Hält das Qualifizierungsgeld, was es verspricht?


Hält das Qualifizierungsgeld, was es verspricht?

Das ab April 2024 verfügbare Qualifizierungsgeld soll Unternehmen beim Strukturwandel unterstützen. Ob diese Maßnahme tatsächlich einen großen Beitrag leisten wird, zweifelt Christiane Droste-Klempp in ihrer Kolumne an.

"Ab 1. April 2024 müssen Sie sich nicht mehr so viele Gedanken über die Kosten in Zusammenhang mit Weiterbildung machen, denn Sie erhalten das Gehalt, welches Sie an Ihre Mitarbeitenden während einer von Ihnen finanzierten Weiterbildung zahlen, von der Agentur für Arbeit erstattet." Super, nicht wahr?!

So selbst gehört auf einem Treffen von KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) in Stuttgart. Nur leider ist es so leicht nicht. Denn wussten Sie, dass neben weiteren Voraussetzungen zunächst für mindestens 20 Prozent der Beschäftigten Qualifizierungsbedarfe bestehen müssen, um ein solches Qualifizierungsgeld erhalten zu können?

Qualifizierungsgeld: Eine sinnvolle Idee

Aber starten wir positiv. Tatsache ist, dass zahlreiche Unternehmen in Deutschland vor der Herausforderung einer umfangreichen Umstrukturierung stehen und dass hierfür neue Qualifikationen erforderlich sind, die in dem Umfang und in der Tiefe bei den bestehenden Mitarbeitenden nicht abgerufen werden können. Somit ist es zweifelsfrei sinnvoll, den Arbeitgebern ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem Beschäftigte im Unternehmen gehalten werden können und durch Weiterbildung die Arbeitsfähigkeit entwickelt wird, die sie für ihren zukünftigen Erfolg benötigen. Zudem reduziert ein solches Instrument die Kosten, schafft Vertrauen, erhöht die Bindung und zugleich wird Arbeitslosigkeit vermieden. Grundsätzlich also ein sehr guter Gedanke, Unternehmen auf ihrem Weg der Transformation mit einem solchen Weiterbildungsinstrument, dem Qualifizierungsgeld, zu unterstützen.

Kompakte Regelungsübersicht zum Qualifizierungsgeld

Gültigkeit: Das Qualifizierungsgeld wird mit dem "Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung" mit Wirkung zum 1. April 2024 eingeführt (mehr dazu lesen Sie hier).

Zielgruppe: Zielgruppe des Qualifizierungsgeldes sind Betriebe und deren Beschäftigte, denen durch den Strukturwandel der Verlust von Arbeitsplätzen droht, eine Weiterbildung jedoch eine zukunftssichere Beschäftigungsperspektive bei ihrem Arbeitgeber ermöglichen kann.

Voraussetzungen für die Zahlung des Qualifizierungsgeldes:

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können bei Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung für die Dauer der Weiterbildungsmaßnahme Qualifizierungsgeld von der Agentur für Arbeit erhalten, wenn die folgenden Grundvoraussetzungen gegeben sind: 

  • Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen,
  • Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen,
  • Ermittlung der Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die über ausschließlich arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinausgehen,
  • die Zulassung des Trägers der Maßnahme für die Förderung,
  • mind. 120 Stunden und max. dreieinhalb Jahre dauernde (Vollzeit-)Maßnahme

Bedeutung "betriebliche Voraussetzungen":

  • Im Betrieb müssen sich strukturwandelbedingte Qualifizierungsbedarfe für mind. 20 Prozent der Beschäftigten innerhalb der nächsten drei Jahre ausgehend von der Antragstellung ergeben (In klein- und mittelständischen Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten wird die Grenze bei mindestens zehn Prozent der Beschäftigten gezogen).
  • Es muss eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag über das Bestehen des strukturwandelbedingten Qualifizierungsbedarfs vorliegen, die Beschäftigungsperspektiven der Betroffenen enthält.

Bedeutung "persönliche Voraussetzungen":

  • Die mit Qualifizierungsgeld zu fördernden Beschäftigten müssen die Weiterbildung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses bei ihrem Arbeitgeber durchführen.
  • Das Arbeitsverhältnis darf für die Dauer der Förderung weder gekündigt noch durch Aufhebungsvertrag aufgelöst werden.

