Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Auflösung eines Betriebsrats bei Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit einer Betriebsversammlung unter absichtlicher Irreführung einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft. Rechtswidrige Betriebsversammlung vor dem geselligen Teil einer Weihnachtsfeier des Gesamtunternehmens
Leitsatz (amtlich)
1. Verhindert ein Betriebsrat durch absichtliche Irreführung die Teilnahme einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft an einer Veranstaltung, die nach Ansicht des Betriebsrats eine Betriebsversammlung sein soll und führt er weder auf Antrag der Gewerkschaft eine ordnungsgemäße Betriebversammlung noch überhaupt die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Betriebsversammlungen durch, stellt dies eine grobe Verletzung gesetzlicher Pflichten dar, die auf Antrag der Gewerkschaft zur Auflösung des Betriebsrats führen kann.
2. Eine Weihnachtsfeier, zu der die Mitarbeiter aller deutschen Betriebe eines Unternehmens von der Geschäftsleitung und Vertretern des Gesamtbetriebsrats eingeladen sind und auf der vor dem "geselligen Teil" die Geschäftsführung und der Gesamtbetriebratsvorsitzende Geschäftsberichte abgeben, erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen iSd. §§ 42 ff. BetrVG für eine Betriebsversammlung eines der Betriebe nicht.
3. Informationsveranstaltungen, die vom Betriebsrat nicht beschlossen sind, können keine an Stelle der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsversammlungen tretende Abteilungsversammlungen sein.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 1 S. 2, § 43 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 46
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 24.07.2013; Aktenzeichen 22 BV 13/13) |
Tenor
- Die Beschwerden des Betriebsrats und der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.07.2013, Az. 22 BV 13/13, werden zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird weder für den Betriebsrat noch für die Arbeitgeberin zugelassen.
Gründe
I.
Die I. M. begehrt die Auflösung des im Betrieb W. der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats, hilfsweise den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat. Dem Antrag liegt ein Streit über die ordnungsgemäße Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsversammlungen, ersatzweise Abteilungsversammlungen, ggf. auf Antrag der I. M., zur richtigen Zeit und am richtigen Ort und die Einladung der I.M. zu diesen Versammlungen zu Grunde.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von Hochdruckreinigern. Sie beschäftigte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens im Betrieb des Hauptsitzes in W. 1.900 Arbeitnehmer. Weitere deutsche Betriebe befinden sich in B., O., I. und G.. Insgesamt beschäftigte die Arbeitgeberin 8.700 Arbeitnehmer. Von den 17 Betriebsratsmitgliedern zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung gehörten zwei der I. M. an. Der Vorsitzende des Betriebsrats W. war zugleich Gesamtbetriebsratsvorsitzender. Am 10.03.2014 wählten die Arbeitnehmer des Betriebes W. einen neuen, jetzt 19köpfigen, Betriebsrat. Sechs Sitze errangen Mitglieder der I. M. Der bisherige Betriebsratsvorsitzende geht davon aus, dass er bei der konstituierenden Sitzung des neuen Betriebsrats in der 12. Kalenderwoche des Jahres wieder zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt wird.
Mit Beschluss vom 24.07.2013 hat das Arbeitsgericht dem Hauptantrag der I. M. stattgegeben und den Betriebsrat aufgelöst. Betriebsrat und Arbeitgeberin haben den Beschluss am 08.08.2013 zugestellt erhalten. Die Beschwerde des Betriebsrats ist am 02.09.2013 und die Beschwerde der Arbeitgeberin im 06.09.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Der Betriebsrat hat seine Beschwerde innerhalb der bis 08.11.2013 verlängerten Begründungsfrist am 08.11.2013 begründet. Die Arbeitgeberin hat ihre Beschwerde innerhalb der bis 15.11.2013 verlängerten Begründungsfrist am 15.11.2013 begründet.
Betriebsrat und Arbeitgeberin beantragen,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 24.07.2013, Az 22 BV 13/13, abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
Die I. M. beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und Anlagen, den Sachverhalt des Beschlusses des Arbeitsgerichts und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen ergänzend Bezug genommen. Von der weiteren Sachverhaltsdarstellung wird in entsprechender Anwendung von § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen, da dieser Beschluss einem Rechtsmittel nicht unterfällt.
II.
1. Die Beschwerden sind statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG). Sie sind form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet (§§ 89, 87 Abs. 2 iVm. 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).
2. Die Beschwerden sind in der Sache unbegründet.
a) Für den Antrag der I. M. ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen, dass im Betrieb der Arbeitgeberin in W. am 10.03.2014 ein neuer Betriebsrat gewählt worden ist.
(1) Zur Überzeugung der Kammer war der Betriebsrat, um dessen Auflösung es im vorliegenden Verfahren geht, zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen...