Rz. 18
Die Frage, ob Versicherte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, wurde vom BSG im Rahmen seiner Rechtsprechung zur früheren Erwerbsunfähigkeit und den hierbei entwickelten sog. Katalogfällen im Ergebnis bereits unter dem Gesichtspunkt der betriebsüblichen Arbeitsbedingungen geprüft. Nur der noch vollschichtig leistungsfähige Versicherte war als erwerbsfähig anzusehen, der noch unter den in Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten konnte (vgl. BSGE 44 S. 39; § 1246 RVO Nr. 22). Es liegt auf der Hand, dass die insoweit entwickelten Grundsätze auch für die in § 43 Abs. 3 verwandte Formulierung "übliche Bedingungen des Arbeitsmarktes" einschlägig sind, denn was betriebsunüblich ist, entspricht auch nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts (vgl. BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R).
Rz. 19
Ein Arbeiten unter betriebsüblichen Bedingungen ist insbesondere dann nicht mehr möglich, wenn der Versicherte über die gesetzlich vorgesehenen Pausen hinaus (krankheitsbedingt) zusätzliche Arbeitspausen in Anspruch nehmen muss (vgl. BSG, SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43). Zuweilen wertet das BSG die Notwendigkeit zusätzlicher Pausen auch als ungewöhnliche Leistungseinschränkung (vgl. BSG, Urteil v. 19.8.1997, 13 RJ 11/96), die im Falle einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht bereits die Verschlossenheit des Arbeitsmarkts zur Folge hat, sondern die Rechtsanwender zunächst (lediglich) zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit verpflichtet (vgl. hierzu Rz. 26 ff.). Diese Rechtsprechung erscheint allerdings zweifelhaft, denn unter den "üblichen Bedingungen" ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d. h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise tatsächlich Entgelt erzielt wird. Hierzu gehören – neben tatsächlichen Umständen – insbesondere auch rechtliche Bedingungen, wie Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Arbeitsschutzvorschriften, aber auch Urlaubs- und Pausenregelungen (BSG, Urteil v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Wer wegen Krankheit und Behinderung nicht mehr in der Lage ist, unter betriebsüblichen Pausenregelungen zu arbeiten, dem ist der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen und er hat damit Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Rz. 19a
Den Maßstab für den zusätzlichen Pausenbedarf bildet zunächst § 4 ArbZG, wonach bei einem täglichen Arbeitseinsatz von mehr als 6 bis zu 9 Stunden ein Anspruch auf eine Unterbrechung der Arbeitszeit von zumindest 30 Minuten besteht, wobei diese höchstens in zwei 15-minütige Arbeitsunterbrechungen (und nicht in kleinere Zeitabschnitte) aufgeteilt werden darf. Ein über diesen Zeitrahmen hinausgehender Pausenbedarf oder die Notwendigkeit der Einteilung der Pausen in kleinere Zeitabschnitte und hierdurch bedingte mehrfache Arbeitsunterbrechungen (z. B. bei einem Diabetiker, der mehrere kleinere Pausen zur Nahrungsaufnahme, Blutzuckermessung und zur Verabreichung von Insulin benötigt) führt jedoch nicht zwingend und automatisch zur Verschlossenheit des Arbeitsmarkts und damit zum Eintritt des Versicherungsfalls der vollen Erwerbsminderung. Obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung einerseits einräumt, dass arbeitslose Versicherte mit erhöhtem Pausenbedarf nicht mit einer Einstellung rechnen könnten, weil der Arbeitgeber allenfalls bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen aus seiner Fürsorgepflicht heraus oder aufgrund von Betriebsvereinbarungen oder tariflichen Regelungen verpflichtet sei, leistungsgeminderten Beschäftigten zusätzliche Pausen zu gewähren (BSG, a. a. O.), wird hieraus nicht die naheliegende Schlussfolgerung gezogen, arbeitslosen Versicherten mit einem Pausenbedarf, auf den kein Rechtsanspruch besteht, sei der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Der fehlende Rechtsanspruch auf zusätzliche Pausen besagt nach der Rechtsprechung nichts darüber, ob in der Praxis gleichwohl zusätzliche Pausen bei Bedarf üblicherweise gewährt werden. Der Arbeitgeber sei nur gehalten, die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen zu gewähren. Er sei nicht gehindert, darüber hinaus Zugeständnisse hinsichtlich der Pausenregelungen zu machen. Entscheidend sei mithin, welche Pausen tatsächlich im Arbeitsleben üblicherweise gewährt würden und damit arbeitsmarktüblich sind. Dies sei von den Rechtsanwendern zu ermitteln. Dahingehende Ermittlungen sind jedoch weder der Entscheidungspraxis der Rentenversicherungsträger noch den Urteilen der Tatsachengerichte oder deren Ermittlungspraxis zu entnehmen, sodass klare Feststellungen dazu, wie sich die – möglicherweise von dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung von Pausen nach § 4 ArbZG abweichende – Praxis der Pausengewährung in deutschen Betrieben gestaltet, nicht getroffen werden können.
Rz. 19b
Die Gerichte orientieren sich bei ihren (wenigen) Entscheidungen im Wesentlichen daran, ob sich die über die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen hinausgehenden krankheitsbedingten Arbeitsunterbrechungen ...