Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. einstweiliger Rechtsschutz. Dauerverwaltungsakt. aufschiebende Wirkung. Auslegung. Prozesskostenhilfe. Einkommenseinsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Der Sozialhilfeträger kann sich der Handlungsform des Dauerverwaltungsaktes bedienen. Strukturprinzipien des Sozialhilferechts stehen dem nicht entgegen. Ob ein Dauerverwaltungsakt erlassen wurde, ist objektiv nach dem Empfängerhorizont zu entscheiden.
2. Der Barbetrag des Hilfeempfängers gemäß § 35 Abs 2 Satz 1 SGB 12 (früher "Taschengeld" genannt) dient der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse und stellt kein einsetzbares Einkommen im Sinne des § 115 Abs 2 ZPO dar.
Orientierungssatz
1. Die Auslegung (vgl § 123 SGG) und Umdeutung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG in einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 1 SGG ist zulässig und zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 27.1.2006 - L 15 B 1105/05 SO ER = FEVS 57, 447 und vgl VGH Mannheim vom 3.9.1990 - 5 S 1840/90 = NVwZ-RR 1991, 176).
2. Bei einem Widerspruch bzw einer Klage, die gem § 86a Abs 1 S 1 SGG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben, kann eine Anwendung des § 86b Abs 1 SGG analog in Betracht kommen. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs erfolgt durch deklaratorischen Beschluss (vgl LSG Erfurt vom 23.4.2002 - L 6 RJ 113/02 ER = D-spezial 2004, Nr. 12, 8).
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. September 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
III. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Prozesskostenhilfebeschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juni 2006 abgeändert. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ohne Ratenzahlung bewilligt.
IV. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Gründe
I .
Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragsgegnerin die Gewährung von Hilfe zur Pflege davon abhängig machen darf, dass die dem Antragsteller und seiner Ehefrau, der Beigeladenen, gehörende Eigentumswohnung mit einer Grundschuld in Höhe von 100.000 € zur Sicherung der Rückzahlung belastet wird.
Der 1925 geborene Antragsteller befindet sich seit 7. März 2005 in einem Altenpflegeheim. Die Heimkosten wurden zunächst aus dem Einkommen und Vermögen bezahlt.
Der Antragsteller und die Beigeladene sind Eigentümer einer ca. 111 qm großen Eigentumswohnung in A., deren Wert von der Antragsgegnerin mit ca. 202.000 € eingeschätzt wird.
Am 11. Juli 2005 beantragte der Antragsteller, vertreten durch seine Ehefrau, Hilfe zur Pflege ab 1. August 2005. Mit Bescheid vom 3. August 2005 bewilligte die Antragsgegnerin “vorerst darlehensweise Hilfe in besonderen Lebenslagen ab 1. August 2005 monatlich„. In dem Bescheid heißt es u.a. weiter, die Zahlungen erfolgten durch Überweisung zum 15. des laufenden Monats auf das Konto des Alten- und Pflegeheimes. Jede Änderung u. a. der Einkommens-und Vermögensverhältnisse sei unverzüglich und unaufgefordert dem Sozialhilfeträger mitzuteilen. Auf Bl. 2 des Bescheides wird u.a. verlautbart, die darlehensweise Kostenübernahme erfolge ab
1. August 2005 bis auf Weiteres.
Die Beigeladene wurde in einem besonderen Schreiben vom selben Tag darauf hingewiesen, dass die Kostenzusage wegen des Miteigentums an der Eigentumswohnung darlehensweise erfolge.
Mit Schreiben vom 9. November 2005 wurde der inzwischen zum Betreuer des Antragstellers bestellte Sohn des Antragstellers darauf hingewiesen, dass eine darlehensweise Hilfegewährung von der Eintragung im Grundbuch wegen vorhandenen Vermögens in Form einer Eigentumswohnung abhängig gemacht werde.
Mit Schreiben vom 24. November 2005 wurde dem Betreuer eine Zustimmungserklärung zur Eintragung einer Grundschuld über 100.000 € zur Unterschrift zugesandt. Der Antragsteller lehnte in der Folgezeit die Verwertung der Eigentumswohnung ab.
Daraufhin erteilte die Antragsgegnerin mit Datum vom 25. April 2006 einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Sie hob darin den Bescheid vom 3. August 2005 gemäß § 45 Sozialgesetzbuch X (SGB X) auf und forderte die bisher zu Unrecht geleisteten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 13.166,22 € aufgrund vorhandenen Vermögens zurück. Die laufende Zahlung stellte sie ab Mai 2006 ein.
Der Antragsteller erhob Widerspruch, den die Antragsgegnerin inzwischen mit Bescheid vom 28. März 2007 als unbegründet zurückgewiesen hat. Ob inzwischen Klage erhoben wurde, ist nicht ersichtlich.
Bereits am 17. Mai 2006 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (im Folgenden: SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er begehrt die Übernahme der monatlich anfal...