Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelfallbezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Auswirkung von Urlaubsansprüchen über den Einzelfall hinaus. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Harmonisierung von Urlaubswünschen
Leitsatz (amtlich)
1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG besteht in jedem Einzelfall (vgl. Fitting § 87 BetrVG Rn. 206; HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65; NK-ArbR/Schwarze § 87 BetrVG Rn. 143; DKW/Klebe § 87 Rn. 149; HWGNRH/Worzalla § 87 Rn. 333; ErfK/Kania § 87 Rn. 46; Stege/Weinspach/Schiefer § 87 Rn. 103 mwN).
2. Die Gewährung des Urlaubs hat regelmäßig auch dann, wenn es um die Bewilligung für ein konkretes Belegschaftsmitglied geht, Auswirkungen nicht nur bezogen auf den konkreten Einzelfall, sondern auch auf sonstige Belegschaftsmitglieder (vgl. BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 37/01, Rn. 50, 53).
3. Soweit es gerade auch um eine Mitbeurteilung durch den Betriebsrat im Einzelfall gehen kann, widerspricht das der Notwendigkeit der Beteiligung des Betriebsrats nicht (HaKo-BetrVG/Kothe § 87 Rn. 65 mwN; Richardi § 87 Rn. 464 ff.).
Normenkette
ArbGG § 100; BetrVG §§ 87, 87 Abs. 1 Nr. 5; GKG § 2 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 11.05.2021; Aktenzeichen 6 BV 4890/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2021 - 6 BV 4890/21 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Klärung der zeitlichen Lage des Urlaubs eines Betriebsratsmitglieds vor dem Hintergrund der Ablehnung einer Urlaubsbewilligung.
Die Arbeitgeberin ist auf verschiedenen Gebieten der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Fortbildung von Fachkräften tätig. Bei ihr sind ca. 1.300 Personen beschäftigt. Die Arbeitgeberin betreibt ua die A-Schule in Berlin-Kreuzberg. Dort ist das Belegschaftsmitglied B als Erzieher im sozialpädagogischen Bereich beschäftigt. Die Arbeitgeberin hat Urlaubsanträge dieses Mitarbeiters mit der Begründung abgelehnt, dass Urlaub von 30 Tagen außerhalb der Ferien nicht gewährt werden könne. Der Urlaub müsse während der Schulferien bzw. zwischen Weihnachten und Neujahr genommen werden. Herr B stellte daraufhin einen weiteren Antrag, der dann ua mit der Begründung abgelehnt wurde, es sei ungünstig, den überwiegenden Teil des Urlaubs in die zweite Jahreshälfte zu verlegen, da am Ende des Schuljahres eine Klassenabgabe bevorstehe. Verständigungsbemühungen seitens des Herrn B blieben ergebnislos. Auch eine über den Betriebsrat an die Arbeitgeberin gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg. Sie habe wirksam trägerweite Schließzeiten zwischen Weihnachten und Sylvester angeordnet, so die Arbeitgeberin. Eine Einigung kam zwischen den Betriebsparteien nicht zustande.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht auch in Bezug auf die zeitliche Lage des Urlaubs einzelner Belegschaftsmitglieder zu. Jedenfalls habe sich die Arbeitgeberin auch selbst darauf bezogen, dass sie einem anderen Mitarbeiter bereits Urlaub im fraglichen Zeitraum bewilligt habe. Es gehe also auch um konkurrierende Urlaubsansprüche unter den Belegschaftsmitgliedern.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. den Richter am Arbeitsgericht C zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle bei der Antragsgegnerin über die zeitliche Lage des Urlaubs des Betriebsratsmitglieds und Mitarbeiters der Arbeitgeberin Herrn B zu bestellen,
2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei interne und einen externen Beisitzer festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht bestehe offenkundig nicht. Der Betriebsrat habe nicht in jedem Einzelfall mitzubestimmen. Es handele sich nicht um einen generellen, kollektiven Tatbestand. Zwar müsse nicht die gesamte Belegschaft oder eine durch besondere Merkmale abgrenzbare Gruppe betroffen sein. Es müsse aber immer um mehrere und damit um mindestens zwei Belegschaftsmitglieder gehen. Der einzelne Arbeitnehmer sei hinreichend durch § 7 Abs. 1 BUrlG geschützt. Der Weg über die Einigungsstelle stelle eine Umgehung des § 12a ArbGG dar. Es sei ihr auch nicht klar, von welchem Mitarbeiter die Rede sei, wenn dargelegt werde, es solle bereits einem anderen Mitarbeiter Urlaub gewährt worden sein. Zudem komme dem Betriebsrat insoweit nur ein Mitbeurteilungsrecht zu.
Das Arbeitsgericht hat eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht C eingesetzt und das damit begründet, selbst wenn die zeitliche Lage des Mitarbeiters B nicht mit der eines anderen Mitarbeiters kollidiere, sei der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG gegeben. Das Mitbestimmungsrecht bestehe selbst dann, wenn kein Konflikt mit den Urlaubsansprüchen anderer Belegschaftsmitglieder bestehe und allein die zeitliche Lage des Urlaubs zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer streitig sei.
Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 19. Mai 2021 zugestellten Beschluss mit einem...