Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimliche Übertragung einer Betriebsratssitzung an Dritte
Leitsatz (amtlich)
Die heimliche Übertragung einer Betriebsratssitzung durch ein Betriebsratsmitglied an Dritte stellt sowohl eine Amtspflicht- als auch eine Vertragspflichtverletzung dar und ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Dies gilt auch, wenn die Kündigung nur auf dem dringenden Verdacht der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gestützt wird. Im Rahmen der Interessenabwägung kann unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in diesem Fall jedoch eine Abmahnung als angemessene Maßnahme ausreichend sein.
Normenkette
KSchG § 15; BetrVG §§ 103, 79; BGB § 626; StGB § 201 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 26.01.2011; Aktenzeichen 28 Ca 7333/10) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26.01.2011 – 28 Ca 7333/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen vom 13.09.2010 und vom 20.09.2010.
Die 1956 geborene ledige Klägerin ist seit Juli 1990 bei der Beklagten als Mitarbeiterin im Verkauf beschäftigt. Sie verdiente zuletzt monatlich EUR 2.445,- brutto. Die Beklagte betreibt bundesweit Kaufhäuser. Die Klägerin ist seit 11.05.2010 Mitglied des 23-köpfigen Betriebsrats, welcher zuständig ist für die Betriebsstätten in S., L., S. und R. sowie Mitglied des Betriebsausschusses.
Am 01.09.2010 fand die erste Betriebsausschusssitzung unter Beteiligung der Klägerin statt. Kurz vor Beginn dieser Sitzung um 14.00 Uhr wurde die Klägerin auf ihrem Mobiltelefon angerufen. Sie bewegte sich Richtung Toilette, um das Gespräch anzunehmen. Kurze Zeit später begab sich die Klägerin Richtung Sitzungsraum und nahm dort zwischen den Betriebsratsmitgliedern Frau S. und Frau B. Platz. Die Klägerin legte das Mobiltelefon in eine vor ihr befindliche schwarze Sammelmappe. Gegen 14.45 Uhr forderte Frau S. die Klägerin auf, ihr das Mobiltelefon zu zeigen, sie wolle das Display sehen. Die genauen jeweiligen Äußerungen sowie das genaue Verhalten der Klägerin auf diese Aufforderung hin sind zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 01.09.2010 (Blatt 62 der erstinstanzlichen Akte) lud die Beklagte die Klägerin zu einem Gespräch für den 02.09.2010 ein. Bei diesem Gespräch waren neben der Klägerin die Bereichsleiterin Frau P. und deren Kollegin Frau K. sowie – auf Wunsch der Klägerin – die Betriebsrätin Frau K. und Frau F. von Ver.di anwesend. Der genaue Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien wiederum streitig. Hinsichtlich der von Frau P. angefertigten Dokumentation wird auf Blatt 139-140 der erstinstanzlichen Akte verwiesen. Mit weiterem Schreiben vom 03.09.2010 lud die Beklagte die Klägerin nochmals zu einem Gespräch auf den 06.09.2010 ein (Blatt 69 der erstinstanzlichen Akte) mit dem Ziel, ihr „erneut Gelegenheit zu geben, den gegen Sie erhobenen Verdacht auf Mitschneiden/Mithören lassen über Ihr Mobiltelefon auszuräumen und einen entsprechenden Beweis anzutreten”. Die Klägerin, welche zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank war, nahm diesen Gesprächstermin nicht wahr.
Mit Schreiben vom 07.09.2010 beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin. Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf Blatt 136/137 der erstinstanzlichen Akte verwiesen. U.a. heißt es hierin: „Hiermit beantragen wir die Zustimmung für die außerordentliche Kündigung von Frau B. wegen Begehung einer Straftat, hilfsweise wegen des dringenden Verdachts” sowie „Ein solches Verhalten stellt einen schwerwiegenden Vertrauensmissbrauch dar. Es ist Arbeitnehmern nicht zuzumuten, dass sie ohne ihr Wissen abgehört oder überwacht werden. Das Vertrauen in die Person und Integrität von Frau B. gegenüber anderen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber ist auf Dauer und unwiederbringlich gestört. Aus diesem Grunde sehen wir uns gezwungen, das Arbeitsverhältnis mit Frau B. aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung zu beenden. Hilfsweise wird die Kündigung auf den dringenden Verdacht, dass Frau B. diese Tat begangen hat, gestützt”. Die Klägerin äußerte sich gegenüber dem Betriebsrat schriftlich mit Schreiben vom 11.09.2010 (Blatt 70-71 der erstinstanzlichen Akte). Der Betriebsratsvorsitzende teilte der Beklagten mit Schreiben vom 13.09.2010 (Blatt 142 der erstinstanzlichen Akte) mit, der Betriebsrat und der Personalausschuss hätten beschlossen, die Zustimmung gemäß § 103 BetrVG zu erteilen. Die Beklagte fertigte nach Erhalt des Zugangs der Stellungnahme des Betriebsrats das Kündigungsschreiben vom 13.09.2010 aus (Blatt 49 der erstinstanzlichen Akte) und stellte es am gleichen Tag der Klägerin in deren Privatbriefkasten zu.
Vor dem Arbeitsgericht Stuttgart führte die Klägerin zusammen mit 4 weiteren Betriebsratsmitgliedern ein Beschlussverfahren g...