Entscheidungsstichwort (Thema)
Diebstahl wirtschaftlich geringwertiger Sachen als Kündigungsgrund. Kinderreisebett-Fall
Leitsatz (amtlich)
1. Die weisungswidrige Aneignung auch einer wirtschaftlich geringwertigen Sache im Betrieb durch einen Arbeitnehmer ist – je nach Lage des Einzelfalls – grundsÃätzlich geeignet, einen Kündigungsgrund „an sich” für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.
2. Gerade bei der weisungswidrigen Aneignung wirtschaftlich geringwertiger oder wertloser Sachen durch einen Arbeitnehmer ist im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers ein überwiegendes Gewicht hat.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 30.07.2009 (15 Ca 278/08) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer dem Kläger von der Beklagten außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie einen vom Kläger geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der am 00.00.1980 geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern im Kleinkindalter unterhaltspflichtig ist, arbeitet seit dem 02.05.2000 bei der Beklagten, die ein Abfallentsorgungsunternehmen betreibt und zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitgegenständlichen Kündigung etwa 60 Arbeitnehmer beschäftigte, als Hofarbeiter zu einer durchschnittlichen monatlichen Vergütung von EUR 2.667,17 brutto. Die Beklagte ist ein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen, welches sich hauptsächlich mit Abfalltransporten sowie mit dem Sortieren von Abfällen befasst. Die Tätigkeit des Klägers umfasste insbesondere das Sortieren von Altpapier, das Fahren von Staplern und sonstige Hilfsarbeiten.
Sofern es ihnen von der Geschäftsleitung im Einzelfall gestattet wird, dürfen Mitarbeiter der Beklagten Gegenstände aus dem zu entsorgenden Müll privat mitnehmen. Hierzu müssen die Mitarbeiter einen der Geschäftsführer um Erlaubnis fragen. Soweit keine Gründe einer Mitnahme entgegenstehen, wird die Erlaubnis vom Geschäftsführer erteilt.
Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.07.2007 (vgl. Anlage S+P 4, Akten 1. Instanz Bl. 58 f; I/58) eine Abmahnung weil er am 11.07.2007 „firmeneigene PET-Flaschen gesammelt und diese in [einem] Zwischenlager deponiert” habe. Gleichzeitig wurde dem Kläger eine interne Aktennotiz vom Januar 2007 (vgl. Anlage S+P 3; I/57) überreicht, wonach es nicht erlaubt sei, PET-Pfandflaschen aus der Sammlung „Gelber Sack” mitzunehmen und für den Eigenbedarf zu nutzen. Der damalige Betriebsratsvorsitzende erhielt von der Beklagten eine Kopie des Abmahnungsschreibens zur Kenntnis.
Am 07.12.2007 fand ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer und dem Kläger wegen eines von der Beklagten angenommenen Diebstahls von im Rahmen des Altpapiers zu entsorgenden Toilettenpapiers aus einem Produktionsausschuss statt. Ob dem Kläger in diesem Zusammenhang eine Abmahnung ausgesprochen wurde, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 05.12.2008 entnahm der Kläger aus einem Altpapiercontainer, der in einer Halle auf dem Betriebsgrundstück der Beklagten zur Verarbeitung am Zuführband zur Altpapierpresse abgeladen worden war, einen Karton, in dem sich ein Kinderreisebett befand. Die Halle wird von der Beklagten mit einer Videoanlage überwacht, was den dort Beschäftigten bekannt ist. Das Kinderreisebett hätte als Müll entsorgt werden sollen. Zusammen mit einem von der Beklagten beschäftigten Leiharbeitnehmer baute der Kläger das Kinderreisebett in der Halle auf und begutachtete es. Danach baute der Kläger das Kinderreisebett wieder auseinander und transportierte es im zusammengeklappten Zustand zu seinem auf dem Mitarbeiterparkplatz stehenden PKW, wo er es offen auf dem Rücksitz abstellte (vgl. Lichtbilder Anlage S+P 5; I/84 ff.). Der Vorgang, jedenfalls in der Halle, wurde von dem Vorgesetzten des Klägers, dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Herrn A., sowie drei Disponenten über die Videoanlage beobachtet. Herr A. folgte dem Kläger zu dessen Pkw und fertigte dort Fotos von dem auf dem Rücksitz abgestellten Kinderreisebett an. Herr A. informierte zunächst ein weiteres Betriebsratsmitglied, Frau G., über seine Beobachtungen und dann einen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Beklagten. Nachdem der Kläger von Herrn A. und dem Mitarbeiter L., der den Vorfall ebenfalls beobachtet hatte, darauf angesprochen wurde, dass es ihm nicht erlaubt sei, das Kinderreisebett mitzunehmen, nahm er es wieder aus seinem PKW. Das Kinderreisebett wurde sodann als Müll entsorgt.
Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 08.12.2008 (vgl. Anlage S+P 1; I/55) zu einer beabsic...