Entscheidungsstichwort (Thema)
Störung des personalen Vertrauensbereichs. Erforderliches Maß an politischer Loyalität im öffentlichen Dienstverhältnis (hier Polizei). Wesentliche Störung des Arbeitsverhältnisses durch illoyales außerdienstliches Verhalten. Ordentliche Kündigung einer Polizeiärztin wegen Anzeige gegen Corona. Gleichstellung des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 als Kündigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Das Maß der einem Beschäftigten des öffentlichen Dienstes abzuverlangenden Loyalität gegenüber der Verfassung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L bestimmt sich nach der Stellung und dem Aufgabenkreis, der dem Beschäftigten laut Arbeitsvertrag übertragen ist. Der Beschäftigte schuldet lediglich ein solches Maß an politischer Loyalität, das für die funktionsgerechte Verrichtung seiner Tätigkeit unverzichtbar ist (im Anschluss an BAG 6. September 2011 - 2 AZR 372/11 -).
2. Auch Arbeitnehmer, die nur eine "einfache" politische Treuepflicht trifft, müssen ein Mindestmaß an Verfassungstreue insoweit aufbringen, als sie nicht darauf ausgehen dürfen, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Handelt ein Arbeitnehmer diesen Anforderungen zuwider, kann dies ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist (im Anschluss an BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - ).
3. Zur Auslegung des Begriffs "Ermächtigungsgesetz"
4. Die Gleichsetzung des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes vom 18. November 2020 mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" ("Ermächtigungsgesetz") vom 24. März 1933 und die nachfolgende Aufzählung "Zwangsimpfung, Wegnehmen der Kinder, Schutzlos in der eigenen Wohnung, Geschlossene Grenzen, Arbeitsverbot, Gefängnis" macht die gesetzgebenden Organe verächtlich.
5. Veröffentlicht eine Polizeiärztin in einer Sonntagszeitung eine Anzeige mit diesem Inhalt, verstößt sie in so schwerwiegendem Maß gegen ihre einfache politische Treuepflicht nach § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L, dass eine ordentliche Kündigung auch ohne vorangegangene Abmahnung gerechtfertigt ist.
Normenkette
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 241 Abs. 2; TV-L § 3 Abs. 1 S. 2; GG Art. 10, 11 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 05.08.2021; Aktenzeichen 5 Ca 64/21) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Offenburg - vom 5. August 2021 - 5 Ca 64/21 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer ordentlichen Kündigung des beklagten Landes.
Die am 00.00.1967 geborene Klägerin war seit dem 1. November 2019 beim beklagten Land als Polizeiärztin im polizeiärztlichen Dienst (PÄD) am Standort in L. in Teilzeit im Umfang von 50% der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin beschäftigt. Der Monatsbruttoverdienst der Klägerin betrug durchschnittlich 3.206,00 Euro. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Arbeitsvertrag vom 30. Oktober 2019 (Anlage zur Klageerwiderung vom 21. April 2021, Bl. 61 ff. der erstinstanzlichen Akte). Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Der PÄD ist Teil des Aufgabenbereichs des Präsidiums Technik, Logistik, Service der Polizei in Baden-Württemberg - nachfolgend: PTLS. Der PÄD übt seine Aufgaben an fünf Standorten in Baden-Württemberg aus und betreut Beamtinnen und Beamte des Polizeivollzugsdienstes in allen Stationen ihrer Laufbahn. Ferner werden die Beschäftigten der Polizei (Tarifbeschäftigte und Verwaltungsbeamtinnen und -beamte) arbeits- und betriebsmedizinisch betreut. Der PÄD betreut außerdem hausärztlich alle Beamtinnen und Beamte in Ausbildung an den Schulstandorten während der Ausbildung. Gleichermaßen haben alle Heilfürsorgeberechtigte (an anderen Dienststellen) die Möglichkeit, den PÄD mit ihren individuellen medizinischen Problemen zu kontaktieren. Die insofern der Klägerin obliegenden Aufgaben ergeben sich aus der Tätigkeitsdarstellung und Tätigkeitsbewertung Stand Januar 2021 (Anlage zur Klageerwiderung vom 21. April 2021, Bl. 54 ff. der erstinstanzlichen Akte). Danach hat die Klägerin auch Auswahl- und Einstellungsuntersuchungen (Feststellung der Polizeidiensttauglichkeit, bestehend aus Aktenstudium und Erhebung Vorgeschichte, Anamnese, Untersuchung und Dokumentation, Überwachung Belastungs-EKG, Befundbewertung) vorzunehmen. Es handelt sich um körperliche Untersuchungen von Bewerbern zur Ausbildung für den Polizeidienst. Nach Durchlaufen der Ausbildung untersucht die Klägerin sie erneut, wenn es um die Entscheidung geht, ob sie in ein Dienstverhältn...