicht der Fall, wenn nur der tatsächlich geleistete Unterhalt bei der Bemessung des pfandfreien Betrags angesetzt würde. Denn dann wäre der Differenzbetrag zwischen dem geschuldeten und dem geleisteten Unterhalt der Pfändung unterworfen. Dadurch würde der die Zwangsvollstreckung betreibende Unterhaltsgläubiger bevorzugt, obwohl Abs. 1 Satz 2 ZPO eine gleichmäßige Befriedigung aller gleichberechtigten Unterhaltsgläubiger gewährleisten soll (vgl. Zöller/Herget, ZPO, § 850d Rn. 11a).
Rz. 25
Aus der Sicht des vollstreckenden Unterhaltsgläubigers ergeben sich allerdings noch folgende, vom BGH nicht beantwortete Fragen:
- Richtet sich die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners nach dem angemessenen Unterhalt im Sinne von § 1610 Abs. 1 BGB (Stöber, Forderungspfändung, Rn. 1098, 1100) oder nach dem notwendigen Unterhalt (Musielak/Voit/Becker, § 850d Rn. 7)?
- Setzt die Berücksichtigung weiterer Unterhaltsberechtigter voraus, dass der Schuldner diesen tatsächlich zumindest teilweise Unterhalt gewährt (OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 365)?
- Müssen Unterhaltsberechtigte jedenfalls dann nicht berücksichtigt werden, wenn feststeht, dass sie ihre Ansprüche nicht geltend machen?
- Ist die Entscheidung auch anwendbar auf die Vollstreckung bei Deliktsansprüchen gemäß § 850f Abs. 2 ZPO?
Rz. 26
Für den Begriff des notwendigen Unterhalts in Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der BGH entschieden, dass dieser grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entspricht (BGH, WM 2018, 1655 = ZInsO 2018, 2015; BGH, BGHZ 156, 30 = NJW 2003, 2918 = FamRZ 2003, 1466 = Rpfleger 2003, 593 = BGHReport 2003, 1237 = ZFE 2003, 344 = InVo 2003, 442 = FamRZ 2003, 1743 = MDR 2004, 53 = ZVI 2003, 648 = FuR 2004, 78 = KTS 2004, 74 = KKZ 2004, 223 = Vollstreckung effektiv 2005, 117 = FPR 2004, 145 = JuS 2004, 169; BGH, NJW-RR 2008, 7...