Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit Kürzung des Jahresurlaubs wegen krankheitsbedingter Ausfallzeiten im Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für den (genossenschaftlichen) Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg
Leitsatz (amtlich)
§ 17 Nr. 4 des Manteltarifvertrags für den (genossenschaftlichen) Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg ist dahingehend auszulegen, dass lediglich krankheitsbedingte Ausfallzeiten im laufenden Urlaubsjahr, nicht solche im vorhergehenden Urlaubsjahr den Arbeitgeber dazu berechtigen, den Jahresurlaub der Arbeitnehmerin zu kürzen. (im Anschluss an LAG Baden-Württemberg 11.12.2012 - 14 Sa 36/12 zum Manteltarifvertrag Einzelhandel Baden-Württemberg)
Normenkette
MTV für den (genossenschaftlichen) Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg § 17 Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 17.01.2020; Aktenzeichen 15 Ca 146/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 17. Januar 2020 (15 Ca 146/19) wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin aus dem Urlaubsjahr 2019 noch fünf Urlaubstage zustehen.
Zwischen den Parteien besteht seit dem 08. Januar 2001 ein Arbeitsverhältnis. Das Monatsentgelt der Klägerin beträgt aktuell 2.416,- Euro brutto. Die Parteien sind tarifgebunden. Die Klägerin ist Mitglied der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Beklagte Mitglied des GenoAGV Großhandel, Dienstleistung Süddeutschland e.V. Es gelten die Tarifverträge für den (genossenschaftlichen) Groß- und Außenhandel in Baden-Württemberg, darunter der Manteltarifvertrag für die ArbeitnehmerInnen des Groß- und Außenhandels in Baden-Württemberg vom 01. April 2007 (im Einzelnen s. Anlage A 6 zur Klagschrift). Der Manteltarifvertrag (MTV) enthält zum Urlaub u.a. folgende Regelungen:
"§ 16 Urlaubsanspruch
1. Die Beschäftigten haben in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf Urlaub unter Fortzahlung der ihnen zustehenden Bezüge. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
2. Der volle Urlaubsanspruch entsteht erstmals bei Beschäftigten über 18 Jahren nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten.
...
5. Im Laufe des Kalenderjahres eintretende oder ausscheidende Beschäftigte haben in diesem Kalenderjahr Anspruch auf so viel Zwölftel des Jahresurlaubes, als sie volle Monate in dem Unternehmen beschäftigt gewesen sind. Ist die Wartezeit gem. Abs. 2 und 3 im Eintrittsjahr noch nicht erfüllt, so wird der anteilmäßige Urlaub gewährt.
Scheiden Beschäftigte nach einer Beschäftigungsdauer von mehr als 1 Monat aus, so erhalten sie für jeden vollen Beschäftigungsmonat 1/12 des Jahresurlaubs.
...
§ 17 Urlaubsdauer
1. Der Urlaub beträgt für alle Arbeitnehmer/-innen, für Auszubildende und Jugendliche 30 Arbeitstage.
...
4. Wenn Krankheitszeiten oder wenn Badekuren oder Heilverfahren, ..., länger als sechs Monate dauern, so kann vom Jahresurlaub für jeden weiteren vollen Monat der Arbeitsunfähigkeit 1/12 in Abzug gebracht werden. Die so errechnete Urlaubsdauer ist auf volle Tage aufzurunden. Ist jedoch die Arbeitsunfähigkeit die Folge eines Arbeitsunfalles, der nicht auf einer groben Fahrlässigkeit vom Beschäftigten beruht, so ist der Urlaub in voller Höhe zu gewähren.
..."
Die Klägerin war vom 26. August 2018 bis zum 30. April 2019 ohne Unterbrechung arbeitsunfähig. Unter Berufung auf § 17 Nr. 4 MTV teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde den Jahresurlaub 2019 um fünf Urlaubstage kürzen. Mit Schreiben vom 11. Juni 2019 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr den Jahresurlaub 2019 ungekürzt zu gewähren. Das lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 18. Juni 2019 ab. Die Klage ging am 07. August beim Arbeitsgericht ein und wurde der Beklagten am 14. August 2019 zugestellt.
Die Klägerin hat vorgetragen,
der Jahresurlaub 2019 könne nicht gemäß § 17 Nr. 4 MTV gekürzt werden, weil sich die Tarifnorm auf Krankheitszeiten währende des Urlaubsjahres beziehe. Das folge aus der Systematik des Urlaubsanspruchs, der sich gemäß § 16 Nr. 1 MTV auf das jeweilige Urlaubsjahr beziehe. Würde man im Rahmen des § 17 Nr. 4 MTV Krankheitszeiten des Vorjahres berücksichtigen, sei der gesetzliche Mindestlohn nicht gewährleistet. Dass eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 17 Nr. 4 MTV auf Krankheitszeiten im jeweiligen Urlaubsjahr eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Krankheitszeiten, die bereits im Vorjahr begonnen hätten, zur Folge habe, sei hinzunehmen. Die Ungleichbehandlung resultiere aus der Stichtagsregelung, dass am 01.01. ein neues Urlaubsjahr beginne.
Im Urlaubsjahr 2019 sei sie nur vier Monate arbeitsunfähig gewesen, weshalb der Jahresurlaubsanspruch nicht zu kürzen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, auf dem Urlaubskonto der Klägerin für das Jahr 2019 fünf Urlaubstage wieder gutzuschreiben.
hilfsweise:
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin fünf Urlaubstage aus dem Jahr 2019 in das Jahr 2020 zu übertragen.
höchsthilfsweise:
die Beklagte zu verurtei...