Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussantrag. Betriebsratsvorsitzende. Ausschlussantrag gegen einen Betriebsratsvorsitzenden. Verwirkung des Antragsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Für einen u.a. auf anmaßende und beleidigende Äußerungen einer Betriebsratsvorsitzenden gestützten Ausschlussantrag des Arbeitgebers kann ein grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG zu verneinen sein, wenn seitens eines Teils der Belegschaft ein betriebsratsfeindliches Klima herrscht (hier: Wortprotokoll einer Betriebsversammlung durch Betriebsfremde, Polemik von Betriebsfremden auf einer Betriebsversammlung, anonymer Aushang über Verleihung des Arsch-mit-Ohren-Awards an den Betriebsrat usw.).
2. Der Arbeitgeber kann sein Recht, einen Ausschlussantrag gegen die Betriebsratsvorsitzende nach § 23 Abs. 1 BetrVG zu stellen, verwirken, wenn er sich seinerseits eines groben Verstoßes gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten schuldig gemacht hat (hier: Die Einstellung eines geplanten Demografieprojektes wegen Betriebsratskosten aus mehreren Beschlussverfahren und Einigungsstellen).
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 74
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 12.01.2012; Aktenzeichen 8 BV 37/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 12. Januar 2012 - 8 BV 37/11 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über den Ausschluss der Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsratsgremium.
Die Beteiligten zu 1) und 2) betreiben in einem von ihnen geführten Gemeinschaftsbetrieb in A ein Distributionscenter zum Vertrieb von B. In dem Gemeinschaftsbetrieb sind derzeit etwa 360 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beteiligte zu 3) ist seit 2010 die Vorsitzende des Beteiligten zu 4), der am 11. Febr. 2010 gewählt worden ist. Sie war vor dem Betriebsübergang im Jahre 2009 nach A seit 1975 Betriebsratsvorsitzende in dem Betrieb C.
Im ersten Monatsgespräch vom 23. April 2010 erklärte die Beteiligte zu 3), der Arbeitgeber müsse kooperieren, anderenfalls werde er durch den Beteiligten zu 4) dazu gezwungen werden.
Im Frühjahr 2010 fanden mindestens drei Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen ausgelegte Kopien des Textes des § 119 BetrVG.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Darmstadt wegen einer der Beteiligten zu 3) erteilten Abmahnung äußerte diese, die Betriebsvereinbarung Torkontrolle verstieße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Arbeitnehmer würden wie Diebe behandelt. In der ersten und zweiten Instanz wurde die Klage zurückgewiesen. Die Sache ist im Rahmen der zugelassenen Revision beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Az.: 1 AZR 819/11).
Gegenüber der Fachkraft für Arbeitssicherheit äußerte die Beteiligte zu 3) ihren Unmut über die Verlegung eines Termins, zu dem der Beteiligte zu 4) hinzugezogen werden sollte.
Auf einer Betriebsversammlung am 7. Dez. 2010 äußerte die Beteiligte zu 3), der HR-Leader D leide unter Realitätsverlust.
In der Betriebsversammlung vom 23. März 2011 zitierte und kommentierte die Beteiligte zu 3) ein Schreiben der Beteiligten zu 1) und 2) vom 16. Dez. 2010 an den Beteiligten zu 4). Die Beteiligten zu 1) und 2) hatten auf die Vertraulichkeit der Information hingewiesen (Bl. 169 bis 172 d. A.). Die Beteiligte zu 3) äußerte in diesem Zusammenhang auf der Betriebsversammlung, es fehle der Geschäftsführung an Kompetenz.
Im Dezember 2009 schlossen die Rechtsvorgängerinnen der Beteiligten zu 1) und 2) und der Rechtsvorgänger des Beteiligten zu 4) 16 Betriebsvereinbarungen ab, die der Beteiligte zu 4) im März 2011 sämtlich kündigte. Die Betriebsvereinbarungen sind durch Aushang vom 28. Febr. 2010 bekannt gemacht worden.
Ein Teil der Belegschaft erstellte gegen den Betriebsrat Unterschriftenlisten (Bl. 155 bis 158 d. A.).
Im Frühjahr 2009 führte der Beteiligte zu 4) ein Beschlussverfahren, mit dem die Nichtigkeit der Betriebsratswahl 2006 geltend gemacht worden ist.
Die Betriebsvereinbarung Arbeitszeit wurde - inzwischen rechtskräftig - im Hinblick auf die mitbestimmungsfreie Kontingentierung von Leiharbeitnehmern für teilweise unwirksam angesehen. Im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens ist eine neue Betriebsvereinbarung Arbeitszeit zustande gekommen.
Anfang Februar 2012 hing ein anonymer Aushang von "Luna Locke" ("Arsch-mit-Ohren-Award") am Informationsbrett des Arbeitgebers (Bl. 426 d. A.).
Die Beteiligten zu 1) und 2) haben im Betrieb durch Aushang vom 12. Sept. 2011 (Bl. 430 d. A.) mitgeteilt, die Mitarbeiter könnten sich wegen möglicher Äußerungen der Beteiligten zu 3) auf der Betriebsversammlung vom 21. Juni 2011 an einen externen Rechtsanwalt aus E wenden. Durch einen weiteren Aushang vom 13. Sept. 2011 (Bl. 431 d. A.) teilten die Beteiligten zu 1) und 2) mit, sie hätten die Art und Weise der Äußerungen der Betriebsratsvorsitzenden gegen Beschäftigte für beleidigend und unakzeptabel empfunden und deshalb die Betriebsversammlung ve...