Rz. 7
Bei Feststellung eines Anspruchs auf Witwenrente/Witwerrente an vor dem 1.7.1977 geschiedene Ehegatten sind vorrangig die Abs. 1 und 2 der Vorschrift zu prüfen, weil eine Rentenbewilligung nach Abs. 3 der Vorschrift nur in Betracht kommt, wenn und solange auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes (§§ 97, 314, 314a i. V. m. §§ 18a bis 18e SGB IV) eine Hinterbliebenenrente an eine Witwe/einen Witwer oder einen überlebenden Lebenspartner des verstorbenen Versicherten nicht zu leisten ist. Der Anspruch nach den Abs. 1 und 2 besteht dagegen unabhängig vom Vorhandensein eines hinterbliebenen Ehegatten oder Lebenspartners. Soweit ein weiterer Berechtigter vorhanden ist, findet vielmehr gemäß § 91 eine Aufteilung der Witwenrenten/Witwerrenten statt. Abs. 1 enthält die Voraussetzungen für einen Anspruch auf kleine Witwenrente/Witwerrente an vor dem 1.7.1977 geschiedene Ehegatten; Abs. 2 regelt die Anspruchsvoraussetzungen für eine große Witwenrente/Witwerrente an den vorgenannten Personenkreis. Im Gegensatz zu dem bis zum 31.12.1991 geltenden Recht, das eine Unterscheidung zwischen kleiner und großer Witwenrente/Witwerrente nur bei Berechnung der Rente enthielt, handelt es sich seit dem Inkrafttreten des SGB VI am 1.1.1992 um 2 eigenständige Rentenansprüche. Zur Vermeidung von Doppelleistung enthält § 89 Abs. 2 eine Regelung, nach der die kleine Witwenrente/Witwerrente nicht geleistet wird, solange für denselben Zeitraum auch ein Anspruch auf große Witwenrente/Witwerrente besteht.
2.1 Voraussetzungen für einen Anspruch auf kleine Witwenrente/Witwerrente
2.1.1 Auflösung der Ehe vor dem 1.7.1977
Rz. 8
Anspruch auf Witwenrente/Witwerrente an vor dem 1.7.1977 geschiedene Ehegatten besteht (unter anderem) nur, wenn die Ehe der antragstellenden Person mit dem verstorbenen Versicherten nach dem Eherecht aufgelöst worden ist, das vor dem 1.7.1977 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (ohne das Beitrittsgebiet) anzuwenden gewesen ist (Abs. 1 Nr. 1). Maßgebend ist hierbei der Zeitpunkt der Verkündung des Scheidungsurteils. Eine Ehe ist nämlich auch dann nach dem bis zum 30.6.1977 geltenden Eherecht aufgelöst, wenn das Scheidungsurteil vor dem 1.7.1977 verkündet, aber erst nach diesem Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist (BGH, Beschluss v. 27.6.1979, FamRZ 1979 S. 906, 907).
Rz. 9
Geschiedenen Ehegatten stehen nach Abs. 5 der Vorschrift Ehegatten gleich, deren Ehe für nichtig erklärt oder aufgehoben ist. Geschiedener Ehegatte i. S. d. § 243 ist somit derjenige, dessen Ehe mit dem verstorbenen Versicherten nach dem bis zum 30.6.1977 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (ohne das Beitrittsgebiet) geltenden Eherecht
geschieden ist (§§ 41 ff. EheG v. 20.2.1946); Scheidungsgründe konnten z. B. sein:
- Ehebruch (§ 42 EheG 1946),
- andere Eheverfehlungen (§ 43 EheG 1946),
- auf geistiger Störung beruhendes Verhalten (§ 44 EheG 1946),
- Geisteskrankheit (§ 45 EheG 1946),
- Ehezerrüttung (§ 48 EheG 1946),
für nichtig erklärt ist (§§ 16 ff. EheG v. 20.2.1946); Nichtigkeitsgründe konnten z. B. sein:
- Mangel an der Form der Eheschließung (§ 17 EheG 1946),
- Mangel der Geschäfts- und Urteilsfähigkeit (§ 18 EheG 1946),
- Eheschließung nur zum Zwecke der Namensführung (§ 19 EheG 1946),
- Doppelehe (§ 20 EheG 1946),
- Eheschließung zwischen Verwandten und Verschwägerten (§ 21 EheG 1946),
aufgehoben ist (§§ 28 ff. EheG v. 20.2.1946); Aufhebungsgründe konnten z. B. sein:
- Mangel der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 30 EheG 1946),
- Irrtum über die Eheschließung oder die Person des anderen Ehegatten (§ 31 EheG 1946),
- Arglistige Täuschung (§ 33 EheG 1946),
- Drohung (§ 34 EheG 1946),
- Wiederverheiratung nach irrtümlicher Todeserklärung (§ 39 EheG 1946).
Rz. 10
Soweit eine Ehe erst nach dem 30.6.1977 auf Antrag der Staatsanwaltschaft für nichtig erklärt worden ist, der Versicherte aber bereits vor dem 1.7.1977 gestorben ist, ist der Zeitpunkt der Auflösung der Ehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Todestag des Versicherten zu legen (BGH, Beschluss v. 12.12.1984, FamRZ 1985 S. 270, 271).
Über die Scheidung, Nichtigkeit oder Aufhebung der Ehe muss ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil vorliegen. Der Nachweis der Rechtskraft eines solchen Urteils kann durch eine Urteilsausfertigung mit einem Rechtskraftvermerk der Geschäftsstelle des für die Auflösung der Ehe zuständigen Landgerichts geführt werden.
Rz. 11
Urteile von Gerichten der DDR über die Auflösung einer Ehe sind als Urteile deutscher Gerichte grundsätzlich wirksam (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages v. 31.8.1990, BGBl. II S. 889), es sei denn, die Anerkennung des Urteils ist verweigert worden, weil dieses mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar war (Art. 18 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag). Über die Nichtanerkennung von Eheauflösungen durch Gerichte der ehemaligen DDR haben ausschließlich die zuständigen Zivilgerichte zu entscheiden.
Urteile von ausländischen Gerichten über die Auflösung einer Ehe bedürfen für ihre Wirksamkeit grundsätzlich der Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung des Landes, in dem sich einer der ge...