Förderhöhe des Qualifizierungsgelds:

Das Qualifizierungsgeld beträgt nach dem Vorbild des Kurzarbeitergeldes 60 bzw. 67 Prozent der durchschnittlich auf den Tag entfallenden Nettoentgeltdifferenz im Referenzzeitraum. Den erhöhten Leistungssatz erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz (mind. ein Kind im steuerrechtlichen Sinn im Haushalt) erfüllen.

Vier Fragen und meine Antworten

1. Wie viele Unternehmen in Deutschland sind tarifgebunden?

Laut statistischem Bundesamt war für rund 41 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland das Beschäftigungsverhältnis 2022 durch einen Tarifvertrag geregelt. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Für 43 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den alten Bundesländern war das Beschäftigungsverhältnis 2022 durch einen Branchentarifvertrag geregelt. Für zehn Prozent der Beschäftigten galten Firmentarifverträge. In den neuen Ländern war die Tarifvertragsbindung deutlich niedriger. Hier galten für 33 Prozent der Beschäftigten Branchentarifverträge. Zwölf Prozent arbeiteten in Unternehmen mit Firmentarifverträgen. Für 48 Prozent der Beschäftigten im Westen und 55 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten gab es keinen Tarifvertrag.

2. Wie viele Unternehmen haben einen Betriebsrat?

Laut statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2022 insgesamt 43 Prozent der Beschäftigten in Deutschland durch Arbeitnehmervertretungen repräsentiert. Betriebsräte werden in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten gewählt. In der Privatwirtschaft lag der Anteil bei 39 Prozent, im öffentlichen Dienst war der Anteil der durch Personalräte vertretenen Beschäftigten bei 95 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch. Eine wichtige Rolle spielt auch die Größe des Betriebes: 2022 hatten unter acht Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben mit fünf bis 20 Beschäftigten einen Betriebsrat. Der Anteil wächst jedoch mit der Unternehmensgröße auf 86 Prozent in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden.

3. Wie viele Unternehmen können es sich leisten, auf 10 Prozent bzw. 20 Prozent ihrer Beschäftigten immer wieder zu verzichten?

und

4. Wie viele Unternehmen können diese Weiterbildungskosten aufbringen?

Bei den Fragen drei und vier handelt es sich eher um rhetorische Fragestellungen, da uns allen klar ist: Je kleiner das Unternehmen, umso schwieriger wird es sein, auf Mitarbeitende verzichten zu können und umso unrealistischer, enorme Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen aufbringen zu können. Denn es handelt sich, wie unter der Rubrik "Voraussetzungen" lesbar, nicht um kurzfristige Anpassungsfortbildungen.

Bloß ein Instrument zur Stärkung der Tarifbindung?

Auf dem KMU-Treffen in Stuttgart musste ich deshalb einer Vielzahl von Anwesenden mitteilen, dass dieses so attraktiv klingende Weiterbildungsinstrument für die meisten unerreichbar sein wird, da die entsprechenden Voraussetzungen nicht erfüllt werden können. 

Zumindest bleibt die Bundesregierung mit der Einführung dieser Maßnahme ihrem Grundsatz "Stärkung der Tarifbindung" treu! Erst im August haben Deutschlands Arbeitgeber die Pläne der Bundesregierung zur Stärkung der Tarifbindung als verfassungswidrig kritisiert, denn "Tarifzwangregelungen greifen in die vom Grundgesetz geschützte Tarifautonomie ein", sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und zudem: "Tarifzwang schafft Bürokratie - im Unternehmen und bei den Kontrolleuren der öffentlichen Hände."

Mit dem Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung wird ab 1. April 2024 nun ein weiteres Gesetz in Kraft treten, welches ebendies verfolgt: die Tarifbindung in Deutschland stärken.


Christiane Droste-Klempp arbeitet im eigenen Unternehmen als Trainerin, Beraterin und Projektleiterin für sämtliche Themen des Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts und berät seit vielen Jahren Unternehmen bei der Auswahl und Umsetzung strategischer Personalmodelle.