Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen an einen Arbeitskollegen gerichteter islamfeindlicher WhatsApp-Nachrichten
Leitsatz (redaktionell)
1. Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen (hier: durch Versendung islamfeindlicher WhatsApp-Nachrichten an einen Arbeitskollegen türkischer Herkunft) sind "an sich" geeignet, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
2. Ein Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung oder auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1; BGB § 626 Abs. 2; SGB IX § 178 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 29.11.2018; Aktenzeichen 11 Ca 3738/18) |
Tenor
- Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.11.2018 (11 Ca 3738/18) wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich im vorliegenden Verfahren gegen eine außerordentliche Kündigung vom 04. Juni 2018, eine außerordentliche Kündigung vom 05. Juni 2018 (deren Zugang der Kläger bestreitet) und eine hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. Juni 2018.
Der am XX.XX. 1973 geborene Kläger war seit dem 16. Dezember 1996 bei der Beklagten zuletzt im Bereich der Qualitätskontrolle im Werk U., Werksteil E., beschäftigt. Der Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 50). Gesetzliche Unterhaltspflichten bestehen nicht. Die Beklagte beschäftigt allein im Werksteil E. ca. 5.000 Arbeitnehmer. Der Kläger war in die ERA-Entgeltgruppe 8 eingruppiert.
Die Beklagte beruft sich im Rechtsstreit auf ihre "Verhaltensrichtlinie Richtlinie für integres Verhalten" und die Gesamtbetriebsvereinbarung "Arbeitsordnung" in der Fassung vom 01. Januar 2018 (siehe Anlagen B2 f., Abl. 120 ff.). In II.2. der Verhaltensrichtlinie ist unter der Überschrift "Wir fördern Vielfalt und achten das Gleichbehandlungsgebot" unter anderem geregelt:
"[...] Deshalb diskriminieren wir niemanden und behandeln alle Menschen gleich - ungeachtet von:
- Abstammung, Herkunft und Nationalität
- Religion und Weltanschauung
- politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung
- Geschlecht und sexueller Orientierung
- Behinderung
- Krankheit."
Ebenfalls unter II.2. der Verhaltensrichtlinie ist unter der Überschrift "Wir schützen die Persönlichkeitsrechte jedes/jeder Einzelnen" geregelt: "Jegliche Form der Belästigung oder Mobbing ist bei D. untersagt. Wir treten solchem Handeln entschieden entgegen." In XIII.2 der Arbeitsordnung ist geregelt, dass außerordentliche Kündigungen aus wichtigen Gründen, beispielsweise bei groben Verstößen gegen die Arbeitsordnung erfolgen. Unter XIII.2 j) werden das "Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Beschäftigten (Mobbing)" als mögliche Gründe für eine fristlose Kündigung genannt.
Nach einer stufenweisen Wiedereingliederung wurde der Kläger seit Oktober 2017 auf einem sogenannten MEE-Arbeitsplatz (MEE steht für "Mitarbeiter mit Einsatzeinschränkungen") in einer Abteilung des Presswerks im Werksteil E. eingesetzt. Jeweils drei bis vier Mitarbeiter mit Einsatzeinschränkungen überprüften in der sogenannten A-Schicht und B-Schicht Getriebeteile auf Schadstellen. Der Kläger war in der B-Schicht jedenfalls gemeinsam mit zwei weiteren Mitarbeitern mit Einsatzeinschränkungen, nämlich Herrn G. K. und Herrn J. S., tätig. Zuständiger Teamleiter für die A-Schicht und B-Schicht war Herr U. Ka.. Insgesamt war Herr Ka. für ein Team von ca. 60 Mitarbeitern verantwortlich.
Der Kläger hatte vom 28. August bis 13. Oktober 2017, vom 25. Oktober bis 03. November 2017 und vom 04. bis 31. Dezember 2017 Urlaub. Vom 02. Januar bis 12. Februar 2018 war er arbeitsunfähig erkrankt.
Am 15. März 2018 um 08:49 Uhr verschickte der Kläger von seinem Mobiltelefon während seiner Arbeitszeit eine Bild- und Tondatei über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp an das Mobiltelefon seines türkischen Kollegen Herrn K., der muslimischen Glaubens ist. Auf dem Bild ist eine Moschee zu sehen mit folgendem Text: "In Bayern wurde eine Moschee eröffnet, und beim ersten Gebet sind einige Bayern eingedrungen und haben ein paar Schüsse in die Luft geschossen. Ich sende dir die Aufzeichnung, damit du hörst, wie der Prediger sein Gebet geändert hat..." Beim Abspielen der Tonspur hört man zunächst Gebetsgesang, welcher durch Schüsse unterbrochen wird. Sodann ist zu hören, wie der offenbar getroffene Prediger zunächst in Schmerzen Geräusche von sich gibt, welche sodann in Jodelgesang übergehen. Ebenfalls am 15. März 2018 sandte der Kläger eine Bilddatei an Herrn K.. Das Bild zeigt eine offenbar muslimische Großfamilie mit der Aufschrift "Viele Muslime nehmen sich eine Zweit- oder Drittfrau und wir Deutschen nehmen uns einen Zweit- oder Drittjob um deren Leben zu finanzieren". Am 17. März 2018 um 18:59 Uhr schickte der Kläger eine Bilddatei an Herrn K.. Unter der Überschrift "Wir bauen einen Mu...