Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufliche Weiterbildung. Kostenerstattungsanspruch nach BerRehaG. keine Übernahme der Kosten nach SGB 3. keine teleologische Reduktion. sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme. Bildungsgutschein. Verfassungswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, den klaren Gesetzeswortlaut des als Anspruchsnorm formulierten § 7 BerRehaG zu Lasten des Begünstigten zu reduzieren.
Orientierungssatz
An Stelle des Bildungsgutscheines gem § 81 Abs 4 SGB 3 nF tritt im Anwendungsbereich des BerRehaG ein Bescheid der Bundesagentur für Arbeit.
Normenkette
BerRehaG §§ 7, 24 Abs. 1; SGB III § 81 Abs. 1, 4; SGB III a.F. § 77 Abs. 3; SGB I § 31
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. Juni 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2009 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger entstehende Kosten der Fortbildung der Fachschule für Technik der gemeinnützigen Gesellschaft TÜV Rheinland Bildungswerk mBH in Q-Stadt zum staatlich geprüften Techniker zu erstatten und einen entsprechenden Zusagebescheid zu erlassen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtstreit betrifft die Förderung der beruflichen Weiterbildung eines in der DDR als Schüler von Verfolgungsmaßnahmen Betroffenen.
Der 1966 in W-Stadt geborene Kläger hat in der DDR die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule im Jahr 1983 und eine Ausbildung zum Fahrzeugschlosser 1985 abgeschlossen. Nach der Wiedervereinigung machte er 2002 die Meisterprüfung zum Kraftfahrzeugtechniker und schloss am 30. Juni 2004 eine Fortbildung der Handwerkskammer zum Betriebswirt (HWK) erfolgreich ab. Dem Kläger war der Zugang zur Abiturausbildung und zu einem Studium in der DDR verwehrt worden, weil er sich zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas bekannte. Die Rechtsstaatswidrigkeit der verweigerten Abiturausbildung zum Erwerb der Hochschulreife wurde mit Rehabilitierungsbescheinigung der Rehabilitierungsbehörde des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales festgestellt und bescheinigt, dass der Kläger von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) betroffen war.
Seit 1. Januar 2005 arbeitet der Kläger bei der Firma XY. GmbH als Kratfahrzeugsachverständiger. Er stellte am 30. Oktober 2008 bei der Beklagten einen Antrag zur Förderung der beruflichen Weiterbildung. Der Kläger möchte eine 24-monatige Fortbildungsmaßnahme der Fachschule für Technik der gemeinnützigen Gesellschaft TÜV Rheinland Bildungswerk mbH in Q-Stadt mit dem Bildungsziel “Techniker (staatlich geprüft) - Fachrichtung Kraftfahrzeugtechnik„ absolvieren und die Kosten von der Beklagten erstattet bekommen. Die Aufstiegsfortbildung zum “Staatlich geprüften Techniker Fachrichtung Kraftfahrzeugtechnik„ ermöglicht Gesellen und Facharbeitern den Aufstieg im erlernten Beruf. Zusätzlich bietet der TÜV Rheinland in seiner Einrichtung die Möglichkeit, die Fachhochschulreife zu erwerben.
Der Antrag wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 16. Februar 2009 abgelehnt, weil die Zulassung von Aufstiegsfortbildungen grundsätzlich nicht möglich sei. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn zur Integration des Kunden keine andere Maßnahme möglich sei, um ihn wieder einzugliedern, oder es sich um die wirtschaftlichste Maßnahme handelt, mit der dieses Ziel erreicht werden könne.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2009 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid begründet die Ablehnung mit der fehlenden Zulassung der Fortbildungsmaßnahme nach § 77 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der vom 1. Januar 2009 bis 31. März 2012 geltenden Fassung (a.F.). Auch die §§ 6, 7 BerRehaG setzten die Teilnahme an einer zugelassenen Maßnahme voraus.
Mit seiner am 21. April 2009 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er trägt vor, die beantragte Fortbildung sei förderungsfähig und verweist auf das Merkblatt der Rehabilitierungsstelle, wonach verfolgte Schüler privilegiert seien.
Die Klage ist mit Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. Juni 2010 abgewiesen worden. Das Sozialgericht legt dar, dass die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 SGB III a.F. nicht vorlägen, weil der Kläger weder arbeitslos noch von Arbeitslosigkeit bedroht noch ohne Berufsabschluss sei. Auch aus dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz ergebe sich nichts anderes. Die begehrte Fortbildung habe im Zeitpunkt der Antragstellung und im Zeitpunkt der angefochtenen Maßnahme keine Zulassung gehabt. Die Ausstellung eines Bildungsgutscheins für eine zukünftige Maßnahme nach § 77 Abs. 3 SGB III a.F. sehe das Berufliche Rehabilitierungsgesetz nicht vor.
Mit der am 3. Juni 2010 eingelegten Berufung trägt der Kläger vor, die Weiterbildungsmaßname sei zwischenzeitlich zugel...